Hachette, Louis Christoph François

[356] Hachette. Der Gründer der auch mit dem deutschen Buchhandel in enger Fühlung stehenden berühmten Pariser Firma Hachette & Co. war Louis Christophe François Hachette. Er wurde am 5. Mai 1800 in Réthel in den Ardennen geboren; sein Vater, der durch unglückliche Spekulationen gänzlich verarmt war, sah sich gezwungen, als Feldapotheker in den Dienst der kaiserlichen Garde zu treten; mit dieser nahm er an den Napoleonischen Feldzügen teil, kehrte 1817 zu seiner Familie zurück und erhielt in einem[356] Pariser Hospital eine untergeordnete Anstellung. Der junge Louis besuchte anfangs die öffentliche Schule neben der Kirche St. Séverin und kam später in das Lycée impérial, wo er als Kostgänger in das Institut aufgenommen wurde. 1819 wurde Hachette zur Normalschule zugelassen und erreichte dort bald die erste Klasse. Er besaß einen seltenen Drang nach Kenntnissen, verkürzte seine Nachtruhe, um zu lernen, und betrieb beispielsweise im Sommer schon um 4 Uhr morgens regelmäßig seine Studien, wobei er mit Vorliebe sich den griechischen Tragödien und den neueren Sprachen, namentlich dem Englischen, zuwandte, sodaß ihm für seinen besonderen Fleiß eine goldene Medaille als Belohnung zuerkannt wurde. 1822 begann Hachette durch Erteilung von Privatunterricht für den Lebensunterhalt seiner Angehörigen zu sorgen. Seine Verwandten hatten ihm ein kleines Kapital zur Verfügung gestellt, mit dem er eine eigene Schule gründen wollte. Als er hierzu aber nicht die Einwilligung der Behörden erlangen konnte, faßte er den Entschluß, sich dem Buchhandel zuzuwenden und begründete 1826 seine Selbständigkeit in den allerbescheidensten Anfängen, mit dem ihm von seinem Onkel vorgestreckten Gelde. Er kaufte ein kleines, unbedeutendes Geschäft, welches ein gewisser Brédif im Erdgeschoß eines Eckhauses der Rue Pierre-Sarrazin betrieb.

Hachettes Plan ging nun dahin, gute Schulbücher zu verlegen. Mit größter Mühe setzte er seine ersten Verlagsunternehmungen ins Werk; zuerst brachte er einige untergeordnete Elementar-Schulbücher, dann griechische, lateinische und französische Klassiker mit Anmerkungen und Erläuterungen, endlich Grammatiken und Wörterbücher heraus. Seine ausdauernde Willenskraft, verbunden mit dem Geschick, tüchtige Autoren zu finden, überwanden endlich die Schwierigkeiten des ersten Anfangs und bald begannen die Hachetteschen Schulbücher einen merkbaren Einfluß auf das Unterrichtsmaterial auszuüben. Der Absatz nahm immer größere Dimensionen an. Seine Frau war ihm den Tag über im Geschäft der fleißigste Gehilfe, den er nur hätte finden können, sie stand ihm wacker zur Seite und war in geschäftlichen Angelegenheiten seine rechte Hand.

Die Revolution von 1830, an deren Ereignissen er den thätigsten Anteil nahm, und die ihr folgende Cholerazeit, fügten ihm schwere Verluste zu, die ihn schließlich an den Rand seiner Selbständigkeit brachten.

Als früherer Pädagoge erkannte Hachette ganz richtig das Grundübel seiner Nation, den geringen Bildungsgrad im Volke;[357] diesen auf eine höhere Stufe zu bringen, stellte er im Verein mit Firmin-Didot und Pitois-Levrault der Regierung eine große Anzahl Elementarbücher gratis zur Verfügung, die wiederum den Schulen unentgeltlich überwiesen wurden; auch gründete er 1832 zusammen mit den genannten Verlegern und Jules Renouard die Zeitschrift »Manuel général de l'instruction primaire«, die später in seinen alleinigen Besitz überging; diese Zeitschrift hat unzweifelhaft viel zur Ausbreitung und Verbesserung des Elementar-Unterrichts in Frankreich beigetragen.

1852 unternahm Hachette die bekannte »Bibliothèque des chemins de fer« und wußte gleichzeitig bei den verschiedenen Eisenbahndirektionen in Frankreich das Privilegium zu erwerben, in den Wartestellen der Stationen Verkaufsstellen von Büchern zu etablieren, auf welchen seine Angestellten Bücher an die Reisenden verkauften, Werke seines eigenen Verlages, wie auch solche anderer Verleger. Kaum war aber der neue Zweig seines Geschäftes organisiert, so brach von allen Seiten ein Sturm gegen den Unternehmer los. Die übrigen Buchhändler griffen eine derartige Monopolisierung heftig an und verlangten freie Konkurrenz. In dem Kampfe für und wieder siegte jedoch endlich Hachette. 1861 betrug bereits der Umsatz 196950 Frcs.; etwa 350 Frauen, Angehörige von Eisenbahnbeamten, waren für den Verkauf angestellt, eine Einrichtung, welche die Bahndirektionen zur Bedingung gemacht hatten, um ihre Beamten an dem Nutzen zu beteiligen; 15 pCt. von dem Erlös erhielten die Frauen als Gewinn, 10 pCt. bezog die Direktion, und der übrige Betrag wurde an Hachette abgeführt.

Auf die »Bibliothèque des chemins de fer« folgte die »Bibliothèque variée«; sie zählte die berühmtesten französischen Schriftsteller der Neuzeit, wie Guizot, Lamartine, Victor Hugo, Sainte-Beuve, About, Jules Simon, Georges Sand, zu ihren Mitarbeitern und enthält auch vortreffliche Uebersetzungen ausländischer Klassiker, Reise-Beschreibungen, Memoiren u. dergl. Die »Bibliothèque rose« und die »Bibliothèque des romans étrangers« entstanden bald darauf, ferner die schönen Ausgaben der französischen Klassiker unter dem Kollektivtitel »Les grands écrivains de la France«, unter Redaktion von Adolphe Régnier. In diese Zeit fällt auch die Begründung des bekannten »Journal pours tous«, ferner »Le tour du monde«, welch letzteres Unternehmen gleich beim Erscheinen überall einen seltenen Erfolg erzielte. Durch den Verkauf der Klischees, die in alle Länder Europas gehen und zur Illustration ähnlicher Zeitschriften benutzt werden, ist dieses Journal eine wahre Goldgrube geworden.[358]

Von den encyklopädischen Unternehmungen seien erwähnt: »Littré's dictionnaire de la langue française« und »Sonnet's dictionnaire des mathématiques appliquées«. Dann seien genannt die Hachetteschen Reisehandbücher »Guides Joannes« –, von Adolphe Joanne redigiert, die heute etwa 200 Bände umfassen.

Die von G. Doré illustrierten Prachtwerke, die Folio-Ausgaben von Dantes »L'énfer«, ferner »Atala«, »Don Quichotte« und »Elaine«, ferner die prächtige Ausgabe von Lafontaines Fabeln und Dantes »Purgatoire« und »Paradis« dürfen hier nicht vergessen werden.

Ein Prachtwerk ersten Ranges sind auch die »Les Saints Evangiles« mit Zeichnungen von Bida; der Künstler hat dafür wiederholt Reisen nach dem Orient unternommen, um die Motive seiner Bilder an Ort und Stelle aufzunehmen; jede Seite des Buches hat reiche Ornamente, in Stich oder Radierung ausgeführt, sämtliche Lettern für den Druck wurden neu gezeichnet und geschnitten.

Seit 1850 wurde Hachette (gestorben am 31. 7. 1864) von seinen beiden Schwiegersöhnen L. Bréton und A. Templier unterstützt; 1870 trat R. Fouret als Teilhaber ein.

Louis Bréton, geb. am 17. November 1817 als Sohn eines Notars und Deputierten der Stadt Paris zur Zeit der Restauration, gehörte einer hochangesehenen Familie der alten Pariser Bourgeoisie an. Sein Vater war ein treuer Freund und Berater Louis Hachettes und dessen festeste Stütze in den schwierigen Anfängen seiner weitgreifenden Unternehmungen. So war es natürlich, daß, als im Jahre 1841 eine schwere Krankheit Louis Hachette ans Bett fesselte, er den jungen Bréton als Sozius in das Geschäft nahm, in welches derselbe zwei Jahre früher als Gehilfe eingetreten war.

Das besondere Arbeitsfeld Brétons waren die Klassiker-Ausgaben, welche zur Zeit seines Eintrittes den Hauptteil des Hachetteschen Verlages bildeten. Diesem Zweige und dem bald sich großartig entwickelnden Schulbücher-Verlage hat Louis Bréton fortwährend seine Sorgfalt und unermüdliche Thätigkeit gewidmet. Nach Hachettes Tode übernahm Bréton die alleinige Leitung dieser wichtigen und umfangreichen Verlagsrichtungen.

1864 wurde er zum Präsidenten des »Cercle de la librairie, de l'imprimerie et de la papéterie« ernannt und that er sich in diesem wichtigen Amte durch erfolgreiche Arbeit hervor.

Bréton starb am 19. 8. 1883; ihm folgte als Geschäftsinhaber G. Bréton, dem sich zugesellten 1886 R. Desclosières,[359] 1898 E. Fouret und L. Hachette. – Die Firma, die neben ihrem Verlag ein bedeutendes Kommissionsgeschäft für Frankreich und das Ausland betreibt, besitzt seit 1859 eine Filiale in London. Die Auslieferung des umfangreichen Musikalienverlages erfolgt für Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Nordamerika durch Breitkopf & Härtel in Leipzig, während als Agentur für das Klischeegeschäft und Erwerbung des Uebersetzungsrechtes die Firma Carl Ulrich & Co. in Charlottenburg fungiert.

Quellen: Verlagskataloge 1871 und Folge (vergl. auch Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1871); Notice sur la vie de M. L. Hachette, Paris 1864.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 2. Berlin/Eberswalde 1903, S. 356-360.
Lizenz:
Faksimiles:
356 | 357 | 358 | 359 | 360

Buchempfehlung

Anonym

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen

Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.

298 Seiten, 15.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon