[409] Hendel, O. Die Anfänge der Verlagsbuchhandlung und Buchdruckerei Otto Hendel in Halle a. d. S. reichen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Hervorgegangen ist das Geschäft aus der Josua Stegmannschen, später Johann Jacob Krebschen Buchdruckerei. Die Zeit der Begründung der Druckerei Stegmann ist nicht bekannt. Sie wird aber schon Mitte des 17. Jahrhunderts unter den »Hällischen Buchdruckern« genannt, »die sich durch Abdruckung nützlicher Schriften bey uns in Andenken erhalten«. Die Druckerei Stegmann ging, anscheinend zu Anfang des 18. Jahrhunderts, käuflich an Johann Jacob Krebs über. Als dieser 1716 starb, heiratete seine Witwe 1717 ihren Faktor Johann Christian Hendel, den Begründer des heute in so hoher Blüte stehenden Hallenser Hauses. Die 1741 erschienenen »Oeffentlichen Jubelzeugnisse, welche bey dem von einigen Buchdruckern zu Halle den 25. Juli 1740 Erneuerten Andenken der vor Dreyhundert Jahren erfundenen Buchdruckerkunst von der hochlöbl. Friedrichsuniversität und anderen gelehrten Gönnern feyerlichst abgelegt worden« berichten über ihn: Johann Christian Hendel erblickte 1692 den 3. Oktober zu Aschersleben das Licht der Welt. Sein Herr Vater war Christian Hendel, Stadtchirurgus daselbst. Er applicirte sich auf die Buchdruckerkunst und erlernte dieselbe als Setzer 1708 bey Herr Christian Henckeln alhier. Im Jahre 1717 wurde er von Joh. Jac. Krebsens nachgelassener Frau Witwe zum Faktor ihrer Druckerey angenommen, und hernach den 11. May dieses Jahres mit ihr ehelich verbunden, worauf er diese Druckerey gerichtlich annahm und als sein Eigenthum erkaufte. Mit dieser seiner Gehülfin, Gertraud, einer geborenen Krügerin von Rathenau, welche Anno 1739 den 8. Oktober in 72. Jahr ihres Alters verstorben, hat er 21 Jahr und 5 Monat in der Ehe ohne Kinder gelebt, und darauf sich den 25. Juli 1740 anderwärts zu Skeuditz verheyrathet. In seinem Berufe hat er manches erbauliches Tractätgen und Disputationes berühmter Männer gedruckt, auch einen Disputationsladen alhier angeleget. Sein Wahlspruch heißt: »Gott ist meine Zuversicht, Meine Freude, Trost und Licht.« Dieser Ahnherr der Firma Hendel war ein rühriger Mann, wie ein bis 1696 zurückreichendes Lohn- und Arbeitsbuch der Druckerei und andere wenn auch nur sehr spärliche, im Besitze der heutigen Firma Hendel befindliche schriftliche Ueberlieferungen erweisen. Wiederholt machte er den Versuch, die einengenden Schranken, die im Mittelalter jedem gewerblichen Betriebe gezogen waren, zu erweitern, wie eine Reihe von Eingaben[409] an die Universität und an die Regierungsbehörden zu Magdeburg und Berlin zeigen. Hierzu ist zu bemerken, daß die Buchdrucker nach Errichtung der Universität im Jahre 1694 unter der Jurisdiktion der Universität standen. Es heißt hierüber in den schon angeführten »Jubelzeugnissen«: Es wurde in denen damals ertheilten Privilegien Sr. Churfürstlichen Durchlaucht nicht nur allergnädigst verordnet, daß diejenigen Buchdrucker, welche sonst keine andere bürgerliche Nahrung dabey treiben, nebst ihren Lehrlingen, Gesellen und Gesinde (ausser dem Regierungsbuchdrucker) wegen dieser ihrer Handthierung allein unter der Universität Jurisdiction gehören, und sich bey derselben immatrikuliren lassen sollten; wobey sie der Magistrat allerdings ungehindert zu lassen habe.«
Trotz aller entgegenstehenden Hindernisse hat Hendel sein Unternehmen, Buchdruckerei wie auch Verlag, zu Ansehen zu bringen gewußt.
Anscheinend im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts folgt ihm sein gleichnamiger Sohn Johann Christian Hendel II und diesem später dessen ältester Sohn Johann Friedrich Gottlob Hendel, über dessen Aufdingung als Buchdrucker der Vater am 13. Januar 1793 einschreibt: Actum Halle, 13. Januar 1793. Wurde eingeschrieben und aufgedungen Johann Friedrich Gottlob Hendel mein ältester Sohn die Buchdrucker-Kunst als Setzer und Drucker zu erlernen. Die Lehrzeit ist auf eine unbestimmte Zeit festgesetzt und richtet sich nach den Fähigkeiten, Fleiß und Aufführung des Lehrlings. Gott gebe dazu seine Gnade und dem Lernenden ein frommes und folgsames Herz. Dies wünscht besonders der Vater und Lehrherr Joh. Christian Hendel.
Die beiden zuletzt genannten Generationen gaben dem Verlage eine große Ausdehnung, sodaß das 1839 erschienene früheste noch erhaltene »Verzeichnis sämtlicher Verlagsbücher bei Joh. Friedr. G. Hendel in Halle an der Saale« nicht weniger als 500 Titel enthält. Es finden sich darunter eine große Menge wunderlichster litterarischer Kleinigkeiten, aber auch Bücher, die noch heute wohlbekannt und gesucht sind. Johann Christian Hendel II. selbst ist in dem Verzeichnis mit mehreren Schriften vertreten: Archiv für deutsche Schützengesellschaften 1803, 3 Bände mit Kupfer, Holzschnitten und Tabellen; Angabe zu einem neuverbesserten Gewehr- oder Flintenschloß, mit Abbildung in Kupfer 1808; Hallesches Adreß-Verzeichniß aller jetzt lebenden und in öffentlichen Aemtern stehenden geistlichen und weltlichen Personen, auf das Jahr 1804, nebst einer kurz[410] gefaßten Chronik der Stadt; kurze Beschreibung und Geschichte des Hallischen Salzwerks und dessen jetzigen Betriebes, für Fremde, Durchreisende aufgesetzt 1801; historische Beschreibung des hohen Petersberges im Saalkreise und des auf demselben ehedem berühmten Augustiner-Klosters; kurze Anweisung zur Wappenkenntniß; Anleitung zur Kenntniß der Edelsteine und Perlen, ein Handbuch für Juweliere und Steinschneider; Abbildung und Beschreibung einer sehr vortheilhaften Rudermaschine für große und kleine Kähne; Chronik von Giebichenstein, Ludwig dem Springer, Halle und Umgegend u.s.w. Auch eine größere Reihe theoretischer und praktischer Musikschriften umfaßt das Verzeichnis. Aber nicht immer führten starke Hände das Regiment. Dazu trat die Ungunst der Zeitverhältnisse und eine hemmend bevormundende, bureaukratische Verwaltung. Am 4. August 1821 schreibt Joh. Christian Hendel sen. an einen »Hochwohlgeborenen, Hochgelehrten, Hochgebietenden Herrn Staatsrath« in Berlin folgenden Brief, der besonderes kulturhistorisches Interesse bietet:
Ew. Excellenz entschuldigen dies neue Unternehmen Ihnen mit diesem Schreiben zu belästigen. Die Erinnerung des mir so werthen Besuchs vor 2 Jahren läßt mich auch jetzt hoffen, daß ich noch bey Ihnen im geneigten Andenken stehe. Wäre die Zahl meiner Jahre nicht schon bis 80 gestiegen, auch Berlin nicht so entlegen von Halle, ich hätte diese Reise nicht gescheuet, um mich mit Ihnen noch einmal persönlich zu besprechen.
Der Herr Criminalrath Schmeling schenkte mir vor dem Jahre auch seinen freundschaftlichen Besuch und gütiges Andenken versprach auch, mich Ihnen bey seiner Rückreise bestens zu empfehlen.
Mein jetziges Schreiben an Ew. Excellenz hat die Absicht: Ihnen die jetzige Lage der Hallischen Buchdrucker zu versinnlichen, in welche uns die seit 2 Jahren eingeführte hohe Transito Impost von Kl.-Med.-Druckpapier 2 Thaler gebracht hat.
Wir haben seit 3 Königl. Preuß. Regierungen, auch der des jetzt regierenden Königs, das Versprechen: zu besseren Aufhülfe unseres Erwerbs, da wir Sachsen so nahe liegen, die Erlaubniß, unserer bedürftigen Papiere aus Sachsen, dem Voigtlande und dem Bayreuthischen zu ziehen, weil das Innland an Papiermühlen theils zu arm theils können sie kaum die inneren Bedürfnisse dero verschiedenen Accisen an Schreibpapier fördern. Uns armen Hallenser betraf demnach dies neue Unglück[411] einer Nahrlosigkeit durch die Beschränkung des Handelsverkehrs, wir waren noch nicht heil von den Bedrückungen der Franzosen, deren lästige Einquartierungen, der 2 maligen Delogierung hiesiger Akademie, den drückenden Abgaben p. p. aber wie wurde unsre Anhänglichkeit an den König dem wir Hallenser unsre Söhne scharenweise zur Armee schickten, getäuscht! immer hofften wir auf Bessrung und diese erfolgt nie, contrair nur eine Erhöhung aller Abgaben und Einschränkungen des Commercus. Noch vor 10-12 Jahren waren in Halle 14 gangbare Buchdruckereyen diese sind jetzt bis auf 7 reduciert, der Gang kam nach Leipzig, woselbst sich gegen sonstiger 12 Buchdruckereyen, jetzt 32 aufgehäuft haben. Ist das nicht augenscheinlicher und befördernder Verderb? da ich Senior der hiesigen Buchdrucker bin, so gieng ich alle die vorgeschriebenen Instanzen durch, man richtet aber bey allen Behörden nichts aus, man bekommt entweder gar keine, oder eine solche Antwort, die ein Heidnisches Oracel nicht verwirrter oder verkehrter hätte geben können; wohin auch die gehört: daß wir unser Pappier vom Rheinlande beziehen sollten! der Referent muß unmöglich nicht bedacht haben: daß uns die Fracht daher theurer als der hohe Transito pro Ballen zu stehen käme.
Unsere so gründliche als ausführliche Vorstellung an den Staatskanzler hat auch nichts gefruchtet, höchstens daß man uns Druckpapier von ordinärer Größe pro Ballen zu 12 Groschen versteuert, das med. Druckpapier aber den Ballen zu 2 Thalern Impost beybehalten hat; das ist aber so viel als nichts, weil jetzt alles auf Median-Größe gedruckt wird.
Ich, der zu Ihrer Zeit, als Sie in Halle studierten, sonst 12-14 Leute in meiner Buchdruckery beschäftigte, halte jetzt kaum 2 Arbeiter, und diese haben nicht vollauf zu thun, weil ich blos meinen Verlag drucke, die wenigen accademischen Arbeiten sich unter übrigen vertheilen, und auswärtige Arbeiten uns fehlen, indem wir mit den Leipzigern des hohen Imposts wegen keinen gleichen Preiß halten können; dies kann für uns Hallenser nur mit einem langsamen Ruin, einem Schwindsüchtigen gleich enden.
Ich bitte Ew. Excellenz werden Sie nicht ungehalten über meine Klagelieder, die ich aus herzlichem Zutrauen in Ihren eben so freundschaftlichen als theilnehmenden Schooß schütte. Ists Ihnen möglich, Etwas zu unserer Verbesserung beyzutragen,[412] so überzeuge ich mich, Sie thun es gewiß. Wir hiesigen Buchdrucker wollen uns von den Staatsbedürfnissen keineswegs ausschließen, wenn wir auch nur das erhalten könnten: daß der Impost des Median-Pappiers dem des ordinären Formats pro Ballen 12 Groschen gleich gesetzt würde, so wäre denn doch die Einbuße unserseits zu ertragen, obgleich die Leipziger immer noch im Vortheil stehen ohne die Fracht und Spesen, welche uns auch zur Last fallen. Hätte ich das Glück, daß Ew. Excellenz mein Schreiben nicht unbeachtet lassen, so wollte ich mich glücklich schätzen, für meine Mitbürger und deren Wohl ein Schärflein beigetragen zu haben. Gott! der Ihnen bisher so glücklich geführt hat, thue es ferner! Er schenke Ihnen mit Ihrer lieben Frau Gemahlin, denen ich mich mit den Meinigen bestens empfehle Gesundheit und Heil! und mir erbitte ich die Erhaltung Ihres Andenkens und Liebe.
Halle, d. 4. Aug. 1821.
Ew. Excellenz
ergebenster Diener
Joh. Chr. Hendel sen.
Mein Sohn ist seit 2 Jahren verheirathet mit einer sehr guten Person, die meine Pflegerin ist. Haben auch seit 3/4 Jahren einen kleinen hoffnungsvollen Erben.
Und in der That; dieser am 17. Dezember 1820 geborene Sproß der Familie, auf dem das Auge des geschäfts- und weltkundigen Großvaters noch wohlgefällig ruhte, war berufen, das Haus zu neuer großer Blüte zu bringen. Er war noch sehr jung an Jahren, als er den Vater verlor. Die ungünstigen öffentlichen Verhältnisse hatten einerseits den Erwerb beeinträchtigt und anderseits hatte eine lebhafte Sammel-Liebhaberei für Gemälde seinen Vorfahr ansehnliche Mittel hierfür festlegen lassen. Unter dieser an sich so schönen Kunstpflege litt der geschäftliche Betrieb, dem dadurch zu viel Mittel entzogen wurden. Anscheinend durch die Not gedrängt, bietet H. der Preußischen Regierung wiederholt seine »seit 40 Jahren mit Mühe und Aufwand zusammengebrachte, aus 220 Tableaux bestehende Gemäldesammlung« zum Kaufe für die Hallesche Kunstakademie an; er will sie billig, für 2000 Thaler, abgeben, um dadurch zu ermöglichen, daß auch Halle, wie z.B. Königsberg und Göttingen, eine solche Sammlung erhalte. Schwer nur vermag er sich von seiner Sammlung zu trennen und er erbietet[413] sich deshalb zugleich, seine »noch übrigen Lebenstage bei diesem meinem Liebling noch als Inspektor thätig zu sein.« Er fügte eine Beilage hinzu, »aus der Königl. Majestät ersehen wolle, was auch er an seinem Theil dem Staate für Opfer gebracht«, wobei er »noch obenein zwei Söhne im Militärdienst und zwei erwachsene Töchter beim Lazarettdienst am Nervenfieber verlor.« Aber wie war es in diesen trüben Jahren dem Staate möglich, für solche Zwecke Mittel aufzuwenden?Die Bestände der Sammlung sind denn auch auf andere Weise veräußert worden. Als der junge Christian Otto Hendel sich durch den Tod des Vaters angewiesen sah, das Geschäft zu führen, war er genötigt, fast den gesamten Verlag zu verkaufen, (1847 an H. W. Schmidt in Halle, gegr. 1839) um Mittel zu gewinnen, lastende Verpflichtungen zu erfüllen und das in den letzten Jahrzehnten in Verfall geratene Geschäft wieder zu beleben. Mit großer Kraft und ausdauernder Energie hat er sich dieser Aufgabe gewidmet. Persönlich von spartanischer Einfachheit war er jedem prunkhaften Wesen abhold, dagegen war sein Innenleben ein unendlich reiches. Am markantesten bethätigte sich sein lauterer Sinn in der Begründung der jetzt bis auf über 1800 Nummern angewachsenen »Bibliothek der Gesamt-Litteratur.« Hendel verfolgte in der im Jahre 1886 von ihm ins Leben gerufenen Sammlung den Plan, das Beste von dem Guten, das die Litteraturen der Kulturvölker aus Vergangenheit und Gegenwart bieten, in schönen und billigen Ausgaben dem deutschen Volke zugängig zu machen. Ein Blick auf ihren Inhalt zeigt, daß bei der Auswahl stets das Bestreben maßgebend gewesen ist, die Bibliothek nach und nach zu einer annähernd vollständigen Sammlung einerseits des Wertvollsten, anderseits des für das Gepräge seiner Zeit besonders Bedeutsamen aus dem Schrifttume aller gebildeten Völker auszugestalten ohne Rücksicht und daß muß ganz besonders betont werden auf ein etwaiges gutes Geschäft mit dieser oder jener Ausgabe. Bevor jedoch Hendel an dieses Unternehmen herantreten konnte, waren Jahrzehnte emsigster Arbeit vorangegangen, die insbesondere der Buchdruckerei galten, die allezeit den Mittelpunkt der Thätigkeit des Hauses gebildet hat. Allmälig entwickelte sich daneben nach Abtrennung des alten Verlags ein kleiner neuer. Das Jahr 1867 war in dieser Richtung besonders bedeutungsvoll. Es war das Geburtsjahr der »Saale-Zeitung«, die in ihrem nunmehr fast 40 jährigen Bestehen sich allezeit als eines der vornehmsten und[414] charaktervoll geleitetsten Tagesblätter erwiesen hat. Als »Bote für das Saalthal« trat die Zeitung ins Leben, bald aber wurde dem emporblühenden Kinde dieses Kleid zu eng und es mußte ihr ein umfassenderer neuer Name gegeben werden, unter dem sie heute in der deutschen Publizistik wohlverdientes Ansehen genießt. Dem Zuge der Zeit folgend, aber auch hier seine Eigenart bekundend, gab Otto Hendel 1895 der Saale Zeitung in dem »Halleschen Central-Anzeiger, Zeitung für die Provinz Sachsen, Anhalt, Thüringen u.s.w.« einen jüngeren Bruder. Das neue Blatt ist besonders berufen, dem kleinen Mann für den denkbar billigsten Preis eine gute Tageszeitung zu bieten und auch dieser fördernswerte Plan hat sich als fruchtbar erwiesen; der jetzt im 9. Jahrgange erscheinende Central-Anzeiger hat sich einen großen Leserkreis erobert. Der Buchverlag hatte vorher eine besondere Zierde erhalten und damit ansehnliche Erweiterung erfahren in den seit 1878 im Verlage der Firma Hendel erscheinenden Publikationen der Historischen Kommission der Provinz Sachsen (jetzt für Provinz Sachsen und Herzogtum Anhalt), von denen seitdem 117 Bände und Hefte im Ladenpreise von 921 M. für je 1 Exemplar herausgekommen sind. Aus einer Gruppe örtlichen Verlags, Ortsgesetze, Stadtplan, Führer u.s.w., ist das bisher in 37 Jahrgängen erschienene Adreßbuch für Halle und Vororte zu erwähnen. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, 1804, hatte das Adreßbuch bereits einen Vorläufer in dem oben angeführten »Halleschen Adreß-Verzeichnis«.1893 war dem Verlags- und Druckereibetriebe im Mittelpunkte der Stadt, am Marktplatze, ein Sortiment angegliedert worden.Leider war es Otto Hendel nicht beschieden, die alte Firma in seiner Familie erhalten zu sehen. Seine Söhne wandten sich anderen Unternehmungen zu, die Schwiegersöhne gehörten anderen Berufssphären an, es war ihm aber eine Genugthuung, sein Werk, als er sich hochbetagt im Oktober 1898 zurückzuziehen wünschte, in die Hände von Männern übergehen zu sehen, die durch ihre Persönlichkeiten und ihre bisherige berufliche Thätigkeit die Gewähr boten, daß sie es in seinem Geiste weiterführen würden. Es waren dies die Herren Königl. Hofbuchhändler Heinrich Warnatz in Dresden, bis dahin Gesellschafter der Hofbuchhandlung ⇒ H. Burdach dort, und Buchhändler Moritz Schirrmeister, ebenfalls bis dahin in Dresden als Buchdrucker und Verleger ansässig. An diese ging die Firma im Oktober 1898 käuflich über. Obgleich der seitdem verflossene Zeitraum nur erst kurz, hat er doch[415] bereits die Erfüllung der von Otto Hendel gehegten Erwartungen gethätigt. Besonders in dem Hauptwerke der Firma, der »Bibliothek der Gesamt-Litteratur«, zeigen sich die Spuren der neuen Thätigkeit. Otto Hendel selbst vermochte sich nur ganz kurze Zeit der Ruhe und damit noch mehr als bisher seinen litterarisch-künstlerischen Neigungen zu widmen. Schon wenige Tage nachdem er die altgewohnte Arbeitsstätte verlassen, griff ihn ein älteres bisher aber wenig beschwerlich gewesenes Leiden heftiger an und der Nimmermüde sah sich auf das Krankenlager gebannt, das er bis dahin nie gekannt und wenige Tage vor Vollendung seines 78. Lebensjahres, am 13. Dezember 1898, schied er aus dem Leben. Ein tragisches Geschick wollte es, daß ihm schon wenige Monate später sein Nachfolger H. Warnatz in die Ewigkeit folgte. Auf einer Reise im Süden wurde dieser in blühendster Gesundheit stehende Mann, nachdem er eben erst die Fünfzig überschritten, durch einen plötzlichen Tod hinweggerafft. Seine Witwe blieb Gesellschafterin der Firma, die Führung aber fiel dem Mitgesellschafter M. Schirrmeister allein zu und die geschäftlichen wie idealen Ergebnisse, die die Verlagsthätigkeit des Hauses seitdem gezeitigt, deuten darauf hin, daß sein neuer Träger nicht ohne Erfolg bemüht ist, seine Aufgabe zu erfüllen. Zu der äußerlich erkennbaren Geschäftsthätigkeit trat die ersten Jahre eine umfassende innere, häusliche. Ein von dem betagten Vorgänger erklärlich aufgeschobener notwendiger vollständiger Neubau des Geschäftshauses wurde ausgeführt und auf den Grundstücken der Firma an der Großen Brauhausstraße, auf der Stätte des Hauses des ersten Halleschen Kurfürstlich Brandenburgischen Postmeisters Madeweiß, neben dem ebenfalls der Firma gehörigen historischen »Riesenhaus« am Großen Berlin, ist das neue imposante, mit allen modernen Einrichtungen ausgestattete, alle Betriebszweige der Firma vereinigende Geschäftshaus entstanden, während die bisherigen Geschäftsgebäude an der Neuen Promenade zwei gleichzeitig von der Firma errichteten Wohnhäusern Platz machten. Mit der Uebersiedelung in das neue Haus erhielt der gesamte technische Betrieb die zeitgemäße elektrische Bewegungskraft. Die technischen Betriebe erfuhren eine Erweiterung durch Einführung einer nur dem eigenen Bedarf dienenden großen Buchbinderei. Der Betrieb der Firma arbeitet mit 79 Maschinen, Pressen, Motoren und beschäftigt über 250 Personen.Quellen: Nach den Originalmitteilungen des Herrn H. Bach, eines langjährigen Mitarbeiters der Firma Otto Hendel in Halle; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1898.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro