Kehr, Ludwig Christian

[529] Kehr, L. C. Ludwig Christian Kehr wurde als Sohn armer Eltern am 13. Mai 1775 in Homburg vor der Höhe geboren. Er besuchte zwar die höhere Schule, brachte es aber bei der Armut seiner Eltern nicht eben weit, bis sich durch Zufall seine Hinführung auf den Buchhandel ergab. Sein Schulfreund Weiß, Buchdruckerssohn aus Offenbach, dem er in der Schule mancherlei Gefälligkeiten erwiesen und oft die Schularbeiten gemacht hatte, erzählte von ihm zu Hause, woraus sich ergab, daß der Schwiegersohn des alten Weiß, Buchhändler Brede, sich für den talentvollen Knaben interessierte. Kehr verbrachte in Offenbach eine 51/2 jährige Lehrzeit und ging dann nach kurzer Tätigkeit im selben Geschäfte als Gehilfe nach Frankfurt a. M. Als Gehilfe in der dortigen Eßlingerschen Buchhandlung schrieb Kehr, ganz vom Geiste der französischen Revolution eingenommen, für den Buchhändler Geßler mehrere politische Pamphlete, welche, wie Kehr selbst erzählte, »obgleich sie keinen Pfennig wert und höchst unreife Geburten waren, doch mehrere starke Auflagen erlebten. In diesen politischen Flugschriften schimpfte ich, denn das war damals an der Tagesordnung, weidlich auf Fürsten, Minister und Adel und trat in offenen Krieg mit ihnen; aber ich habe keinen zu Falle gebracht.« Seine Absicht, nach Amerika, später nach Bremen, zu gehen, führte Kehr nicht aus, sondern machte sich vielmehr im September 1797 – freilich ganz mittellos – durch Begründung einer Leihbibliothek in Kreuznach selbständig. Mit einer Sammlung von 1000 Bänden hatte er angefangen, mußte aber bald zu seinem Leidwesen erfahren, daß er bei der Zusammenstellung der Bibliothek – er hatte meist Klassikerwerke gewählt – schlecht beraten war, denn die damalige Zeit verlangte Ritterromane, Geistergeschichten etc. Hatte Kehr anfänglich mit seinem Schwager, der Spezereihändler war, zusammen Geschäfte gemacht, so trat er von 1799 ab – übrigens als erster Kreuznacher Buchhändler – ganz selbständig auf. Neben seiner Leihbibliothek richtete er ein Sortiment ein, mit dem er eine einträgliche Papierhandlung verband. Einen schweren Schlag erlitt Kehr durch die Bestimmung des Napoleonschen Dekrets, daß kein Buch aus dem Auslande – Kreuznach war bekanntlich damals unter französischer Herrschaft – bezogen werden durfte, zu dem nicht vorher aus Paris die Erlaubnis eingeholt war, und dann lastete noch auf dem Pfund deutscher Bücher ein Eingangszoll von 12 Kreuzern. So mußte er bis 1814 die Verbindung mit dem deutschen Buchhandel ganz aufgeben und sein Sortiment durch Fl. Kupferberg in Mainz beziehen.[529]

Ursprünglich zum geistlichen Beruf bestimmt, neigte sich Kehr, nachdem sein Geschäft auf durchaus sicherer Grundlage ruhte, mehr und mehr der freiwilligen Hilfsarbeit als Ehrenamt im inneren Kirchendienste zu, wozu ihm in Kreuznach reichlich Gelegenheit geboten war. Namentlich um seinen dritten Sohn, der sich 1827 als Buchdrucker in Kreuznach niedergelassen hatte, Arbeit zu verschaffen, begann er mit dem Verlag theologischer Litteratur, mit Traktaten etc., die er zumeist alle selbst schrieb (siehe das betr. Verzeichnis in »Neuer Nekrolog der Deutschen« 1848, II, Seite 738/9). Daneben war er ein eifriger Korrespondent für das Kriegersche »Buchhändler-Wochenblatt«. 1837 nahm Kehr seinen Sohn Karl Gustav Kehr als Teilhaber auf, der das Geschäft nach dem Tode des Vaters, 30. 11. 1848, weiterführte.

Das Sortimenterleben bietet im allgemeinen weniger kulturhistorisches Interesse als die mannigfachen Wandlungen eines Verlags, aber in Kehr finden wir eine Persönlichkeit, die bei der Biederkeit seines Charakters beruflich und menschlich außerordentlich fesselt (siehe seine Selbstbibliographie).

Quellen: Selbstbibliographie, Kreuznach 1834; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1834; Neuer Nekrolog der Deutschen 1848; Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels Bd. V

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 3. Berlin/Eberswalde 1905, S. 529-530.
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