[536] Kirchhoff, A. Carl Gustav Albrecht Kirchhoff, einer der bekanntesten und fruchtbarsten Geschichtsschreiber des deutschen Buchhandels und einer der tüchtigsten wissenschaftlichen Antiquare, entstammte einer Berliner Künstlerfamilie. Sein Vater Johann Jakob Kirchhoff (geboren am 13. Juli 1796 zu Berlin), ein Schüler Gottfried Schadows, war zuerst als Portraitmaler thätig gewesen und hatte durch eine Reihe von Genrebildern die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde auf sich gelenkt, beschäftigte sich aber später hauptsächlich mit Arbeiten für buchhändlerische Zwecke. 1848 siedelte er nach Leipzig über, um die Leitung des artistischen Teiles der »Illustrierten Zeitung« zu übernehmen, erlag aber bereits am 30. Dezember des gleichen Jahres einer schweren Krankheit.
Albrecht Kirchhoff wurde am 30. Januar 1827 zu Berlin geboren. Er besuchte hier die Realschule und bestand seine Lehrzeit in der Buchhandlung von Duncker & Humblot, arbeitete dann in E. S. Mittlers Sortiment in Berlin und kam 1848 nach Leipzig in die J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, wo ihm die Anfertigung der bekannten Kataloge übertragen wurde. Nach wenigen Jahren wurde ⇒ Georg Wigand durch die geschäftliche und schriftstellerische Thätigkeit Kirchhoffs auf ihn aufmerksam und machte ihm den Vorschlag, auf gemeinsame Rechnung ein Antiquariat zu errichten. Das Geschäft, das sich dauernd in demselben Hause, dem von Georg Wigand erbauten roten Turmhause an der Marienstraße, befand, wurde unter der Firma Kirchhoff & Wigand im Mai 1856 eröffnet. Nach dem im Jahre 1858 erfolgten Tode Georg Wigands ging es in Kirchhoffs alleinigen Besitz über. 1863 nahm dieser seinen jüngeren Bruder Otto Kirchhoff als Teilhaber in das Geschäft auf. Nach wie vor wurde es von den Brüdern allein geführt; sie haben nie einen Gehilfen, nie einen Lehrling gehabt. Die Zahl der von der Firma bis zu Albrecht Kirchhoffs Ableben, am 20. VIII. 1902, veröffentlichten Kataloge beträgt 1025, eine Zahl, die von keiner anderen Firma auch nur annähernd[536] erreicht worden ist. In den Jahren 1858-62 und 1867-69 übernahm Kirchhoff im Auftrage der Hinterbliebenen daneben die Leitung des Verlagsgeschäfts von Georg Wigand.
Kirchhoffs Bedeutung liegt, wie schon erwähnt, auf dem Gebiete der Geschichte des Buchhandels, namentlich der älteren Zeit. Nachdem er einige Aufsätze in »Burchhardts Organ für den Buchhandel« und im »Börsenblatt« veröffentlicht hatte, erschienen als erstes Ergebnis seiner Studien die »Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels« (Leipzig 1851-53), 2 Bde., und »Die Handschriftenhändler des Mittelalters« (Leipzig 1853 mit Nachtrag dazu, Halle 1855), die grundlegende Bedeutung haben und behalten werden, und die bis jetzt noch nicht überholt worden sind. Eine reiche Fülle größerer und kleinerer, auf den eingehendsten archivalischen Studien beruhender Arbeiten enthält das in 20 Bänden erschienene »Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels«. Aus der Vorrede zu dem 1886 erschienenen ersten Bande der Kappschen »Geschichte des Deutschen Buchhandels« erfahren wir, daß Kirchhoff die Durchsicht und Revision des ganzen Manuskripts besorgte, unterstützt von Prof. Dr. Zarncke und dem Börsenvereins-Bibliothekar F. H. Meyer.
1878 ernannte ihn die Universität zu Leipzig »wegen der Verdienste um die Geschichte des deutschen Buchhandels, die Albrecht Kirchhoff teils durch eigene gründliche Forschungen, teils als thätiges Mitglied der historischen Kommission des Börsenvereins der deutschen Buchhändler sich erworben hat, und weil er ein leuchtendes Beispiel ist für jene seit dem 15. Jahrhundert bestehende enge Verwandtschaft zwischen dem Buchhandel und dem Gelehrtenstande«, Albrecht Kirchhoff zum Doktor der Philosophie honoris causa, eine Ehrenbezeugung, der vor ihm von Leipziger Buchhändlern nur noch Salomon Hirzel teilhaftig geworden war.
Von den Arbeiten Kirchhoffs, die aus seiner geschäftlichen Thätigkeit hervorgegangen sind, ist vor allem sein Bücherkatalog, dessen erster und zweiter Band die Jahre 1851-55 und 1856-60 umfaßt, zu nennen. Während die größeren bibliographischen Handbücher das Bestreben zeigten, sowohl den Anforderungen des Buchhändlers wie den weitergehenden und strengeren des Bibliographen zu dienen, hatte Kirchhoff die Absicht, dem Buchhändler ein Nachschlagewerk zu schaffen, »das, dem Buchhändler in compendiöser Fassung die erforderlichen Nachweise (Titel, Umfang, Bezugsquellen und Preis) bietend, sich lediglich die Befriedigung der geschäftlichen[537] Bedürfnisse zur Aufgabe stellt«. Wegen seiner praktischen Einrichtung, seiner Wohlfreiheit und namentlich durch die Raschheit seines Erscheinens bürgerte sich der Bücherkatalog schnell ein. Kirchhoff trat jedoch, da er von seinem Antiquariate immer mehr in Anspruch genommen wurde, das Eigentumsrecht an diesen Katalogen an die Hinrichs'sche Buchhandlung ab, in deren Verlag die Fortsetzung als Hinrichs' Fünfjähriger Bücher-Katalog noch heute erscheint. Für Rottners bekanntes Lehrbuch der Kontorwissenschaft für den deutschen Buchhandel (Leipzig 1856; 2. Auflage ebda. 1861) bearbeitete Kirchhoff den Abschnitt Bücherkunde, der auch 1861 als Sonderdruck erschienen ist.
Unter den nicht auf den Buchhandel bezüglichen Schriften Kirchhoffs sind zu nennen: »Die Anfänge der kirchlichen Toleranz in Sachsen: August der Starke und die Reformierten.« (Leipzig 1872.) Diese Schrift war ein Vorläufer des bald darauf erschienenen größeren Werkes, der »Geschichte der reformierten Gemeinde in Leipzig von ihrer Begründung bis zur Sicherung ihres Bestandes 1700-1725.« (Ebda. 1874.) Das Werk beruht ausschließlich auf Quellenstudien in den Archiven von Leipzig, Halle und Dresden und hat infolgedessen unbedingt Neues zu Tage gefördert. Es schildert die politischen, religiösen und sozialen Zeitverhältnisse Sachsens, vor allem Leipzigs, am Anfange des 18. Jahrhunderts und gehört zu den besten Leistungen auf dem Gebiete der Spezialgeschichte Leipzigs.
Neben den Arbeiten für das Geschäft und neben den eigenen Studien ermöglichte Kirchhoff es immer noch, sich in wirksamster Weise dem Gemeinwohl zu widmen. So ist er lange Jahre hindurch Mitglied des Konsistoriums der Leipziger reformierten Gemeinde und des Vorstandes des Protestanten-Vereins gewesen. Ebenso hat er der Stadt Leipzig als Stadtverordneter gedient und namentlich als langjähriger Vorsitzender des Schulausschusses eine fruchtbare Thätigkeit entfaltet. In den Leipziger wissenschaftlichen Vereinen, der Deutschen Gesellschaft und dem Verein für die Geschichte Leipzigs, hat er durch Vorträge anregend und fördernd gewirkt. In dem Verein der Buchhändler zu Leipzig ist er lange Jahre hindurch als Deputierter zur Buchhändler-Lehranstalt und als Sekretär thätig gewesen.
Ganz besondere Verdienste hat sich Kirchhoff aber um den Börsenverein der Deutschen Buchhändler erworben, und in erster Linie um dessen Bibliothek, zu deren erstem selbständigen Bibliothekar[538] er 1861 ernannt wurde. In seinem klassischen Exposé vom 4. November 1861 berichtet er über den Bestand der Bibliothek, legt Zweck und Ziele derselben klar und gibt die Grundsätze und Grenzen bekannt, die auch jetzt noch im großen Ganzen für sie maßgebend sind. Ihm verdankt die Bibliothek das streng wissenschaftliche System, nach dem die Bücher aufgestellt sind. Durch seine Liberalität kam die Bibliothek 1875 in den Besitz seiner großen umfangreichen und außerordentlich wertvollen Bibliothek und Sammlungen, die bei der Jubelausstellung des Börsenvereins in der Stadtbibliothek einen Hauptanziehungspunkt gebildet hatte. Diese in einer langen Reihe von Jahren mit liebevoller Sorgfalt, eingehendster Sachkenntnis und nicht unbeträchtlichen Kosten zusammengebrachte Sammlung bot eine solche Fülle von Büchern und größeren und kleineren Schriften, meist der so selten gewordenen älteren Litteratur angehörend, in vielen Fällen wahre Kostbarkeiten, daß dadurch die Bibliothek auf einmal eine Vollständigkeit erreichte, wie sie, wenn überhaupt, nur durch langjähriges Hinzusammeln zu erreichen gewesen wäre.
Ueber diese wertvolle Sammlung schreibt das »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« (1897 Nr. 24) ausführlich: »Eine Frucht jahrelanger geduldigster Arbeit und kenntnisvollen Sammeleifers, bedarf diese Sammlung zu einem Teile die Geschichte des Buchhandels und des Buchdrucks: Kollektionen von Portraits von Buchhändlern und Buchdruckern und Verwandtes, kleine Schriften biographischen Inhalts, Autographen, Reliquien der buchhändlerischen Geschäftsführung, Medaillen, Signete etc., Blattdrucke zur Geschichte der Zensur etc. Ein andrer Teil dient zur speziellen Illustration der Geschichte des Buches als solchen: eine bedeutende Kollektion von Papierproben vom Anfange des 15. Jahrhunderts an bis in die neuere Zeit, mit Ursprungsnotizen versehen, und von Wasserzeichen; dann einige merkwürdige Drucke, aus alten, historisch wichtigen und berühmten Offizinen hervorgegangen oder durch besonderen Schriftschnitt oder sonstige typographische Eigentümlichkeiten ausgezeichnet; ferner Sammlungen zur Veranschaulichung der Entwicklung des typographischen Geschmacks: Titel, Alphabete und Initialen, Leisten, Bordüren, Schlußstücke, Buchdruckerstöcke etc., weiter interessante ältere Büchereinbände und Buchdeckel und Proben der für Zwecke der Buchbinderei hergestellten bunten, farbigen und gepreßten Papiere, endlich eine schöne Folge von Bibliothekszeichen und ähnliches.[539]
Eine unglaubliche Summe von Arbeit und eine fast unerschöpfliche Fundgrube für spätere Forschungen repräsentieren ferner die nur zum geringsten Teile oder noch gar nicht weiter benutzten Kollektaneen und Manuskripte des Herrn Dr. Kirchhoff, deren er sich ebenfalls nur kurze Zeit nachher zu Gunsten der Bibliothek des Börsenvereins entäußerte.
Seiner Schenkung hat Herr Dr. Kirchhoff im Laufe der Jahre so manche wertvolle Ergänzung folgen lassen.«
Quellen: Börsenblatt (siehe oben) und 21. 8. 1902; Versuch einer Bibliographie seiner Schriften siehe ebenda; aus Anlaß des 70. Geburtstages Kirchhoff veranstaltete die Börsenvereins-Bibliothek folgende Publikation »Aus der Ex-libris-Sammlung der Bibliothek des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, 65 meist unveröffentlichte Blätter auf 50 Tafeln. Leipzig, Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, 1897.«
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