Kohlhammer, Wilhelm

[572] Kohlhammer, W. Kommerzienrat Wilhelm Kohlhammer, ursprünglich für das Notariatsfach bestimmt, hatte zur Begründung seines Geschäftes die Rümelinsche Buchdruckerei in Stuttgart erworben. Es gelang ihm, dem Nichtfachmann, das stark im Niedergang begriffene Geschäft zu neuer Höhe empor zu bringen. Man hat Kohlhammers Thätigkeit als Buchdrucker nicht von dem Standpunkt aus zu beurteilen als hätte er irgendwie dem Buchdruckergewerbe neue Bahnen weisen wollen. Das lag einmal nicht in der Art seines Geschäftes und auch nicht in seinem eigenen Wesen. War ihm in der Ausführung seiner amtlichen Druckarbeiten, darunter namentlich der Veröffentlichungen des Statistischen Landesamtes, Pünktlichkeit und Sauberkeit die natürliche Hauptsache, so legte er auch bei Herstellung seiner eigenen Verlagswerke weit weniger Gewicht auf glänzende Ausstattung als vielmehr auf Solidität und Klarheit in Druck und Schrift. Der Verlag, dem er 1880 ein Sortiment für Staats- und Rechtswissenschaft sowie Landwirtschaft angliederte, hat sich aus ursprünglich kleinen Anfängen immer mehr erweitert und eine hervorragende Bedeutung gewonnen.

Unter den verschiedenen Gebieten, die sein Verlag kultivierte, nimmt das staats- und rechtswissenschaftliche Fach den ersten Rang ein. Indem Kohlhammer dabei in erster Linie der württembergischen Gesetzgebung Rechnung trug und hier eine Reihe von Werke veröffentlichte, wie Schickers Polizeistrafrecht, seine Sammlung von Reichsgesetzen und württembergischen Landesgesetzen, die namentlich für die Praxis des Gerichtsbeamten und die Prüfung der Verwaltungskandidaten unentbehrlichen Bücher von Mayer, Siegle und Stiegele, die Steinheilsche Ausgabe des württembergischen Gesetzes über die Kirchengemeinden und ihre Vereinsangelegenheiten, legte er nebenbei ein Hauptgewicht auf die württembergische Geschichte und Landeskunde, wozu ihm schon seine Verbindung mit dem Statistischen Landesamt Anregung und Veranlassung gab. So erschien bei ihm das vom Statistischen Landesamt in den Jahren 1882-86 herausgegebene Monumentalwerk »Das Königreich Württemberg,« eine erschöpfende Einzelbeschreibung aller Verhältnisse des Landes, von den ältesten Zeiten an, Geographie, Naturgeschichte, Volkskunde, Erwerbsverhältnisse, Kunst, Wissenschaft, Staatsverwaltung in allen ihren Teilen und Einzelbeschreibung aller Oberämter, ein Werk, wie es wohl kein anderes Land aufzuweisen hat. Neben diesem verlegte Kohlhammer die von der gleichen Stelle ausgegebenen württembergischen Oberamtsbeschreibungen, etwa 70 Bände, die ein[572] unentbehrliches Quellenwerk der Landeskunde für gelehrte und litterarische Zwecke bilden. Zu einer neuen Herausgabe der Bände bewilligte die württembergische Kammer die Mittel. Daneben brachten die Württembergischen Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, seit 1861, die Württembergischen Vierteljahrshefte für Landesgeschichte, seit 1878 erscheinend, ebenso das Staatshandbuch für Württemberg, ihrem Verleger viel Arbeit und Zeitaufwand.

Hieran anschließend finden wir neben einer Reihe von Monographien aus schwäbischer Geschichte und Landeskunde; neben G. Hauffs Biographie des Dichters Schubart, sowie neben militärgeschichtlichen Veröffentlichungen von Niethammer, Pfister, Strack von Weißenbach u. a. namentlich die Publikationen Schloßbergers aus dem Stuttgarter Archiv über König Friedrichs Korrespondenz mit Napoleon I., der dreibändige Briefwechsel der Königin Katharina und des Königs Jérome von Westfalen sowie des Kaisers Napoleon I. mit dem König Friedrich von Württemberg, und die Biographie des Prinzen Karl von Württemberg. Sodann sind zu nennen das kulturgeschichtlich interessante Werk von J. Sittard »Zur Geschichte der Musik und des Theaters am württembergischen Hofe«, die Sammlung von historischen und litterargeschichtlichen Aufsätzen Wilhelm Langs »Von und aus Schwaben«, die »Portraitbüsten des Stuttgarter Lufthauses«, von K. Walcher herausgegeben, eine baugeschichtliche Monographie von Klemm »Württembergs Baumeister und Bildhauer« usw., ferner eine Reihe streng wissenschaftlicher Werke teils sprachwissenschaftlicher, teil historischer und historisch-diplomatischer Natur, die alle in Fachkreisen warme Aufnahme fanden. Die erste Stelle unter diesen Publikationen nimmt die im Auftrag der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien von Professor Dr. Geldner in deutscher und englischer Sprache veranstaltete Neu-Ausgabe der Avesta, der heiligen Bücher der Parsen ein. Das mit neugegossenen Typen hergestellte Werk, dessen Herausgeber in seiner Arbeit durch die Uneigennützigkeit und Aufgeklärtheit mehrerer Parsenpriester sehr gefördert wurde, indem ihm dieselben ein reiches, der Wissenschaft bis dahin unzugänglich gebliebenes Material überließen, wurde nach Inhalt und Ausstattung als ein Prachtwerk in des Wortes wahrster Bedeutung geschaffen. Anschließend an die Avesta veröffentlichte der Herausgeber derselben in Gemeinschaft mit Pischel eine Serie »Vedische Studien«, und ein amerikanischer Gelehrter, A. V. W. Jackson, eine Reihe von Arbeiten und Beiträgen zur orientalischen Philologie. Auf anderem Gebiete[573] bewegen sich die Veröffentlichungen Pflugk-Harttungs, seine Acta pontificum Romanorum inedita, Urkunden der Päpste vom Jahre 748-1198, sowie seine Specimina selecta Chartarum Pontificum Romanorum, und des gleichen Autors Iter italicum, sowie seine Monographien aus der alten und mittleren Geschichte, die von Kohlhammer mit großen Opfern und in musterhafter Ausstattung veröffentlicht wurden.

Die schöne Litteratur ist vertreten durch die Namen der Brüder Karl und Richard Weitbrecht mit ihren »Schwobagschichta«, Büchern, die in ihrer Art klassisch genannt werden dürfen. Kohlhammer war der erste, der seinerzeit in seinem »Neuen Deutschen Familienblatt« dem System des bekannten »Woll-Jäger«, Professor Dr. Gustav Jäger, Raum gab und in der Folge die dieses System näher begründenden Schriften Jägers »Die Normalkleidung als Gesundheitsschutz«, sowie »Mein System« und sein »Monatsblatt, Organ für Gesundheitspflege und Lebenslehre« in Verlag nahm. Außer dem Familienblatt erscheinen bei Kohlhammer von Zeitschriften noch die »Württembergische Kriegerzeitung«, das Organ des Württembergischen Kriegerbundes, die »Zeitschrift für Versicherung der Arbeiter«, das »Journal für moderne Möbel«, »Neues Korrespondenzblatt für die gelehrten und Realschulen Württembergs« und »Der Obstbau«. Aus dem Besitze von Bach & Kitzinger in Stuttgart erwarb Kohlhammer deren gesamten Verlag von Feuerwehrlitteratur mit der »Deutschen Feuerwehrzeitung«.

Wilhelm Kohlhammer starb am 8. März 1893; das Geschäft ging an seine Witwe und seinen Schwager Dr. Eugen Görlach über.

Quellen: Verlagskatalog 1897; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1893.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 3. Berlin/Eberswalde 1905, S. 572-574.
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