[601] Lechner, R. Rudolf Lechner wurde am 9. 12. 1822 als der Sohn des Universitätsbuchhändlers Michael Lechner in Wien geboren. Dieser, 1785 in Eisenstadt in Ungarn geboren, hatte 1825 die Härtersche Universitäts-Buchhandlung in Wien (gegr. 1816) übernommen und dem Geschäfte in verhältnismäßig kurzer Zeit einen namhaften Verlag angegliedert, worunter sich befanden das Costümwerk von Spalart in 8 Bänden; Schütz Weltgeschichte, W. G. Beckers Erzählungen; das 9bändige Handbuch der Arzneiwissenschaft von Berends; die Bibliothek historischer Klassiker aller Nationen in 32 Bänden 1817/19; H. Claurens ausgew. Unterhaltungen und Theater, 32 Bände 1825/28; H. v. Eckartshausen Schriften, 20 Bände; ferner finden wir die Namen E. v. Houwald, Fr. Kind, A. v. Knigge, A. v. Kotzebue, J. A. Musäus, A. v. Steigentesch, L. Tieck, deren Werke bei ihm in Nachdrücken erschienen waren, da damals Literarkonventionen[601] noch nicht bestanden. Daneben betrieb er ein ausgedehntes Antiquariatsgeschäft.
Nach Absolvierung seiner philosophischen Studien auf der Wiener Universität trat Rudolf Lechner 1842 in das Geschäft seines Vaters ein, um es nach dessen im Jahre 1844 erfolgten Tode weiter zu führen und 1847 selbständig zu übernehmen. Das Antiquariat gab Lechner auf und widmete sich dafür mehr dem Sortimentsgeschäft, das bald eines der hervorragendsten in Wien wurde, trotzdem zu damaliger Zeit Censur wie Revisionsamt überaus drückend auf dem Buchhandel lagen. Entdeckung der Führung verbotener Bücher wurde hart bestraft, mit 2-300 Fl. oder 1-6 Monaten Arrest. Für gewisse Bücher mußte man sogar beim Ankauf einen Revers unterschreiben, daß man sie nur für sich gebrauchen wolle. Als das Jahr 1848 die Befreiung aus diesen Verhältnissen brachte, folgte auch Lechner der allgemeinen Sehnsucht nach Licht und Freiheit und gründete damals die bald sehr geschätzte politische Zeitschrift »Grad aus!« Doch mit der Oktoberreaktion erfolgte ein Rückschlag, der allen liberalen Blättern ein jähes Ende bereitete.
Lechner warf sich nun auf die Erweiterung seines Geschäftes, das er von der Wollzeile auf den Stock in Eisenplatz (Grabenstraße) verlegte. Beim Verlage wandte er sich besonders der Jugendliteratur, den sprachwissenschaftlichen Werken sowie Schulbüchern zu. Aus diesem neueren Verlage Rudolf Lechners seien genannt: Bozzis Conversationsbücher; Fornasaris italienische Sprachlehrbücher; Bischof Leonhardts theolog. Schriften; Sax. Bautechnologie in 4 Bänden und die Spielschriften des Professors Winternitz.
Aber auch für die Gesamtheit seines Standes war Lechner ungemein tätig. Auf seinen Antrag wurde 1857 der »Verein der österr. ungar. Buchhändler« gegründet, welcher eine größere Ordnung in den Verkehr brachte, die Herausgabe der »Oesterr. ungar. Buchhändler-Correspondenz« und des »Oesterr. Cataloges« zur Folge hatte, sowie endlich Wien zum Centralpunkte des Buchhandels der Donauländer machte. Lechner war Zeit seines Lebens Vorstandsmitglied des Vereins, lange Jahre sogar erster Vorsitzender.
R. Lechner widmete sich nunmehr ganz dem Verlag und Kommissionsbuchhandel. Während die Zahl seiner Kommittenden 1875: 40, 1885: 65, 1895: 100 betrug, ist dieselbe heute auf 201 angewachsen. Nach Eintritt seines Sohnes Oscar Lechner, in den achtziger Jahren, wurde die Firma unter dem Namen Rudolf Lechner & Sohn fortgeführt.
1874 erwarb Alfred Werner, geb. 1848 zu Leipzig, später Beamter der Oedenburger Kreditanstalt in Gemeinschaft mit Eduard Müller die R. Lechnersche Hof- und Universitätsbuchhandlung[602] in Wien. Schon im nächsten Jahre wurde sie von der Kärntnerstraße in die vergrößerten Räume nach dem Graben verlegt. Ende 1875 trennten sich die Gesellschafter und der damalige Gehilfe bei Braumüller, Wilhelm Müller, trat als Kompagnon ein.
Werner überließ die buchhändlerischen Geschäfte vorzugsweise seinem Kompagnon und widmete sich künstlerischen Nebenzweigen. So führte er die modernisierten Tanagrafiguren in Österreich ein; er war Erfinder der Chromophotographie; sein »kleiner Bildhauer« und »Werners Koroplastik« waren Jahre hindurch beliebte Spielzeuge. Durch Konstruierung eines vereinfachten photographischen Apparates, der sogenannten Salons- und Reise-Cameras, hat er sich um die Förderung der Amateurphotographie bedeutende Verdienste erworben. Er starb am 25. 1. 1889.
Wilhelm Müller wurde im Jahre 1849 zu Stuhl in Thüringen geboren. Seinen Gymnasialunterricht empfing er in Gotha; dann trat er als Buchhändlerlehrling bei Louis Mosche in Meißen ein. Seine Wanderjahre führten ihn über Erfurt, Mitau, Riga und Moskau im Jahre 1873 nach Wien. Hier konditionierte er über drei Jahre bei Braumüller, bis er in die Firma Lechner, welche kurz vorher auf den Graben übersiedelt war, eintrat. Auch für die Allgemeinheit ist Müller rastlos tätig gewesen. Er ist Vorsitzender des Vereins österreichisch-ungarischer Buchhändler, Mitglied des Vorstandes des Börsenvereins deutscher Buchhändler zu Leipzig, Vorstand des Verbandes der photographischen Fabrikanten und Händler in Wien, Vice-Vorstand des Deutschen Verbandes von Fabrikanten und Händlern photographischer Artikel in Berlin, Vorstandsmitglied der Photographischen Gesellschaft in Wien und Kassierer des Vereins »Skioptikon«. 1881 übertrug das Kriegsministerium der Firma die Auslieferung der Kartenwerke des Militär-geographischen Instituts, was die Einrichtung eines separaten Geschäftszweiges mit eigener Buchführung und eigenem Personal erforderte. Seit 1895 ist der Firma auch der Verschleiß für das ganze Heer übertragen, sodaß alle Militärbehörden und Offiziere ihren Bedarf bei der Firma Lechner decken müssen. 1883 wurde im Mezzaninhause eine Kunstabteilung errichtet und von 1885 ab, wie schon erwähnt, vorzugsweise die Photographie gepflegt.
Als Spezialität der Buchhandlung gelten Prachtwerke und Jugendschriften in deutscher, englischer und französischer Sprache. Für Liebhaber von solid und elegant gebundenen Büchern wurde Lechners Salonbibliothek geschaffen. Nach dem Tode Werners mußte Müller auch in die photographischen Nebenzweige näheren Einblick nehmen. Die photographische Manufaktur übertrug er Ernst Rieck und auch den diversen anderen Abteilungen gab er eigene Leiter.[603] 1889 richtete die Firma ein photographisches Atelier ein, welches zunächst dazu dienen sollte, den Käufern von Apparaten Unterricht zu erteilen und Arbeiten für Amateurphotographen zu übernehmen. Von dieser Zeit an datiert auch der Gebrauch, alle Lokalereignisse im Bilde festzuhalten, mit deren Verkauf ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht wird. Lechners Atelier konstruierte 1889 die ersten phonogrammetrischen Apparate, woraus sich später das Phototheodolit entwickelte.
Auch der Verlag der Firma wurde ausgebaut. In systematischer Reihenfolge entstanden unter Mitwirkung hevorragender Schulmänner ganze Serien von Bildern aus dem Gebiete der Archäologie, der Geographie, Geschichte, Heimatkunde, Astronomie, Naturgeschichte etc. zu denen auch Vorträge im Druck erschienen. Im 14. Jahrgange erschienen »Lechners Mitteilungen aus dem Gebiete der Literatur, Kunst, Karthographie und Photographie«, ein vorteilhaftes Vertriebsmittel für den großen Kundenkreis. Auf dem Gebiete der Kartenliteratur hat Müller Hervorragendes geschaffen. So hat er u. a. die Wegmarkierung der Generalstabskarten systematisiert, ferner schuf er topographische Detailkarten von wichtigen touristischen Gebirgsgruppen (Dolomiten, Pala-Gruppe etc.) und verschiedene Ausgaben von Wiener Stadtplänen, Eisenbahn und Straßenkarten von Oesterreich-Ungarn usw. Sehr große Verbreitung fanden Müllers Heliogravüre-Porträts militärischen Genres. Aus dem Buchverlag ist zu erwähnen: Gaul, Oesterreichisch-ungar. Nationaltrachten; Lechners photograph. Bibliothek, 7 Bde; Albums von Wien; Lainers Photochemie, 3 Bde.
Quellen: W. Müller 1877-1902, Jubiläumsschrift; Oesterr. Ungar. Buchh. Correspondenz 1889 und 1892; Verlagskataloge Lechner 1831, 1845, 1859, 1869.
Buchempfehlung
Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«
142 Seiten, 8.80 Euro