[622] Lipperheide, F. Die Firma Franz Lipperheide in Berlin wurde am 15. 8. 1865 begründet und am 6. 9. desselben Jahres wurde der Buchhandel von dem bevorstehenden Erscheinen eines neuen Modeblattes, der »Modenwelt, illustrierte Zeitung für Toilette und Handarbeiten« unterrichtet. Am 1. 10. 1865 erschien die erste Nummer des neuen Blattes und fünf Tage später konnte bereits ein Abonnentenstamm von 3000 Abnehmern konstatiert werden. Das war ein guter Anfang; nach acht Wochen stieg die Abnehmerzahl auf 14500 und Ende 1865 wurden 16945 Abonnenten gezählt. So stieg die Kontinuation dauernd und nur die dazwischenfallenden Kriegsjahre brachten einen vorübergehenden Rückgang. Im Mai 1871 wurden 100000 Exemplare zur Fortsetzung gebraucht, die Zahl steigerte sich bis Ende des Jahres auf 165000, trotzdem der Abonnementspreis infolge des teueren Herstellungspreises erhöht[622] werden mußte. Solide Einfachheit und Berücksichtigung des Praktischen für die Familie hatten der Modenwelt diese ungeheure Verbreitung in so kurzer Zeit verschafft. So kann es nicht Wunder nehmen, daß die Abonnentenzahl eine fortwährende Zunahme erfuhr, die von 1876-78 sich auf 25000 Exemplare jährlich stellte. Zusammen mit den in Folgendem erwähnten fremdländischen Ausgaben betrug im Jahre 1890 die Gesamtabonnentenzahl 439000 Exemplare. Nachdem die Modenwelt von allem Anfang an eine so günstige Aufnahme in Deutschland gefunden hatte, war der Verleger darauf bedacht, alsbald Verbindungen mit ausländischen Verlegern anzuknüpfen. Den von vornherein gewonnenen Ausgaben L'Illustrateur des Dames (Paris) 1867 durch die eigene Ausgabe der Modenwelt La Saison abgelöst und The Young Ladies' Journal (London) folgten 1866 die holländische De Bazar (Haag), die italienische Jl Mondo Elegante (Turin), die dänische Dagmar (Kopenhagen), eine amerikanische mit englischem Texte unter dem Titel die Modenwelt (New-York), die spanische El Correo de la Moda (Madrid) und endlich die russische Mody i Nowosti (St. Petersburg) welch letztere 1868 den Titel Modny Sswet (Modenwelt) annahm. 1867 trat die polnische Ausgabe Tygodnik Mod (Warschau) und die ungarische A Divat (Budapest), welche 1877 durch den Budapesti Bazár abgelöst wurde, hinzu.
Das sehr umfangreich gewordene Geschäft war 1874 in ein eigenes Haus, Potsdamerstr. 38 eingezogen und konnte nunmehr den Wünschen nach einer Ausgabe mit Unterhaltungsblatt Rechnung getragen werden, was durch die Begründung der »Illustrierten Frauenzeitung« geschah; am Schlusse des ersten Jahrgangs zählte das Blatt, das in einer großen mit Modekupfer versehenen und einer kleinen Ausgabe erschien, 14558 Abonnenten. Vom Jahre 1879 ab wurden die bisherigen kolorierten Stahlstiche durch kolorierte Holzschnitte ersetzt, eine Neuerung, welche nicht allein allgemeinen Anklang durch die Güte der Ausführung fand, sondern auch eine weit schnellere Herstellung gestattete, die es ermöglichte, auch in Bezug auf die farbige Darstellung dem tatsächlichen Eintritt einer neuen Mode vorauszueilen. Wegen der 1890 eingetretenen österreichischen Stempelverhältnisse erfolgte eine Umbildung der Frauenzeitung dahin, daß sie von nun ab in Halbmonatsheften erschien, was eine noch glänzendere Ausstattung zur Folge hatte. Sie erschien in der Folge in farbigem Umschlag mit stets wechselndem Modebilde und brachte jährlich im Text an 3000 Abbildungen.
Von der Modenwelt waren inzwischen weitere ausländische Ausgaben ins Leben getreten, 1873 die schwedische Freja (Malmö), 1879 die czechische Modni Svet (Jung-Bunzlau) und die portugiesische [623] A Estacao (Rio de Janeiro und Porto). 1882 folgte eine neue eigene amerikanische Ausgabe in englischer Sprache unter dem Titel The Season (New-York) nachdem die erste amerikanische Ausgabe 1873 zu erscheinen aufgehört hatte. 1882 wurde eine neue italienische Ausgabe La Stagione (Mailand) begründet, und 1884 trat der amerikanischen ein Londoner Ausgabe unter dem gleichen Titel an die Seite. Den Beschluß machte 1884 die eigene spanische Ausgabe La Estacion (Madrid) welche als die zwölfte den Gürtel schloß, den die ausländischen Ausgaben der Modenwelt um alle Zonen gelegt haben.
1890 waren für die beiden Modezeitungen 398 Personen ständig tätig, davon 99 in Berlin, 283 in Leipzig (Druck von Otto Dürr) 6 in Konstanz, 4 in Wien, 3 in Paris, je 1 in Erfurt, London und Rom. Bis zu diesem Zeitpunkte hatten beide Zeitungen 45211 verschiedene Holzschnitte, nebst 1620 Stickmustern in Typensatz und 1061 Darstellungen in Zinkätzungen veröffentlicht.
Hier ist auch hervorzuheben, daß die Gattin Lipperheides, Freifrau Frieda von Lipperheide, durch mehr als 32 Jahre, (bis zu ihrem Tode, am 12. 9. 1896) die Redaktion der Modenwelt selbst geführt hat. Daneben begann sie in Gemeinschaft mit ihrem Gatten eine Sammlung von Kunststickereien und Spitzen anzulegen. Längere Aufenthalte in Italien in den Jahren 1877, 1878, 1879 und später boten Gelegenheit zur Erwerbung eines reichen Schatzes solcher Kunstgegenstände. Derselbe wurde nach und nach vervollständigt und bildet auch heute noch mit seinem Verstande von über zehntausend Nummern eine der wertvollsten Sammlungen dieser Art. Wie Lipperheide seine Sammlung von Kostümbildern (siehe unten) jedem öffnete, der ihrer zu Studienzwecken bedurfte, so verwertete Frieda Lipperheide das reiche Material ihrer Sammlungen zu einer Reihe von Muster- und Lehrbüchern für weibliche Handarbeiten der verschiedensten Techniken, zumal aber für die Spalten der »Modenwelt«. Das leitet uns über zum Buchverlag der Modenwelt, der 1878 durch Herausgabe der »Musterbücher für weibliche Handarbeit« eröffnet wurde. Es folgten: Muster altitalienischer Leinenstickerei 1881 uff; 1886 eine neue Folge der Musterbücher; 1889/90 die Musterblätter für künstlerische Handarbeiten; 1885 bis 1887 die Lehrbücher der Modenwelt, 3 Bände usw. Professor Dr. Stockbauer (bayer. Gewerbemuseum in Nürnberg) urteilt speziell über die Musterbücher der Leinenstickerei: »Das große Verdienst, System in diese Modesache gebracht zu haben, in die alten Muster der Stickerei wirkliches Leben und frische Kraft geleitet zu haben, an Stelle einer eklektischen Benützung derselben einen klassischen Kanon für ihre Anwendung, eine wissenschaftlich klare Anweisung[624] für ihre Ausführung, selbst eine dem heutigen Stande der historischen Forschung gerecht werdende Classifikation geschaffen zu haben, ist das Verdienst der Redaktion der »Modenwelt«, speziell der Frau Frieda Lipperheide, welche, unterstützt durch hervorragende gelehrte, wissenschaftliche Kräfte, mit einer ebenso seltenen wie bewunderswerten Ausdauer und Energie sich dieser Aufgabe unterzog und in den Musterbüchern für weibliche Handarbeit sich ein Denkmal setzte, das für alle Zeiten ihren Namen erhalten und in die erste Reihe Jener setzen wird, die für die Verbesserung und Ausbildung des Geschmackes für die Kunst im Hause sich Verdienste erworben haben«. Die kostümwissenschaftlichen Sammlungen Lipperheides, die seit 1877 planmäßig ausgebaut worden sind, bieten in Büchern, Einzelblättern und Gemälden das umfassendste Material für die Geschichte der Tracht, das bisher irgendwo vereinigt worden ist. Um diese Sammlungen für alle Zeiten als Ganzes zu erhalten und öffentlich zugänglich zu machen, hat ihr Begründer hochherzig bestimmt, daß sie in ihrem ganzen Umfange Eigentum des preußischen Staates werden sollen, was inzwischen geschehen ist. Diese Kostümbibliothek enthält 4335 Werke in 5818 Bänden, 121 Almanachserien mit 827 Bänden, 3708 Bände von Zeitschriften, im Ganzen: 10353 Bände; die Sammlung der Einzelblätter besteht aus 2672 Handzeichnungen, 24176 Kupferstichen, Holzschnitten und Lithographien, 2850 Photographien, im Ganzen: 29698 Blättern; dazu kommt eine nach vielen Tausenden zählende Sammlung von Modekupfern und neueren kostümgeschichtlichen Blättern. Die Bibliothek umfaßt das ganze weite Material über die Geschichte der Trachten von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, verbunden mit der Kunde von der Werberei und Stickerei, von den in der Kleidung angewandten Ornamenten, vom Schmuck und von der Einrichtung des Hauses, von allem Hausrat, von Roß und Wagen, Schiffen, Waffen, Festen, Leibeskünsten usw.
Lipperheide, als Franz Freiherr von Lipperheide im Jahre 1892 in den erblichen preußischen Freiherrnstand erhoben, gehörte zu den angesehensten Persönlichkeiten der Berliner Gesellschaft und hat sich nicht nur als hervorragender und erfolgreicher Geschäftsmann und als kunstsinniger und kunstverständiger Sammler, weithin berühmt ist auch L.s Sammlung antiker Waffen, besonders antiker Helme, die eine hervorragende Sehenswürdigkeit seines mit künstlerischem Geschmack eingerichteten Hauses in der Potsdamer Straße bildeten sondern Lipperheide hat auch als ein Mann von ungewöhnlicher Liberalität der Gesinnung ein dauerndes Andenken sich gesichert. Geboren 1838 zu Berleburg in Westfalen, wandte er sich zu Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dem Buchhandel[625] zu und war mehrere Jahre im Verlage des »Bazar«, des dem Kommerzienrat von Schäffer-Voit gehörenden, damals einzigen, in vielen Tausenden von Exemplaren verbreiteten deutschen Modenblattes, tätig. Dort lernte er seine erste Gattin, Frieda geb. Gestefeld kennen; mit ihr begründete er die »Die Modenwelt«. Von Lipperheides eigenen Publikationen ist außer einigen Liedersammlungen »Lieder und Sagen vom Rhein« (1861), »Lieder zu Schutz und Trutz«. Aus der Zeit 1870/71 noch seine »Mustersammlung von Holzschnitten aus englischen, nordamerikanischen, französischen und deutschen Blättern« (1885/86) zu erwähnen. Seit 1905 gab er auch ein »Spruchwörterbuch«, eine nach Begriffen geordnete Sammlung von über 30000 Sprüchen aller Art heraus, die seit 1907 vollständig vorliegt. Im Jahre 1891 hatte Lipperheide das Fideikommiß Wiegersen im Kreise Stade gegründet. Er starb in München am 29. 7. 1906. Sein Geschäft ging in den Besitz seiner zweiten Gattin, Freifrau Elisabeth von Lipperheide über, die die Leitung der Firma am 1. 3. 1907 an Heinrich Worms (geb. 27. 5. 1859 in Düsseldorf) übertrug.
Quellen: Zum 25jährigen Bestehen der Modenwelt, Berlin 1890 (vergl. auch Katalog der Freih. v. Lipperheidischen Kostümbibliothek 1. Band, Berlin 1896-1901, mit 310 Abbildungen); Vossische Zeitung vom 30. 7. 1906; H. v. Zobeltitz, Franz Freiherr v. Lipperheide , Berlin 1906.
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