[707] Mosse, R. In bescheidenem Umfange im Jahre 1867 im Hause Friedrichstraße 60 begründet, nahm das Geschäft der Firma Rudolf Mosse alsbald einen Aufschwung, der bereits im Jahre 1871 die Uebersiedelung in größere Räumlichkeiten nach Friedrichstraße 66 erforderlich machte. Nach weiteren drei Jahren inzwischen war im Jahre 1872 das »Berliner Tageblatt« begründet worden erfolgte die Verlegung der Büros nach dem eignen Hause Jerusalemerstraße 48. Schon im Jahre 1882 stellte sich eine Vergrößerung der Räumlichkeiten als notwendig heraus. Es wurde das Nebenhaus Jerusalemerstraße 49 für Geschäftszwecke hinzugenommen. Eine kurze Reihe von Jahren später aber erwiesen sich auch die so geschaffenen Räumlichkeiten als unzureichend für die Bedürfnisse des andauernd fortschreitenden Betriebes, sodaß die benachbarten acht Häuser hinzuerworben und auf dem so gewonnenen Areal von 2106 Quadrat-Metern[707] das jetzige große moderne Geschäftshaus errichtet wurde. Abweichend von der bisher festgehaltenen Darstellung mag hier einmal als typisches Beispiel für eine moderne deutsche Druckerei ein Rundgang durch die Geschäftsräumlichkeiten beschrieben werden, um die Einrichtung für spätere Zeiten festzuhalten.
Auf einem niedrigen Fuß von grauem Granit erhebt sich der 21 Meter hohe, aus gelbem Sandstein aufgeführte Bau mit einer Front von 28,5 Metern in der Jerusalemerstraße und von 81,17 Metern in der Schützenstraße, bestehend aus Niedrig- und Hochparterre, sowie vier Stockwerken.
Zu ebener Erde befinden sich links die Büros der Verlags-Abteilung, rechts die Vertriebs-Abteilung für das »Berliner Tageblatt« und »Berliner Morgen-Zeitung«.
Im Hochparterre sehen wir den für das Publikum bestimmten Raum, an diesen anschließend die Annoncen-Annahme, Kasse, die Berliner Abteilung der Annoncen-Expedition, Sprechzimmer.
Der rechte Teil des Hochparterre enthält zunächst die Arbeitsstätte der Propaganda-Abteilung. An diese reiht sich die Berliner »Auswärtige Abteilung« an, welcher der geschäftliche Verkehr mit den Inserenten in Brandenburg, Hannover, Thüringen, Braunschweig, Mecklenburg, Oldenburg, Pommern, Posen, Ost- und Westpreußen und den Hansastädten Bremen und Lübeck obliegt.
Im ersten Stockwerk liegt zunächst, direkt über dem Vestibül, das Arbeitszimmer des Begründers der Firma Rudolf Mosse. Diesem Privat-Kontor schließen sich nach rechts und links Empfangs- und Sprechzimmer an, sodann eine lange Zimmerreihe, in welcher die Redaktionen des »Berliner Tageblatt« und seiner verschiedenen Beiblätter »Ulk«, »Weltspiegel«, »Technische Rundschau«, »Haus Hof Garten«, sowie die der »Berliner Morgen-Zeitung« und ihrer Wochenbeilage »Illustrierter Volksfreund«, der »Zeitschrift für Dampfkessel- und Maschinenbetrieb« und »Gießerei-Zeitung« ihres Amtes walten.
Der zweite Stock umfaßt: das Arbeitszimmer des Mitinhabers der Firma, Emil Mosse, daneben nach rechts anschließend Empfangs- und Konferenzzimmer; nach links: das Zentral-Büro der Annoncen-Expedition Rudolf Mosse. Es ist dies die Arbeitsstätte der Zentral-Verwaltung der Annoncen-Expedition. Diese bildet den Mittelpunkt, in welchem die Fäden der gesamten Organisation der Annoncen-Expedition zusammenlaufen. Insbesondere geht von hier die Zentralleitung sämtlicher auswärtiger Filialen des Hauses aus. Es bestehen solche in München (seit 1868), Hamburg (1869), Nürnberg (1870), Wien (1870), Prag (1870), Frankfurt a. M. (1870), Zürich (1871), Breslau (1871), Stuttgart (1871), Leipzig (1872), Köln (1873), Dresden (1874), Magdeburg (1875), Budapest (1900), Düsseldorf[708] (1901), Mannheim (1902). Die Gesamtzahl der in diesen Filialen Angestellten beläuft sich auf 290 Beamte. Diesen Filialen sind 260 Agenturen unterstellt, die vorzugsweise einen lokalen Wirkungskreis haben und die bei ihnen einlaufenden Insertionsaufträge den betreffenden Filial-Büros zur Ausführung übergeben.
Dem Zentral-Büro folgt die Buchhalterei, an die sich die Revisionsabteilung anschließt. Es folgen die Verlagsabteilung, die Rechnungsabteil und die Katalog-Abteilung, welche die alljährlich erscheinenden Zeitungskataloge bearbeitet und der die Aufgabe gestellt ist, die fortgesetzt einlaufenden Änderungen im Zeitungswesen, wie Erscheinen neuer Zeitungen, Erlöschen anderer, ferner Änderungen der Zeilenpreise, Auflagen, Rabattbedingungen etc. zu sammeln und allen Geschäftsstellen zu übermitteln. Das in den bisher angeführten Abteilungen beschäftigte Personal erreicht die Höhe von 186 Beamten.
Der dritte Stock ist dem Verlage des Deutschen Reichs-Adreßbuchs G. m. b. H. eingeräumt. Dieses von Rudolf Mosse herausgegebene erste Gesamt-Adreßbuch von Deutschlands Gewerbe, Industrie und Handel, welches alljährlich in neuer Ausgabe erscheint, beschäftigt durchschnittlich 100 Beamte. Diesen liegt die Einholung und Kontrolle des Adressen-Materials aus allen Orten Deutschlands, die Korrespondenz mit den Behörden und die Kontrolle der Handels-Register ob. Das Riesenwerk enthält in 2 handlichen Bänden von 5500 Seiten etwa 2 Millionen Adressen.
Die Buchdruckerei von Rudolf Mosse, ursprünglich nur zur Herstellung des »Berliner Tageblatt« eingerichtet, hat sich im Laufe der Jahre zu einer mit allen technischen Hilfsmitteln der Neuzeit ausgestatteten typographischen Anstalt ersten Ranges entwickelt. Wir betreten das für sie errichtete neue Gebäude vom Hauptportale in der Schützenstraße aus und gelangen in den ersten Hof, in welchem zur Linken der Rotationsmaschinen-Saal für den Druck des »Berliner Tageblatt« und der »Berliner Morgen-Zeitung« sich befindet. Hier lenkt vor allem eine Vierrollenmaschine die Aufmerksamkeit auf sich. Auf dieser Maschine können Zeitungen im Umfange von 2 bis 32 Seiten gedruckt werden. Weiter enthält dieser Saal 7 Zwillings-(Zweirollen-) Rotations-Maschinen, auf denen Zeitungen im Umfange von 2 bis 16 Seiten hergestellt werden können. Alle Rotationsmaschinen laufen mit einer Geschwindigkeit von 13500 Druck-Zylinder-Umdrehungen per Stunde. Eine Zwillings- (Zweirollen-) Maschine kann somit in der Stunde 13500 Exemplare zu 16, 12 oder 10 Seiten und 27000 Exemplare zu 8 oder 6 Seiten liefern, die Vierrollenmaschine 27000 Exemplare zu 16, 14, 12 oder 10 Seiten und 54000 Exemplare zu 8 oder 6 Seiten.[709]
An diesen Saal unmittelbar angeschlossen ist der Zeitungs-Versand nach auswärts und der Zeitungs-Vertrieb für Berlin. Die Zeitungs-Vertriebsstelle für Berlin, an welche 7 Stadtfilialen angegliedert sind, besorgt die Expedition der Stadtauflage der beiden Zeitungen an die Stadtabonnenten und Kolporteure. Der Papierverbrauch beläuft sich täglich auf 4-5 Wagenladungen.
Die im Hochparterre des Buchdruckereigebäudes untergebrachte Buchbinderei enthält zahlreiche elektrisch betriebene Schneide-, Heft-etc. Maschinen. Es folgen Zeitungs-Setzerei, Zeitungs-Stereotypie. Hier findet die Herstellung der für den Rotationsdruck erforderlichen rundgegossenen Platten statt (im Durchschnitt pro Tag 150 bis 200, an Sonnabenden 300 bis 400 Stück).
Im zweiten und dritten Stockwerk haben die Flachdruckmaschinen Aufstellung gefunden; dem gleichen Zweck dient das Quergebäude, welches den Neubau mit dem alten Gebäude verbindet. Wir zählen insgesamt 34 solcher Flachdruckmaschinen: 3 Zweifarbenmaschinen, 4 Illustrationsdruck-Doppelmaschinen mit schwingendem Zylinder, 2 Doppelmaschinen, 4 Tiegeldruckpressen und 21 einfache Schnellpressen-Druckmaschinen großen Formats. Die vierte Etage enthält ausgedehnte Reserveräume vorgesehen, daneben im Verbindungsbau die photochemigraphische Kunstanstalt. Die dritte Etage enthält das Schriften- und Klischee-Magazin der Druckerei.
Im zweiten Hof des alten Gebäudes ist das Maschinen- und Dampfkesselhaus gelegen. In letzterem finden wir drei Borsigsche Röhrenkessel, von denen zwei stetig im Betriebe sind, der dritte als Reservekessel dient. Der tägliche Kohlenverbrauch erreicht die Höhe von 150 Zentnern (7500 kg). Den Kesseln angeschlossen sind die Pumpen für Nutzwasserversorgung des ganzen Hauses, eine Kesselwasserreinigungs-Anlage zur Verhütung des Kesselsteins, sowie eine Dampf- und Warmwasser-Heizungs-Anlage für den ganzen Gebäudekomplex. Das neben dem Kesselhaus liegende Maschinenhaus enthält drei Borsigsche stehende Compound-Maschinen von je 130 Pferdekräften, die durch direkte Stahlplattenkuppelung mit drei Dynamo-Maschinen von ebenfalls je 130 Pferdekräften verbunden sind. Diese liefern die elektrische Kraft für den Betrieb der Maschinen und Apparate, sowie den gesamten Lichtbedarf für Druckerei- und Geschäftsräume. An die elektrische Kraft- und Lichtanlage schließt sich eine Akkumulatoren-Batterie mit einer Kapazität von 3200 Ampère-Stunden und einer Spannung von 110 Volt (=352000 Watt) an.
Die Gesamt-Nutzungsfläche der hier geschilderten Räumlichkeiten beträgt 10500 Quadratmeter, in denen mehr als 900 Angestellte arbeiten.
Quellen: Führer durch das Haus Mosse.
Buchempfehlung
Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.
386 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro