Nicolaische Buchhandlung

[724] Nicolaische Buchhandlung. Bürgermeister und Buchhändler Gottfried Zimmermann zu Wittenberg begründete im Jahre 1700 in Berlin eine Filialbuchhandlung, die er 1703 an J. W. Meyer abtrat, sie aber 10 Jahre später wieder zurücknahm und seinem Schwiegersohn Christoph Gottlieb Nicolai, der in der Wittenberger Handlung als Buchhandlungsdiener beschäftigt gewesen war, überließ. Am 3. Mai 1713 erhielt dieser für sich und seine Erben das königliche Privilegium.

Dieser erste Träger des Firma-Namens war ein frommer, strenger und sparsamer Hausvater, ganz im Sinne des damaligen Königs Friedrich Wilhelm I. Mit der Erziehung seiner Söhne nahm er es äußerst genau, konnte übrigens des Moralpredigens kein Ende finden, wie u. a. aus einem Briefe vom Jahre 1748 an einen der Söhne hervorgeht, der damals bereits Magister in Halle war und Vorlesungen hielt. Da ist die väterliche Ermahnung wohl etwas verwunderlich: »er solle den Mund nicht in die Breite ziehen, wenn er mit jemand rede, beim Lächeln die Zähne nicht weisen, nicht mit dem Kopfe wackeln, nicht schreien, sondern gelassen laut reden, nicht in Affect kommen, denn das müsse nicht seyn, weil es anzeige, daß man nicht Meister über seine Affecten sei« etc.

Von seinen vier Söhnen interessiert uns besonders der am 18. 3. 1733 geborene Christoph Friedrich Nicolai, der seinen und seiner Firma Namen berühmt gemacht hat. Friedrich Nicolai besuchte das Joachimsthal'sche Gymnasium in Berlin und erlernte den Buchhandel von 1749 bis 1751 in Frankfurt a. O. 1752 starb der Vater und hinterließ die Buchhandlung seinen vier Söhnen, die bereits im Jahre 1738 die Mutter verloren hatten. Die Führung des Geschäftes geschah durch den ältesten Sohn Gottfried Wilhelm Nicolai, während Friedrich, wie aus einem Briefe Lessings an ihn hervorgeht, den Entschluß faßte, sich ganz den Wissenschaften zu widmen. Gotthold Ephraim Lessing, mit dem er, wie auch mit Moses Mendelssohn innig befreundet war, schrieb ihm aus Leipzig unter dem 29. November 1756: »Gesegnet sei Ihr Entschluß, sich selbst zu leben! Um seinen Verstand auszubreiten, muß man seine Begierden einschränken. Wenn Sie leben können, ist es gleichviel, ob Sie von mäßigen, oder von großen Einkünsten leben. Und endlich sind Plätze in der Welt, die sich besser für Sie schicken, als die Handlung.«

Als aber 1759 der älteste Bruder gestorben war, sah sich Friedrich Nicolai sehr gegen seine persönlichen Neigungen bestimmt, die Nicolaische Buchhandlung für eigene Rechnung zu übernehmen. Wie sehr er der Mann war, ein Geschäft erfolgreich zu führen, bewies der nun sofort beginnende mächtige Aufschwung der[724] Handlung, die im geistigen Leben Berlins schnell Bedeutung gewann und diese mit Ehren behauptet hat. Im Jahre 1787 kaufte er das Haus Brüderstraße 13 und verlegte die Handlung, die sich bis dahin im Hause Poststraße 4 befunden hatte, dorthin. Auf das literarische Wirken des berühmten Buchhändlers kann hier nicht eingegangen werden. Erwähnt sei aber, daß Nicolais Buchhändlerheim eine Reihe von Jahren hindurch den literarischen und geselligen Mittelpunkt Berlins bildete. Es vertrat die Stelle der späteren Klubs und Kasinos.

Nach Friedrich Nicolais Tode (6. Januar 1811) übernahm dessen Schwiegersohn Hofrat Parthey die Handlung unter Leitung Johannes Ritters, eines Bruders des berühmten Geographen. Hofrat Parthey starb 1821 und hinterließ das Geschäft seinem Sohne Dr. Gustav Parthey, der sich auch als Gelehrter, namentlich durch archäologisch-ägyptologische Studien und mehrfache philologische Arbeiten einen Namen gemacht hat.

Im Besitz der Nicolaischen Buchhandlung folgten ihm 1866 seine langjährigen Mitarbeiter, der Prokurist der Handlung August Effert (geboren zu Stettin im Jahre 1801 und seit 1815 in der Nicolaischen Buchhandlung tätig) und L. Lindtner. Das Sortimentsgeschäft kam bereits im Jahre 1858 an M. Jagielski aus Posen und von diesem 1863 an Friedrich Wreden und Fritz Borstell, welch letzterer nach dem Ausscheiden Wredens das Geschäft in Gemeinschaft mit Hans Reimarus fortführte.

Das Verlagsgeschäft kam 1876 in den Besitz Rudolf Strickers, der mit einer Tochter August Efferts verheiratet war. Er war kein Buchhändler von Beruf, hatte sich als solcher vielmehr die militärische Laufbahn erwählt; um so höher sind die Erfolge zu schätzen, die er als Verlagsbuchhändler erzielte und die dem alten Geschäft neue Ehren eintrugen. Er war 1829 zu Hebron-Damnitz bei Stolp in Pommern geboren, trat 1848 ins Heer ein, machte den dänischen Feldzug 1864 als Intendanturbeamter mit und erwarb sich das Alsenkreuz. 1871 verließ er die Beamtenlaufbahn, um sich dem Buchhandel zu widmen, dem er schon im Jahre 1865 durch seine Verheiratung nahe geführt war.

Betrachtet man die Verlagstätigkeit der Handlung während ihres langjährigen Bestehens, so setzt in Erstaunen die Vielseitigkeit und die umfassende Tätigkeit ihrer Besitzer auf fast allen Wissensgebieten.

Göcking bezeichnet mit Recht als wichtiges literarisches Unternehmen der Nicolaischen Buchhandlung im 18. Jahrhundert die Herausgabe der »Allgemeinen Deutschen Bibliothek«, welche von 1765 bis 1806 in 208 Bänden erschienen ist. Biester sagt darüber[725] in seiner Denkschrift: »Ein Werk von solchem Umfange über unser gemeinschaftliches deutsches Vaterland und von solchem Einfluß auf alle Provinzen desselben, wie keine Nation ein ähnliches aufzuweisen hat. Nun erst erfuhr Deutschland, was überall literarisch in ihm vorging; es lernte sich selbst kennen, und kam eben dadurch in nähere Verbindung mit sich selbst. Die Aufgabe war nicht klein, und damals ganz neu, berühmte und achtungswerte Männer in allen deutsch redenden Landen zu einer Schrift zu vereinigen, die hundert Meilen von ihnen gedruckt wurde, durch sie Urteile über die Werke ihrer Gegend und Nachrichten über den dortigen wissenschaftlichen Zustand einzuziehen die nur an Ort und Stelle richtig abgefaßt werden konnten. Die wichtige, heilbringende Wirkung leuchtete ein, und so erfolgte, mehrere Dezennien hindurch, der willige Beitritt einer großen Zahl verdienstvoller Gelehrten, um die Stimme einer unparteiischen Kritik laut werden zu lassen, und eine freimütige, nur der Wahrheit und Vernunft huldigende Denkungsart an die Stelle befangener, abergläubischer Vorurteile zu setzen.«

Ein anderes großartiges Unternehmen ist das »Archiv für Naturgeschichte«, gegründet von A. F. A. Wiegmann, herausgegeben von Dr. F. Hilgendorf. Daneben läuft seit 1848 die »Naturgeschichte der Käfer Deutschlands«, begonnen von Erichson, fortgesetzt von Schaum, Kraatz, von Kiesenwetter und Jul. Weise.

Aus dem naturwissenschaftlichen Verlag nennen wir Schilsky, Neuhaus: Diptera Marchica usw. Beachtung verdient ein großartig angelegtes statistisches Werk »Handbuch des Grundbesitzers im Deutschen Reich« seit 1880, 10 Bände.

Von Wilh. v. Raumers geschätzten geschichtlichen Sammelwerken sind hier erschienen: Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus. 2. Tl. 1831-1833; 2. Regesta historiae Brandenburgensis. Chronologisch geordnete Auszüge aus alten Chroniken und Urkunden zur Geschichte der Mark Brandenburg. I. Bd. bis zum Jahre 1200. 1836; 3. Historische Charten und Stammtafeln zu den Regestae Historiae Brandenburgensis; »Die Neumark Brandenburg im Jahre 1337, oder Markgraf Ludewig's des Aelteren Neumärkisches Landbuch aus dieser Zeit erläutert. 1837.«

Unter den ortsgeschichtlichen Büchern verdient rühmlichst hervorgehoben zu werden Friedrich Nicolai's bestes Werk: »Beschreibung der K. Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlichen Merkwürdigkeiten und der umliegenden Gegend.«

Aus den Hilfswissenschaften der Geschichte seien erwähnt: Brüder Grimm: Deutsche Sagen; Willibald v. Schulenburg: Wendisches Volkstum. Aus dem Kapitel der Kunst, Kunstgeschichte, des Kunsthandwerks, der Baukunst u. s. f. nennen wir das großartige Prachtwerk[726] von R. Lepsius »Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien nach Zeichnungen der von dem Könige von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., nach diesen Ländern gesendeten und in den Jahren 1842-1845 ausgeführten wissensch. Expedition. Auf Befehl Sr. Maj. herausgegeben und erläutert 1850-1859; im Preise von 550 M. – Hofmann, Renaissance-Möbel und Dekoration. 1880/81; – Ders.: Bronce-Arbeiten in deutscher Renaissance 1881; – Kämmerling, der Civilbau, 1864 bis 1884; – Ders.: Die Anlage von Treppen und die Dekoration von Treppenhäusern, 1867.

Auf dem Gebiete der Literatur seien ferner genannt: F. Kreißig, Vorlesungen über Shakespeare und seine Geschichte der französischen Nationalliteratur von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit. – L. Rudolph und K. Goldbeck: Schiller-Lexikon; Otto Hoffmann, Herders Briefwechsel mit Nicolai. Von dem durch seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiete des deutschen Unterrichts rühmlichst bekannten Direktors des Köllnischen Gymnasiums, Professor Franz Kern, sind zahlreiche, sehr wertvolle Schriften in dem Verlage erschienen.

Unter unsern deutschen Klassikern finden wir im Nicolaischen Verlag zwei bedeutende Größen, Möser und Körner, vertreten: Justus Möser's sämtliche Werke. Neu geordnet und aus dem Nachlaß desselben gemehrt durch B. E. Abeken. Sodann unsers Theodor Körner's sämtliche Werke; im Auftrage der Mutter des Dichters herausgegeben und mit einem Vorworte begleitet von Karl Streckfuß, ohne Frage das volkstümliche Werk des gesamten Nicolaischen Verlags.

Quellen: Friedel, Zur Geschichte der Nicolaischen Buchhandlung, Berlin 1891; Weile, Berühmte Männer Berlins, B. 1876; Schürmanns Magazin 1876, S. 69; Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 1856, 1892 (vergl. Katalog der Bibliothek des Börsenvereins der deutschen Buchhändler).

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 4. Berlin/Eberswalde 1907, S. 724-727.
Lizenz:
Faksimiles:
724 | 725 | 726 | 727

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon