[739] Palm, J. Ph. Der als ein Opfer Napoleonscher Willkür unter den Kugeln französischer Soldaten zusammengesunkene echte deutsche Mann, der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm wurde am 18. September 1766 in dem württembergischen Städtchen Schorndorf im Jagstkreise als der Sohn eines Wundarztes geboren. Schon in seinem vierzehnten Lebensjahre kam er zu seinem[739] noch 1806 lebenden Oheim, dem Buchhändler Johann Jacob Palm zu Erlangen (vergl. ⇒ Bd. II S. 220 d. W.) in die Lehre. In Frankfurt a. M. fand er seine erste Gehilfenstelle; er war weiter in Goettingen tätig. Dann kehrte er zu seinem Oheim nach Erlangen zurück.
»Auf einer Geschäftsreise nach Leipzig« so wird und berichtet lernte ihn der Buchhändler Stein aus Nürnberg kennen. Das wird wohl bei Gelegenheit einer Reise zur Ostermesse gewesen sein, und da man von Nürnberg nach Leipzig mehrere Tage unterwegs sein mußte, so hatte der Herr Prinzipal genügend Muße, seinen jungen Kollegen und Landsmann zu erforschen. Derselbe muß von vornherein auf ihn einen sehr günstigen Eindruck gemacht haben; er gewann ihn schnell so lieb, daß er die Verbindung Palms mit seiner Tochter stiftete. Durch diese Heirat wurde Palm Mitbesitzer der J. A. Stein'schen Buchhandlung in Nürnberg.
Die Zeit blieb eine kriegerisch bewegte. An den Krieg der ersten Coalition schloß sich der Feldzug von 1795 in Deutschland, dessen politische Verhältnisse zerrissener denn je waren, und in den nächstfolgenden Jahren wurde ein Staat nach dem anderen durch Frankreich bekämpft und zu Boden geschlagen. Divide et impera! war ja Bonapartes kluger Wahlspruch; demgemäß handelte und überwand er alle Gegner. Der Friedensschluß von Preßburg (26.12.1805) hatte endlich die lockeren Bande unseres Vaterlandes ganz gelöst, das tausendjährige deutsche Reich war ein halbes Jahr darauf, wie Schultheis sagt, in die diplomatische Rumpelkammer gelegt, und an seine Stelle der Rheinbund getreten, dessen Mitglieder nichts anderes waren, als Vasallen des Kaisers der Franzosen. »Die Heere desselben sogen Deutschlands Länder aus, seine Marschälle erpreßten sich Schätze aus dem, was unserer Väter Fleiß erworben; französische Spione, unter der Firma von Weinreisenden, Tanzmeistern, Sprachlehrern verstanden es, kleinliche Gemüter in Angst zu halten. Damals aber begann ein neuer Geist in den Herzen der Deutschen Platz zu greifen; die Morgenröte der Freiheit zeigte ihre ersten Streifen, und sie reichten hin, den Tyrannen an der Seine zu schrecken. Er brauchte ein Opfer, um diesen seiner Druckherrschaft so gefährlichen Geist zu bannen; ein blutiger Zeuge sollte fallen für Deutschlands tiefste Erniedrigung.« So schildert Schultheis vollkommen treffend die Zustände jener Zeit: des Beginns des Jahres 1806.
Jener Streifen der Morgenröte der Freiheit war eine Druckschrift, welche im Frühjahr 1806 erschien. Dieselbe trug weder den Namen des Verfassers, noch den des Verlegers oder Druckers auf dem Titel, welcher lautete: »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung«. Damals war das Fürstentum Ansbach von der[740] französischen Armee unter dem Befehl des Marschalls Vernadotte besetzt, und auch in Nürnberg befand sich eine französische Garnison unter dem Kommando des Generals Frère.
Der scharfe Ton jener im Ganzen eigentlich gehaltlosen, 144 Seiten umfassenden Schrift, welche starke Angriffe auf Napoleon und das Betragen seiner Truppen in Bayern enthielt, verschaffte ihr bald eine zwar geheime, aber in diesem Falle um so ausgedehntere Verbreitung, als sie die allgemein herrschende Stimmung zum Ausdruck brachte. Einige französische Offiziere, welche bei dem Pfarrer Sonnenmeyer in Mettingen in der Nähe von Nördlingen einquartiert waren, und von denen einer deutsch verstand, fanden im Zimmer ihres Hauswirts die verhängnisvolle Schrift. Der Pfarrer hatte sie offen liegen lassen in der Meinung, seine Gäste könnten nicht deutsch lesen, in welcher Annahme er dadurch bestärkt worden war, daß keiner derselben während des Aufenthalts im Pfarrhause ein deutsches Wort hatte fallen lassen. Der Inhalt erregte den Unwillen der Franzosen, sie machten von ihrem Fund Anzeige bei dem in Oettingen kommandierenden General Davoust, und dieser ordnete sofort eine strenge Untersuchung an.
Die Sache wurde allgemein ruchbar und erregte Aufsehen, sowohl in Deutschland, als auch besonders in Frankreich. Das »Journal de Paris« bemächtigte sich des Gegenstandes und bezeichnete als Verleger und ersten Verbreiter der »Schandschrift gegen den Kaiser und die große französische Armee und gegen die Freunde und Alliierten Sr. k. k. Majestät« die Stein'sche Buchhandlung in Nürnberg, welche sie, nach Aussage des Gehilfen in der Stage'schen Buchhandlung, Jenisch, der letzteren zugesandt habe.
Das Verhängnis ging seinen Gang, wir können es hier nur kurz schildern. In ihrem Übereifer beschränkte sich die Behörde nicht darauf, das Ergebnis der angestellten Untersuchung ihrer vorgesetzten Behörde mitzuteilen, sondern setzte hiervon auch den französischen Kommandanten, General René, in Kenntnis. Dieser meldete die Sache an General Bertier in München, der seinerseits wieder Bericht an Napoleon erstattete. Schon am 5. August erging an jenen eine direkte Ordre des Kaisers, in der es unter anderem, bezeichnend genug, heißt: »Es ist mein Wille, daß sie (die Buchhändler von Augsburg und Nürnberg) vor ein Kriegsgericht gezogen und in 24 Stunden erschossen werden.«
Damit war Palms Schicksal entschieden. An General Frère in Nürnberg erging Befehl zur Verhaftung Palms. Zunächst scheint jener die Nürnberger Polizei in Bewegung gesetzt zu haben. Am 28. Juli erschienen vier schwarzgekleidete Herren in der Steinschen Buchhandlung in der Winkelgasse, fragten nach dem Vorrat der[741] denunzierten Schrift und stellten eine Haussuchung an, mußten aber unverrichteter Dinge wieder abziehen, da der Gehilfe Palm war eben auf der Messe zu München die Exemplare beiseite geschafft und der Drucker Hessel in Altdorf einen ganzen Ballen davon in seinem Büro versteckt hatte. Als Palm am 9. August nach Nürnberg zurückgekehrt war, bat er die zuständige Reichsstädtische Behörde um eine gerichtliche Untersuchung, wurde aber neuerdings damit abgewiesen. Nachdem ihm zu Ohren gekommen war, daß der Geschäftsführer der Stageschen Buchhandlung in Augsburg verhaftet worden war, begab er sich am 15. August zu seinem Oheim nach dem damals preußischen Erlangen, kehrte jedoch, obwohl von Freunden gewarnt, schon nach einigen Tagen nach Nürnberg zurück und hielt sich in seinem Hause versteckt. Da gelang es der französischen Militärbehörde, sich seiner durch eine List zu bemächtigen. Eines Tages erschien nämlich ein ärmlich gekleideter junger Mensch in der Steinschen Buchhandlung und fragte nach dem Eigentümer, den er in einer Unterstützungssache persönlich sprechen müsse. Nichts Schlimmes ahnend, ließ Palm den Jungen vor. Dieser entfernte sich wieder von Palm beschenkt, kehrte aber bald darauf mit zwei französischen Gendarmen zurück, die in Palms Versteck drangen und ihn aufforderten, sie sofort zum französischen General zu begleiten. Auf dessen Befragen erklärte Palm, daß er die Schrift nur zur Weiterbeförderung von unbekannter Hand erhalten habe, worauf ihm befohlen ward, sein Haus nicht mehr zu verlassen. Wenige Stunden später wurde ihm durch einen französischen Offizier mitgeteilt, daß seine Wohnung nicht genügend Sicherheit böte, weshalb er in ein verschlossenes Zimmer des Rathauses gebracht werden müsse. Am andern Morgen, nachdem ihm noch gestattet worden, von Frau und Kindern Abschied zu nehmen, wurde er in Begleitung von zwei Gendarmen und des ihm auf Bitte seiner Frau mitgegebenen Rechtskonsulenten Dr. v. Holzschuher in einem Wagen zu dem Marschall Bernadotte nach Ansbach abgeführt. Hier erklärte man ihm, daß er weiter nach Braunau transportiert werden müsse. Nachdem Palm das nötige Reisegeld verschafft hatte, da Holzschuher die Reise dahin sonst hätte zu Fuß machen müssen, gelangte er am 22. August nach Braunau. Die von seiner Gattin bei dem französischen Gesandten Otto und Berthier in München eingereichten Bittschriften blieben ohne Erfolg. Nach nur zweimaligem Verhör, wobei der Verteidiger nicht zugelassen war, wurde Palm bereits am 25. August wegen Verbreitung von Schmähschriften gegen Napoleon zum Tode verurteilt. Palm, welcher seine Unschuld auf das klarste bewiesen zu haben glaubte, war der Überzeugung, daß er bald gänzlich freigelassen würde. Als am 26., vormittags 11 Uhr, sein Gefängnis sich öffnete,[742] hoffte er, nach Nürnberg zurückkehren zu dürfen, statt dessen wurde ihm das Todesurteil bekannt gemacht, das am gleichen Tage, nachmittags 2 Uhr, vollzogen werden sollte. Palm hatte sich vorher noch einen Geistlichen erbeten. Da ein protestantischer nicht zur Stelle war, eilten der katholische Pfarrverweser Pöschl von Braunau und der Spitalseelsorger Grogg herbei, den Verurteilten zum Tode vorzubereiten. Seine Haltung war durchaus männlich, gefaßt und gottergeben.
Eine halbe Stunde vor seiner Erschießung schrieb er noch folgenden Brief an seine Angehörigen:
»Herzens-Schatz! Herzlich geliebte Kinder!
Von Menschen, aber nicht von Gott verlassen, urteilte mein hiesiges Militärgericht über mich, nachdem ich nur zwei Verhöre hatte und gefragt wurde, ob ich politische Schriften verbreitet hätte; ich sagte, was ich wußte, daß höchstens nur per Expedition zufälligerweise dergleichen könnte versandt worden sein, aber nicht mit meinem Willen und Wissen.Auf dieses hin richtete man mich vom Leben zum Tode, ohne Defensor. Ich bat mir dazu... aus, welcher aber nicht erschien; indessen vor Gott wird er mir erscheinen.Dir, Herzens-Frau, sage ich 1000 Dank für Deine Liebe, tröste Dich mit Gott und vergesse mich nicht!Ich habe auf der Welt nun nichts mehr zu sagen, aber dort desto mehr. Lebe wohl, Du und Deine Kinder, Gott segne Dich und sie!Empfehle mich dem Herrn und der Frau Schwägerin und allen Freunden, denen ich für ihre Güte und Liebe danke.Nochmals lebe wohl! Dort sehen wir uns wieder!Dein herzlicher Gatte und meiner Kinder Vater,
Joh. Phil. Palm.
Braunau, im Gefängnisse am 26. August 1806,eine halbe Stunde vor meinem Ende.«Nachmittags 2 Uhr wurde er unter starker militärischer Bedeckung auf einem Leiterwagen vor das Salzburger Tor gebracht, wo das ganze in Braunau garnisonierende französische Militär aufgestellt war. Seiner Bitte entgegen wurden ihm die Augen verbunden. Die Geistlichen entfernten sich »worauf«, so heißt es in dem Briefe Pöschls an die Witwe Palms »von sechs Soldaten mit zitternden Händen auf ihn gefeuert wurde, in einer Entfernung von 10-12 Schritten. Da sank er auf das Angesicht zu Boden und ächzte laut. Auf dies wurden die nächsten unter den ersten stehenden 6 Soldaten zu feuern befehligt, die sich aber ebenso zaghaft bewegten. Darauf wurde es still. Ich wollte mich aber seines[743] gewissen Todes versichern und sprang ganz nahe zu ihm hinzu; da bemerkte ich, daß er noch atme, welches ich sogleich mit lauter Stimme anzeigte; worauf wieder andere Soldaten herbeieilten, das Gewehr auf den Kopf hielten und so abfeuerten, daß die Hirnschale in Stücke zersprang.«Auf Veranlassung des Braunauer Magistrats wurde die Leiche auf dem dortigen Gottesacker bestattet; der französische Kommandant hatte sie zuerst auf dem Richtplatz einscharren lassen wollen.1866 wurde Palm in Braunan ein Standbild errichtet, zu dem ganz Deutschland und Deutsch-Österreich, namentlich auch König Ludwig I. von Bayern, beisteuerten.Palm hätte sein Leben retten können, wenn er den ihm bekannten Verfasser genannt hätte; und das ist, angesichts des ihm drohenden Todes, bei dem schlichten Mann gewiß ein Zeugnis seltener Seelengröße.Der Name des Verfassers der Schrift, die den Zorn Napoleons erregt hatte, ist bis zur Stunde nicht bekannt geworden. Am meisten Wahrscheinlichkeit hat als Autor Ph. Chr. Yelin, bis 1794 Oberpfarrer in Winterhausen bei Würzburg, dann in Nürnberg mit literarischen Arbeiten, auch für den Steinschen Verlag beschäftigt und mit Palm näher bekannt, der seit dessen Prozeß aber spurlos aus Nürnberg verschwunden war.Die Gattin Palms führte nach dem Tode ihres Mannes die (schon 1603 gegründete) Steinsche Buchhandlung in Nürnberg noch bis 1810 fort, in welchem Jahre sie diese dem Buchhändler P. A. J. Klincksieck übergab, mit dem sie eine zweite Ehe einging ( 1829).Seitdem hat die Firma ihre Besitzer mehrmals gewechselt, bis sie 1886 auf den gegenwärtigen Inhaber Theodor Schiener überging. Am 24.2.1827 gründete der Sohn Palms, Johann Wolfgang Philipp Palm eine neue Buchhandlung in München, »eine allgemeine Kommissionshandlung für Literatur«, unter der Firma Johann Palm, welche sich auch heute noch in dem schon damals bezogenen Lokale am Kuhbogen befindet. Im Jahre 1842 wurde dieselbe durch den Hoftitel ausgezeichnet ein beredtes Zeugnis für die Bedeutung und das Ansehen, deren sich die Firma schon damals erfreute. Nach dem Tode des Gründers (19.3.1874) ging das Geschäft auf dessen Witwe Elise Palm geb. Hechtel über, 1862 sodann auf deren Schwiegersohn Jul. Grubert und ihren Sohn Johann Jacob Palm. Nach dem Austritt Gruberts führte der letztere als alleiniger Besitzer das Geschäft weiter und verkaufte es am 1.3.1882 an den Buchhändler, späteren Kommerzienrat Aug. Oehrlein, von dem der nunmehrige Besitzer der Firma Robert[744] Pergler dasselbe am 1.7.1898 erwarb. Drei Jahre später, am 24.2.1902, konnte die Johann Palmsche Buchhandlung bereits das 75jährige Jubiläum ihres Bestehens feiern.Quellen: Rockl, Der Nürnberger Buchhändler Joh. Ph. Palm, Nürnberg 1906 (vergl. auch die reichhaltigen Literaturnachweise im Börsen-Vereinsbibliotheks-Katalog).
Buchempfehlung
Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro