Reimer, Georg

[803] Reimer, G. Georg Andreas Reimer war der Sohn eines Kaufmanns in Greifswald, wo er am 27. 8. 1776 das Licht der Welt erblickte. Mit seinem 14. Jahre verließ er das mütterliche Haus; den Vater hatte er schon frühzeitig verloren. Er erlernte den Buchhandel in der Greifswalder Filiale der Langeschen Buchhandlung in Stralsund. Gottlieb August Lange [ 1796] besaß auch ein Geschäft in Berlin, in das Reimer als Geschäftsführer eintrat. – Nachdem er sich am 28. 12. 1800 verheiratet hatte, wurde sein Haus der Mittel- und Anziehungspunkt der hervorragenden Berliner Gelehrten- und Schriftstellerwelt. Der Mediziner Adolph Müller, der in Reimers Hause viel verkehrte, schreibt am 15. 6. 1807 über ihn: »In Reimers Hause versammeln sich die lieblichsten und gescheidtesten[803] Leute.... Dieser Reimer, der gebildetste Buchhändler, den es wohl geben möchte, ist mir sehr lieb.« Schleiermachers Freund Jonas rühmt von Reimer »Sein Haus blieb die gesuchte, immer offene Stätte für die ausgezeichnetsten Männer des deutschen Vaterlandes«.

Der Verlag Georg Andreas Reimers ist ein wissenschaftlicher von Anfang an gewesen und gehört heute noch zu den Führenden dieser Gruppe. Den Grundstock seines Verlages bildeten die Publikationen der Realschulbuchhandlung. Dieses Geschäft bestand seit dem 29. 10. 1749 und zählte zu den angesehensten Berliner Geschäften. Ostermesse 1818 erwarb es den größten Teil des ehemaligen Himburgschen Verlages. Der Buchhändler Christian Friedrich Himburg war wegen seiner Derbheit im geschäftlichen Verkehr im ganzen deutschen Buchhandel bekannt, als Verleger aus der Zeit unserer Klassiker kennt man ihn in weiteren Kreisen. Auch sein Geschäft ist aus einem anderen hervorgegangen, nämlich aus der Firma Johann Jacob Kanter, einer Filiale des Kanterschen Geschäftes in Königsberg i. Ostpr., die Himburg am 1. 1. 1770 erworben hatte und unter seinem Namen weiterführte.

Im Juni 1800 hatte er die Leitung der Realschulbuchhandlung in Berlin übernommen. Dieselbe hatte in den Jahren 1784 bis 1796 unter der Verwaltung eines der Lehrer nur eine Gesamteinnahme von 57897 Talern erzielt, und dagegen eine Ausgabe von 56013 Talern verursacht. Reimer übernahm die Handlung im Erbpachtsvertrage vom 1. 1. 1801 gegen eine jährliche Pacht von 500 Talern, die nach den Rechnungen der Schule bis zum Jahre 1823 gezahlt wurde. Noch 1800 bot ihm Schleiermacher einen Band Predigten an, und 1801 erschienen die berühmten Monologe in Reimer's Verlag. Bald schlossen sich andere berühmte Autoren an Reimer an, wie die Gebrüder Schlegel, Fichte, Tieck, Novalis, Kleist, Arndt, Fouqué, Jean Paul, Niebuhr, die Gebrüder Grimm, Humboldt, Bekker, Lachmann, Ritter und andere. Auch der Kunstverlag wurde gepflegt: in lithographischem Farbendruck erschienen die Zahn'schen Wandgemälde aus Pompeji, und in Kupferstich die Cornelius'schen Entwürfe zu Goethe's Faust und den Nibelungen. Zugleich vermehrte der unternehmende Mann seinen Verlag durch Ankauf ganzer Verlagshandlungen sowie Teile solcher. So gingen durch Kauf in seinen Besitz über Teile des Verlages von Breitkopf und Härtel in Leipzig, Matzdorf in Berlin, Joachim Pauli in Berlin, Quiens Verlag in Berlin, Maurersche Buchhandlung in Berlin, Ungersche Buchhandlung in Berlin, Schoene-Berlin und endlich Beygang-Berlin, so daß[804] beim Tode Reimer's seine Fachgenossen in einem Nachruf ihm nachrühmen konnten, daß er durch eigene Kraft von kleinen Anfängen sich bis zum Besitze einer Verlagshandlung heraufgearbeitet habe, die an Wert und Umfang höchstens einer, an Ehrenhaftigkeit und Gediegenheit des Verlages keiner weiche. In das Jahr 1822 fällt der Erwerb der Weidmannschen Buchhandlung. 1815 kaufte Reimer das stattliche Sacken'sche Palais in der Wilhelmstraße Nr. 73, verlegte im folgenden Jahre die Buchhandlung in dieses Haus und richtete dort auch eine eigene Druckerei ein – später kaufte er auch die früher Göschensche Druckerei in Grimma. – Kaum hatte er sein Geschäft begründet, als der große Korse die Welt beunruhigte und bald auch unser Vaterland unterjochte. Berlin wurde eingenommen, von den Feinden und den Bürgern die Waffen abgefordert. Ob Reimer auch viele Waffen im Hause hatte, er lieferte sie nicht aus und soll, wie Fouqué berichtet, den warnenden Freunden trotzig entgegnet haben: »Laßt sie suchen bei mir, ich kann ihnen nicht wehren. Und wenn sie was finden, laßt sie mich erschießen, wenn sie wollen und können. Ich überliefere mich nicht freiwillig, wehrlos in ihre Gewalt; die Wehr bedingt den Mann, kein Mann ohne Wehr.« Und entsprechend diesen Worten war sein ganzes Verhalten und Tun. Sein Haus wurde der Sammelplatz für alle, welche an der Wiederbefreiung des Vaterlandes im Stillen arbeiteten, auch für diejenigen unter ihnen, die vom Eroberer geächtet und verfolgt, nur unter großer Gefahr beherbergt werden konnten. Und als dann der von ihm und allen Patrioten heiß ersehnte Befreiungskampf endlich vom Könige gewagt wurde, da stellte sich der Sechsunddreißigjährige freiwillig mit Hintansetzung seiner geschäftlichen Interessen und mit Zurücklassung seines Weibes und seiner damals sechs lebenden Kinder der Landwehr. Gesund kehrte er heim und widmete sich von Neuem mit aller Kraft seinen Verlagsunternehmungen.

Für die Gesamtheit des Buchhandels war er ebenfalls unermüdlich tätig: als Komiteemitglied des Börsenvereins für den Bau eines Börsengebäudes, als Teilnehmer an der Beratung buchhändlerischer Reformen usw. Reimer gilt auch als der Versender der ersten gedruckten Remittendenfaktur. Im Kampf mit der Zensur sehen wir ihn oft in der vordersten Reihe stehen.

Sowohl als Stadtverordneter wie auch als unbesoldeter Stadtrat hat Reimer der Reichshauptstadt lange Jahre gedient. Nebenbei war ihm ein großer Kunstsinn eigen. Ganze Sammlungen von bedeutendem Umfange, wie namentlich die des Freiherrn von Hutten in Würzburg, kaufte der unternehmungslustige und sammeleifrige Mann an, auch wenn es ihm nur um einzelne darin befindliche[805] Kunstwerke zu tun war. So hinterließ er bei seinem Tode eine Anzahl von mehr als 2000 Gemälden, von denen bei der 1843 erfolgten Versteigerung mehrere für die Sammlung des Berliner Museums erworben wurden. Die in seinem Besitz befindlichen Originalzeichnungen seines Freundes Cornelius zu den Nibelungen sind später an das Stadelsche Institut zu Frankfurt a. M. übergegangen. Reimer starb nach kurzem Kränkeln in voller Lebenskraft am 26. 4. 1842. Voll Schmerz widmen ihm seine Freunde alsbald folgenden seltenen Nachruf: »Reimer ist todt! Dieses Wort geht unter den Kollegen, die hier versammelt sind, von Mund zu Mund durch die Hallen der Börse, auf der Straße, wenn Einer dem Andern begegnet, bei den abendlichen Zusammenkünften – wo Buchhändler sind, da gedenken sie des verstorbenen Kollegen, da erfüllt sie das Gefühl dessen, was der Buchhandel an ihm verloren hat. Wir sagen: des Kollegen, denn das war und blieb er von Anfang bis zu Ende, er wollte nie etwas anderes sein oder vorstellen als einen Buchhändler. Mühsam und mit der ganzen Anstrengung seines kräftigen und feurigen Geistes hat er sich heraufgearbeitet von kleinen Anfängen bis zum Besitze einer Verlagshandlung, die an Wert und Umfang höchstens einer, an Ehrenhaftigkeit und Gediegenheit des Verlags im Vaterlande keiner weicht. Aber immer blieb er sich darin gleich, daß er nur Buchhändler sein wollte. – Er schätzte keinen Kollegen gering, unterstützte stets die Anfänger mit Kredit, Fürwort und freundschaftlichem, väterlichen Rathe. An unsern Börsenangelegenheiten nahm er den wärmsten Antheil und vertrat auch hier die Interessen der Masse, namentlich der kleinen Buchhändler, mit der ihm eigenen Energie gegen die Anmaßungen derjenigen Richtung unter uns, welche man die aristokratische nennen könnte, wenn das Wort nicht zu leicht mißverstanden werden würde. Die böse Vornehmheit, welche, wo sie sich einnistet, so leicht den reinen Stahl der Bürgerlichkeit anfrißt und ihren Glanz verdunkelt, war ihm gänzlich fremd. Und er war ein Bürger, ein patriotischer Bürger seines Vaterlandes. Sein Haus war zur Zeit der Fremdherrschaft der Sammelplatz vaterländisch gesinnter Männer, es war eine Schmiedewerkstatt, in welcher die Waffen des Geistes, wodurch das Vaterland befreit werden sollte, geschmiedet wurden; Männer wie Fichte, Schleiermacher, Arndt und andere ihm persönlich befreundete, führten den Hammer. – Dieser Gesinnung ist er treu geblieben bis zum Tode, er ist ihretwegen oft verkannt worden, theils weil Andere anders wurden, theils – wir wollen dies gern eingestehen – weil sein Feuereifer, wie er ihm Verstellung unmöglich machte, so wohl auch mitunter der Mäßigung entbehrte. Aber der Grund seiner Gesinnung war immer edel und männlich. Ja! Er[806] war ein Mann; er besaß Muth, Ausdauer und unbeugsame Willenskraft, die zuweilen wohl in Hartnäckigkeit überschlug, aber wollte der Himmel, wir hätten mehr solche eiserne Naturen, wenn wir uns auch manchmal an ihren scharfen Ecken wund stoßen sollten; und ihm fehlte es auch nicht an Weichheit und Wärme des Gefühls, an herzgewinnender Freundlichkeit und an freudiger Bereitwilligkeit zu großartigen Opfern für seine Freunde und für die Freunde des Vaterlandes. Er war auch ein Mann der Arbeit, der er sich nie entzog, sondern mit Leidenschaft oblag, und ein Mann von seltenem Scharfblick, großer Umsicht und Klugheit und glücklicher Voraussicht. Das beweist der Erfolg seiner Unternehmungen, die minder begabten und kräftigen Naturen oft gewagt schienen, ehe er sie gemacht und glücklich hinausgeführt hatte. Aber er war klug genug, seine Klugheit nicht zur Schau zu tragen.«

Nach des Vaters Tode übernahm Georg Ernst Reimer, geb. am 25. 11. 1804, die Buchhandlung und die damit verbundene Druckerei. Er hatte in Berlin die Plamannsche Schule besucht und sodann das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium absolviert. In Berlin und Bonn besuchte er die Universität und trat dann 1826 in die Buchhandlung seines Vaters ein, der ihn bald nachher als Teilhaber aufnahm. Reimer war weniger kühn und wagemutig als sein Vater; aber diese Eigenschaften waren auch für den Fortführer des bereits zu großartigem Umfange angewachsenen Verlagsgeschäftes nicht so wichtig, als sie es für den Begründer gewesen waren. In den anderen Tugenden, der Ehrenhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Umsicht stand er dem Vater keineswegs nach. So mannigfaltig sein Verlag war und so wenig Reimer die freie Bewegung der Herausgeber, mit denen er in Verbindung trat, beschränkte, so einheitlich blieb sein Verlag doch darin, daß er ein vornehm wissenschaftliches Gepräge trug. Alle blos buchhändlerische Spekulationsware, alle unwissenschaftliche, geschweige denn alle dem Inhalt oder dem Tone nach niedrige Literatur blieb aus Reimer's Verlage ausgeschlossen, so daß seine Firmabezeichnung an und für sich schon jedem Buche als Empfehlung galt, und andererseits die Geschichte der Wissenschaft das Andenken an seine Wirksamkeit dauernd in Ehren halten wird. Aus der Fülle der Verlagsautoren aus dieser zweiten Periode der Verlagsentwicklung nennen wir F. A. von Ammon, A. Bastian, Chr. Bellermann, J. J. Bernoulli, Th. Billroth, Fr. Bleek, Ch. A. Brandis, H. Burmeister, Du Bois-Reymond, E. Förster, Jul. Friedländer, A. Furtwängler, W. Gaß, J. Grimm, E. Haeckel, Fr. Köstlin, K. Lachmann, R. Lepsius, H. v. Moltke, J. Müller, B. G. Niebuhr, W. C. H. Peters, G. H. Pertz, E. und O. Pfleiderer, Riedel (Codex Diplomaticus Brandenburgensis), C. Ritter, G. Schweinfurth,[807] H. v. Treitschke, H. Virchow, W. Wattenbach usw. Zu der Uebernahme des Verlags der Protestantischen Kirchenzeitung und der Preußischen Jahrbücher, die er auch in Zeiten, wo sie Opfer erforderten, nicht fallen ließ – traten im Laufe der Jahre hinzu: Archiv für pathologische Anatomie 1847 uff.; Fortschritte der Physik 1845 uff.; Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik 1868 uff.; Zeitschrift für Psychiatrie 1870 uff.; Archäologische Zeitung 1843 uff. usw. usw.

Neun Jahre lang war Reimer Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und über ein Vierteljahrhundert Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Reimer starb am 5. 1. 1885. Die Korporation der Berliner Buchhändler, die in ihm ihren Nestor verehrte, widmete einen Nachruf, wie er glanzvoller kaum dem Vater zugedacht worden war. »G. E. Reimer,« so lesen wir darin, »hat fast zwei Menschenalter unserm Berufe angehört in einer eminenten Wirksamkeit ohne Gleichen! Dies Bild buchhändlerischen Wirkens, es gehört gewissermaßen der Geschichte der Wissenschaft selbst an: denn mit dieser war und ist dasselbe für alle Zeit verbunden. Kein Gebiet wissenschaftlicher Arbeit unvertreten in seinem Geschäftskreise, und fast auf jedem Gebiet von ersten geistigen Größen im Vertrauen umstanden! Und wie groß auch die Mannigfaltigkeit der Disziplinen, der Namen, der Erzeugnisse seines Bereiches: – das Ganze durchwebt von einem, dem Reimerschen Geist!

Und in dem ganzen Bereich seiner Lebensarbeit: im Beruf, bei den Arbeiten in unserer Korporation, deren Mitbegründer und erster Vorsteher er gewesen, im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, zu dessen Vertretung er mehrmals berufen, im Litterarischen Sachverständigen-Verein, wo sein erleuchtetes Wissen viele Jahre Gehör gefunden, in der Stadtverordneten-Versammlung, der er über ein Vierteljahrhundert angehört, und in Rückschau auf sein parlamentarisches Wirken als Vertreter der Stadt Berlin, – allüberall erscheint der Heimgegangene als ein Mann von reicher Begabung und strengster Pflichttreue, als ein Urbild jeder Bürgertugend – inmitten alles Glückes und aller Ehren den Grundzug seines Wesens, Anspruchslosigkeit, niemals verleugnend! Und darum wird sein Name: der Name Georg Reimer überall, wo immer Spuren seiner Wirksamkeit zu finden, in Ehr' und Dank genannt; ihm ist ein getreues Angedenken sicher in dem allerweitesten Umfange, auf lange Zeit, im deutschen Buchhandel, in der deutschen Wissenschaft, in der Chronik von Stadt und Staat!« –

Seit 1876 hatte G. E. Reimer sein Sohn Ernst Reimer, geb. 5. 7. 1833, gestorben 19. 10. 1897 in Jena, treu zur Seite gestanden, seit 1885 das Geschäft als alleiniger Inhaber fortgeführt.[808] Am 1. 1. 1897 übergab er es an den jetzigen Inhaber Walter de Gruyter, geb. 10. 5. 1862. Im Jahre 1902 erwarb dieser den archäologisch und orientalischen Teil des Verlages von W. Spemann in Stuttgart und hat seitdem eine umfangreiche Verlagstätigkeit entfaltet.

Quellen: Neuer Nekrolog der Deutschen 20. Jahrg; Arndt, G. A. R., Berlin 1842; Buchhändler-Almanach 1863; Frommann, Gesch. d. Börsenvereins, Leipzig 1875; Korporationsbericht der Berliner Buchhändler 1886; Schulz, Adreßbuch 1887; H. Reimer, G. A. R., Berlin 1900; Archiv f. Gesch. d. deutsch. Buchh. 1, 2, 6, 8, 9; Allgem. deutsche Biographie; Verlagskataloge 1831, 1885, 1903 u. ff.; Allgem Ztg. vom 11. Dez. 1891 (G. Hirzel); Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel 1876; G. Kreyenberg, die Weidmann'sche Buchh. u. G. A. R. in Buchh.-Akademie 1885; Nachrichten aus dem Buchhandel 1897 Nr. 1 (vergl. außerdem Börsen-Vereins-Bibliothekskatalog).

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 803-809.
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