Schöningh, Ferdinand

[857] Schöningh (Paderborn). Ferdinand Friedrich Joseph Christoph Schöningh war geboren am 16. März 1815 zu Meppen als zweiter Sohn des dortigen Justiz-Amtmannes Dr. Schöningh. Seine Vorbildung genoß Schöningh am Gymnasium seiner Vaterstadt. Von seinen Eltern und durch eigene Neigung für den Buchhandel bestimmt, trat er als 1831 als Lehrling in die Coppenrathsche Buch- und Kunsthandlung zu Münster ein, deren Inhaber sein Großvater und dessen Söhne waren. Dort war er vier Jahre als Lehrling und sieben weitere Jahre als Gehilfe tätig. Die Stellung zur selbstständigen Führung eines Geschäftes fand er im Herbste 1842 zu Soest in der Nasseschen Buchhandlung nebst Buchdruckerei, deren Inhaber F. W. Nasse gestorben war, und an der außer dessen Witwe auch die Mutter Ferdinand Schöninghs, die damals bereits verwitwete Frau Amtmann, einen Anteil hatte. In dieser Stellung sah Schöningh seine Aufgabe darin, das in seinem Umsatze, namentlich was die Buchhandlung betraf, sehr gesunkene Geschäft zu heben. Mit überraschender Schnelligkeit gelang es ihm, dieses auf eine Höhe zu bringen, wie sie in früherer Zeit nicht erreicht war.

Am 26. Juni 1846 reichte Schöningh ein Gesuch um Konzession zur Begründung einer Buchhandlung und einer Buchdruckerei in Paderborn bei der Regierung in Minden ein. Diese wurde bereits unter dem 14. des folgenden Monats erteilt. Die vier dortigen Buchhändler richteten unter dem 7. November 1846 eine sehr ausführliche Denkschrift an Schöningh, in der sie ihm dringend abrieten, sich in Paderborn niederzulassen, da er keinerlei Aussicht habe, hier voranzukommen. Zugleich wurde ihm, wenn er von seinem Vorhaben nicht abstehe, der gemeinsame Kampf in Aussicht gestellt, der auf das entschiedenste geführt werden solle; auch wollten in diesem Falle die genannten Buchhändler die Hilfe des gesamten Buchhandels[857] in Anspruch nehmen. Schöningh war jedoch nicht der Mann, der sich von einem einmal als richtig erkannten Vorhaben abschrecken ließ; er traf vielmehr ungesäumt die notwendigen Vorbereitungen zur Einrichtung eines vorläufig kleinen und bescheidenen Geschäftes. Im Hause von Louis Everken am Markte mietete er unter dem 24. Februar 1847 »unten rechts zwei Zimmer und einen Behälter zum Aufbewahren verschiedener Sachen« zum Preise von 125 Talern für das erste und 150 Taler für das folgende Jahr. Unterm 12. Mai 1847 teilte Schöningh dem Gesamtbuchhandel die Eröffnung seiner Buch- und Kunsthandlung mit.

Obwohl das neue Geschäft sich aus den kleinsten Anfängen entwickelte, hatte Schöningh vom Beginne an höhere Ziele im Auge und richtete namentlich sein Bestreben neben dem Sortiments-Buchhandel auf den Verlag, in dem er im Laufe seiner ferneren Tätigkeit so Großartiges zu leisten wußte.

Die Zeit der Gründung des Schöninghschen Geschäftes fällt mit der Wiegenperiode der katholischen Zeitungs- und Zeitschriften-Literatur zusammen, und Ferdinand Schöningh hatte mit seinem klaren Blicke alsbald die Bedeutung geahnt, welche gerade diese für das katholische Volk gewinnen mußte. Deshalb war sein erstes Streben auf dem Verlagsgebiete darauf gerichtet, ein katholisches Wochenblatt ins Leben zu rufen, welches er selbst leitete und dem er einen Stab von Mitarbeitern zu schaffen verstand, der die besten Namen der damaligen katholischen Publizistik unter den Seinen zählte, davon nicht wenige, vielleicht die größere Zahl, welche Schöningh selbst heranzog und sozusagen heranbildete. Bei diesem Blatte, dem »Westfälischen Kirchenblatt«, dessen erste Nummer am 5. August 1848 erschien, zeichnete Schöningh selbst als verantwortlicher Redakteur.

Das erste eigentliche Verlagswerk, welches in dem Schöninghschen Geschäft erschien, war der erste Schematismus der Paderborner Diözese, Ende 1849 herausgegeben, eine Publikation, zu der Schöningh den Anstoß gab. Von 1850 an konnten die Verlagsartikel auf eigener Presse gedruckt werden. Unter Schöninghs vielen Mitarbeitern nimmt die hervorragendste Stelle Joseph Honcamp ein, ein Name, der mit dem Werden und Blühen des Schöninghschen Hauses untrennbar verbunden ist. Ihm ist in erster Linie das Aufblühen des »Westfälischen Volksblattes« zu danken, als dessen verantwortlicher Redakteur er an Stelle von Schöningh von 1860 ab zeichnete.

Seiner Neigung entsprechend verfolgte Schöningh von Anfang an in seinen Verlagsunternehmungen eine wissenschaftliche Richtung. Schon bald nach seinem Etablissement verlegte er die[858] lateinischen Lehr- und Uebungsbücher des Geh. Regierungs- und Provinzial-Schulrats Dr. Schultz in Münster, die einen durchschlagenden Erfolg hatten, in zahlreichen Auflagen erschienen und in viele Sprachen übersetzt sind. Einige Jahre später unternahm er es im Vereine mit dem Professor an der Universität Basel, Dr. Moritz Heyne, die ältesten deutschen Literaturdenkmäler in billigen Ausgaben mit Anmerkungen und Glossar zu veröffentlichen, ein Gedanke, der von der gelehrten Welt mit Freude begrüßt wurde. Endlich verlegte Schöningh in den fünfziger und sechziger Jahren viele wertvolle katholisch-theologische Werke aus der Feder nahmhafter Autoren. Es sei hier nur erinnert an die Katechismus-Erklärung von Deharbe, die dogmatischen Werke Oswalts, die Uebersetzungen der meisten Werke des französischen Theologen Nicolas, die Predigtwerke von Nagelschmitt und Schuen.

Diesen drei Richtungen blieb er bei seinen Verlagsunternehmungen auch ferner treu. An die Werke von Schultz für die lateinische Sprache reihten sich auch ähnliche für die griechische und deutsche, die fast sämtlich zu den besten Lehrmitteln gezählt werden. Auch die übrigen Schuldisziplinen: Geschichte, Geographie, Mathematik etc. waren bald durch treffliche Werke vertreten. Der germanistische Verlag erhielt Zuwachs durch Werke von Weinhold, Heinzel, Martin, Suchier, Piper u. a. Indessen fanden auch die übrigen Zweige der Literatur die Beachtung des weitsehenden Geschäftsmannes, der, um sich ganz der Verlagstätigkeit widmen zu können, im Jahre 1876 sein großes Sortimentsgeschäft an J. Esser aus Meschede verkaufte. Er verfolgte aufmerksam die Bewegungen und Richtungen der Literatur und studierte die Bedürfnisse des Publikums; er suchte die Autoren, anstatt sich von ihnen suchen zu lassen, und so ging aus seiner Anregung manches wichtige Buch hervor auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft und Politik, der Naturwissenschaft und Philosophie.

Die katholische Dichtung hat durch Ferdinand Schöningh eine ganz hervorragende Förderung erfahren: die besten Namen der neuern Periode sind mit den wertvollsten Werken vertreten; es braucht bloß an Grimme, Brill, Luise Hensel, Antonie Jüngst erinnert zu werden, vor allem aber an Friedrich Wilhelm Weber, dessen »Dreizehnlinden« bereits das Dreiviertelhundert an Auflagen überschritten hat.

Auf dem Zeitschriften-Gebiete sind außer den bereits erwähnten zu nennen die homiletische Zeitschrift »Chrysologus« (seit 1860), die »Blätter für kirchliche Wissenschaft und Praxis« (seit 1867) und die Zeitschrift »Gymnasium«, die Schöningh 1883 ins Leben rief. Bei seinem Lebensende fand sich kaum ein Gebiet oder eine Disziplin,[859] welche nicht in seinem Verlagskataloge vertreten gewesen wäre. Dieser wies damals schon 673 Werke in 935 Bänden auf.

Schöningh starb am 18. August 1883. Seine Witwe übertrug die Leitung des gesamten Geschäftes ihrem ältesten Sohne Ferdinand Schöningh. Die bis dahin von diesem geleiteten Nassesche Verlagshandlung in Münster wurde mit dem Paderbornschen Hauptgeschäfte verschmolzen und unter der Firma Ferdinand Schöningh in Münster i. W. als Filialgeschäft weitergeführt. Durch die 1885 erfolgte Uebernahme der Nasseschen Verlagshandlung hatte der Schöninghsche Verlag einen bedeutenden Zuwachs erhalten. Letztere wurde in Soest im Jahre 1815 gegründet, eine Zeitlang bis zum Jahre 1847 von Ferd. Schöningh, dem Gründer der Paderborner Firma, geführt, in welchem Jahre der Schwager desselben, Albrecht Ziegler, das Geschäft übernahm. Letzterer siedelte nach Verkauf des Sortimentsgeschäftes, des Verlages des Soester Kreisblattes und der Buchdruckerei im Jahre 1873 mit dem Verlage nach Münster über. 1882 übernahm Ferdinand Schöningh (II) denselben und leitete ihn selbständig bis zur Vereinigung mit dem väterlichen Geschäfte im Jahre 1885. 1888 wurde die zweite Filiale in Osnabrück durch Erwerbung der Buchhandlung von B. Wehberg errichtet; ihr folgte 1891 die dritte Niederlassung in Mainz durch Ankauf der Faberschen Buchhandlung daselbst. Der mit der Erwerbung der Mainzer Handlung verbundene kleine Verlag von Franz Frey wurde mit dem Stammgeschäft vereinigt.

Zu den bisher erschienenen Zeitschriften gesellten sich 1887 das »Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie«, 1888 die »Monatsschrift für katholische Lehrerinnen«, und das »Anzeigeblatt für den katholischen Klerus«, 1889 der »Katholische Seelsorger« und 1890 die »Katholische Lehrerzeitung«.

1891 wurde der jüngere Sohn Joseph Schöningh gleichfalls als Teilhaber aufgenommen.

Mit der steten äußeren Ausdehnung des Geschäftes hielt auch seine innere Entwickelung, die Ausbreitung des Verlages, gleichen Stand. die vom Gründer begonnene Sammlung der griechischen und römischen Klassiker-Ausgaben sowie von Ausgaben deutscher Klassiker mit Erläuterungen wurde vervollständigt und vermehrt. Hieran reihen sich die nach seinem Tode begonnene Sammlung der bedeutendsten pädagogischen Schriften (bisher 23 Bände), und die wissenschaftliche Handbibliothek (bisher 20 Bände), welche die theologischen und philosophischen Disziplinen und andere Wissenschaften in ihr Programm aufgenommen hat und unter ihren Autoren Gelehrte ersten Ranges zählt. Zu den bisher behandelten Literaturgebieten gesellte sich auch das der Geschichte, auf welchem das[860] von der Görres-Gesellschaft herausgegebene Sammelwerk: »Quellen und Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte« einen hervorragenden Platz einnimmt.

Einen besonders gepflegten Zweig des Verlages bilden die auf Westfalen oder einzelne Teile des Landes, Städte, Personen, Religion, Geschichte, Literatur, Gesetzgebung etc. bezüglichen Werke. Der philosophische sowie der schönwissenschaftliche Verlag erfuhren weitere Bereicherung, der letztere namentlich durch Herausgabe der illustrierten Prachtausgabe von Webers »Dreizehnlinden«. Ende 1896 umfaßte der Verlag 1420 Werke in 2056 Bänden.

Quellen: F. Sch., Ein Lebensbild, 1897; Verlagskataloge 1891, 1898 mit Nachträgen.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 857-861.
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