Tauchnitz, Bernhard

[940] Tauchnitz, Bernhard. Christian Bernhard Tauchnitz wurde am 25. August 1816 auf dem seinem Vater gehörigen Rittergute Schleinitz bei Naumburg a. S. geboren. Zweifellos hat sein Onkel, der Buchdrucker und Verleger Carl Tauchnitz, einen wesentlichen Einfluß auf die Berufswahl des Neffen ausgeübt. Nachdem Tauchnitz in einem kleineren Geschäfte ausgebildet war, arbeitete er eine Reihe von Jahren bei seinem Onkel. Auch nach dessen Tode blieb er noch eine Zeitlang in dem Geschäft, machte sich aber dann, 21 Jahre alt, selbständig.

Er gründete sein Geschäft, Buchdruckerei und Buchhandlung, unter der Firma Bernhard Tauchnitz jun., welcher Name seinem Unternehmen bis 1852 verblieb; erst von da ab lautete die Firma Bernhard Tauchnitz.

Sein älterer Bruder, der Oberappellationsrat Dr. Theod. Tauchnitz, leitete ihn auf die juristische Verlagsrichtung hin, indem er selbst als Autor und Redakteur mitwirkte. Auch von anderer[940] Seite fand der junge Verleger kraftvolle Unterstützung. Vor allem hatte er einen einflußreichen Freund in dem berühmten Kirchenrechtslehrer Prof. Dr. Ämilius Richter gefunden, dessen Schüler und Nachfolger ebenfalls Tauchnitz zu ihrem Verleger erkoren. Richters »Corpus juris canonici« schlossen sich eine Reihe bedeutender Quellenwerke an, wie der sächsische Kirchen- und Schulrechts-Codex des späteren sächsischen Kultusministers Paul von Seydewitz, Otto Lenels »Palingenesia juris civilis« u. a. Ein Werk von großer Bedeutung war auch die 1870 erschienene »Genealogie der in Europa regierenden Fürstenhäuser« von Dr. K. von Behr. Aus Tauchnitz juristischem Verlage seien ferner genannt die Werke von Fr. Berner, Aug. Biener, Emil Friedberg, Kultusminister Fr. von Gerber, R. Osterloh, G. F. Puchta, A. Ruddorf, Kanzler G. v. Wächter u. v. a. Von den rechtswissenschaftlichen periodischen Unternehmungen seien genannt: Archiv für deutsches Wechsel- und Handelsrecht 1851-74; Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung, 1837-77, und das Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle, 1841-73.

Unter den theologisch-kritischen Verlagswerken nehmen die Arbeiten Konstantin von Tischendorfs den ersten Rang ein. Besondere Erwähnung verdient auch die Biblia hebraica. Nicht minder berühmt ist der lexikalische und altklassische Verlag der Firma. Den bekannten Tauchnitzschen Wörterbüchern von Tolhausen, Rigutini, Bulle, James und anderen schließt sich dem Sinne nach Köhlers großes Logarithmenwerk an. Ein Sammelwerk ersten Ranges bildete die auf kritischer Grundlage ruhende »Sammlung römischer und griechischer Klassiker«, in drei Ausgaben erscheinend.

Das großartigste Tauchnitzsche Unternehmen aber war die 1841 begonnene »Tauchnitz Collection of British Authors«. Seine Bedeutung möge am besten eine englische Stimme dartun. Es ist der in London erscheinende »Bookseller«, welcher bereits im Jahre 1883 folgendes schrieb: Die beiden Hauptsachen, allgemeine Verbreitung englischer Bücher auf dem Festlande und die Verminderung des Preises, den englische Original-Ausgaben zu haben pflegen, bewogen den Baron Tauchnitz in Leipzig vor mehr als vierzig Jahren, seine wohlbekannte »Collection of British Authors« zu gründen, von welcher jetzt die ganze Welt weiß. Die Werke der hervorragendsten englischen und später auch amerikanischen Schriftsteller werden in der Tauchnitz-Collection in dauerhaften, handlichen und hübschen Bänden zum Preise von 1 M. 60 Pf. = 1 sh. 6 d. »unmittelbar nach dem Erscheinen ausschließlich für die Verbreitung auf dem Festlande« veröffentlicht; darunter die Werke von W. H. Ainsworth in 53 Bänden; W. Black in 24, Miß Braddon in 64, Mrs.[941] Henry Wood in 58 Bänden; George Eliot in 17, James Payn in 35, Edmond Yates in 27, Lady Georgiana Fullerton in 21, Miß Kavanagh in 35, »Ouida« in 36, Miß Rosa Broughton in 12, Miß Yonge in 20, Anthony Trollope in 79, Wilkie Collins in 39, Chs. Kingsley in 12, Lord Beaconsfield in 17 Bänden; daneben die Erzählungen von Thackeray und Dickens u.s.w. Diese Unternehmung gereicht Tauchnitz zu um so größerer Ehre, als er der erste deutsche Verleger war, welcher, trotzdem noch keine internationalen Verträge oder Gesetze das literarische Eigenthum schützten, private Abkommen mit englischen Schriftstellern traf, die gewillt waren, ihre Geisteserzeugnisse seiner Collection einzuverleiben. Er wußte also die pecuniären Interessen fremder Schriftsteller mit den literarischen Interessen der Gönner englischer Sprache wohl zu verbinden. Auf solchem Grundsatze fußend errangen die Tauchnitz'schen Ausgaben rasch einen wohlverdienten Erfolg und wurden bald ein blühender Zweig des Geschäfts. Der erste Band »Pelham« von Sir Edward Bulwer Lytton, erschien im September 1841; ihm folgten Chs. Dickens' »Pickwick Papers«, andere von Bulwer's Romanen und Werke von Byron, Shakespeare, Swift, Thomson u.a.m. Schon im Februar 1860 wurde der 500. Band ausgegeben, einen bedeutungsvollen Abschnitt in der Collection bildend; es war »Five Centuries of the English Language« von Dr. C. Vogel. In dem Vorworte dazu drückt der Verleger seine dankbare Genugthuung aus über die Gunst, welche Schriftsteller und Leser seinen Bemühungen zuwenden. Einer der Autoren, gleichgefeiert als Erzähler und Staatsmann, schrieb: »Mit außerordentlichem Vergnügen habe ich dem Wunsche des Herrn B. Tauchnitz gewillfahrt, eine Ausgabe meines.... für den Festlandsvertrieb, im Besonderen für das deutsche Publicum vorzubereiten. Die Zuneigung einer großen Nation ist der werthvollste Lohn eines Autors und die Werthschätzung, welcher uns ein fremdes Volk würdigt, hat etwas von der Art und Geltung, die wir dem Urtheilsspruche der Nachwelt beimessen.« Mit dem Versprechen, »sein Unternehmen in demselben Eifer und Geiste, welche es bisher gekennzeichnet, zu verfolgen«, schließt der Verleger seinen Vorbericht und wandte sich mit neuer Energie seiner Aufgabe zu. Im Jahre 1869 erschien denn auch der 1000. Band, mit der aufrichtigsten Theilnahme von Seiten des Publikums und der Presse begrüßt, wie die herzlichen Kundgebungen bezeugen, welche dem erfolgreichen Verleger bei dieser Gelegenheit dargebracht wurden. Band 1000. (sowohl als Band 2000.) ist nicht auf den continentalen Vertrieb beschränkt, sondern darf auch auf englischem Gebiete verkauft werden. Es ist das Neue Testament in autorisierter englischer Uebersetzung mit einleitendem[942] Berichte über die drei bekanntesten Manuskripte in griechischem Originaltext von Constantin Tischendorf, der sich vor Allen zu dieser andächtigen und schwierigen Aufgabe eignete. Denn Tischendorf war es, welcher das Glück hatte, in den Jahren 1844 und 1859 im St. Catharinen-Kloster auf dem Berge Sinai den Sinaitischen Codex des Alten und Neuen Testaments zu entdecken. Der 1000. Band bekundet in andachtsvoller Weise des Herausgebers Dank für die schützende Güte Gottes und ferner seine Erkenntlichkeit für seine englischen und amerikanischen Autoren, indem er das Buch dazu bestimmte, »den Lebenden ein Zeichen der Achtung und den Todten ein Zoll des Dankes und der Erinnerung zu sein«. Schon zu jener Zeit hatte die »Tauchnitz-Edition« an 250000 Stereotypplatten zum Drucke der verschiedenen Bände erforderlich gemacht. Aber die Tatkraft und der Geist des Verlegers waren bestimmt, einen noch höheren Punkt des Erfolges zu erreichen, als die vielgenannte und reichhaltige »Collection« im Dezember 1881 die erstaunliche Anzahl von 2000 Bänden abrundete. Band 2000 ist betitelt: »Die englische Literatur unter der Regierung Victoria's mit einem Streifblicke auf die Vergangenheit, von Henry Morley etc. Mit einem Titelbilde und gewidmet Ihren Majestäten dem Könige Albert und der Königin Carola von Sachsen«. Der Band enthält eine Sammlung von 173 Faksimiles der Handschriften zeitgenössischer Schriftsteller, ein Vorwort von Tauchnitz, Einleitung von Professor Morley und Zusätze zu den Faksimiles, welche die Namen der falsch- und unbenannten Schriftsteller enthält. Der zweiten Auflage dieses höchst interessanten Buches ist ein wertvolles Namenverzeichnis beigefügt. In seinem Vorworte dazu drückt Tauchnitz »Gott seine tiefsten Dankgefühle aus, da es ihm vergönnt gewesen, sein Unternehmen die lange Zeit von 40 Jahren zu leiten und zwar 15 Jahre hindurch gemeinsam mit seinem ältesten Sohne Bernhard, der ihn mit größter Hingebung dabei unterstützte«. Ebenso gedenkt der Schreiber dankbar der Teilnehmer an seiner Collection, die bereits heimgegangen sind, aber in ihren Werken Denkmale ihres Talents und Ruhmes hinterlassen haben. Er spricht die Hoffnung aus, »daß diese Sammlung fortfahren wird, ihre Bestimmung zu erfüllen, indem sie die Vorliebe für englische Literatur außerhalb Englands und seiner Colonien kräftige«. Man begrüßte den 2000. Band mit allgemeinen Beifall, und in englischen, deutschen, amerikanischen, italienischen und französischen Blättern wurden zahlreiche freundliche und wohlwollende Stimmen laut, sowohl über Morley's Arbeit als im allgemeinen über die Tauchnitz-Edition. Die Sammlung, zur Zeit auf die stattliche Anzahl von über 2100 Bänden angewachsen, schließt alle[943] großen Namen der englischen und amerikanischen Literatur der Vergangenheit und Gegenwart ein; von Chaucer bis zu Tennyson, von Washington Irving und Nathaniel Hawthorne bis zu Mark Twain – ein prächtiges Denkmal von Fleiß und Tatkraft.« – So der »Bookseller«. Man darf fortfahren: eines deutschen Buchhändlers und zugleich ein Beweis für die Universalität deutscher Bildung im engern und weiteren Sinne.

1860 wurde Tauchnitz in Anerkennung seiner Verdienste um die englische Literatur der erbliche Freiherrntitel verliehen, dem 1872 die Ernennung zum britischen Generalkonsul folgte. 1866 nahm er seinen ältesten, 1841 geborenen Sohn Dr. Christian Carl Bernhard Freiherr von Tauchnitz als Teilhaber in sein Geschäft aus. Nach einer längern Krankheit auf seinen Gütern – es gehörten ihm die Rittergüter Klein-Zschocher bei Leipzig und Trattlau mit Reutnitz in der sächsischen Lausitz, welch letzteres als Fideikommiß von ihm errichtet wurde – starb Tauchnitz am 13. August 1895. Das Geschäft wurde von seinem Sohne in den alten Traditionen der Firma fortgeführt.

Quellen: 50 Jahre der Verlagshandlung B. T. 1837-1887; Lorck, B. T. im Adreßbuch des deutschen Buchhandels Jahrgang 1897; Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1883.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 5. Berlin/Eberswalde 1908, S. 940-944.
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Faksimiles:
940 | 941 | 942 | 943 | 944

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