Wolrabe, Nickel

[1056] Wolrabe. F. Kapp nennt im ersten Bande seiner Buchhandelsgeschichte die Firma Nickel Wolrabe in Leipzig ein Schwindelgeschäft, das sich nach Einführung der Reformation in Sachsen, 1539,[1056] zu fast unglaublicher Ausdehnung entwickelte. Der böse Genius Wolrabes war der Leipziger Handelsherr Sebastian Reusch, der seine lichtscheuen Geschäfte Wolrabe anzuhängen wußte.

Als Wolrabe, dessen Geschäft wahrscheinlich aus Jacob Thanners Buchdruckerei in Leipzig hervorgegangen ist, Georg Wizels »Postille« trotz des strengen Verbots antilutherischer Schriften druckte, wurde er gefangen gesetzt. Hohe Protektion befreite ihn zwar bald aus der Haft und sorgte auch dafür, daß ihm Kirchenordnungen, Apologien, Bibeln und Psalter sogar teilweise privilegiert zum Druck übertragen wurden, konnte Wolrabe aber nicht aus seinen Schulden herausreißen.

Neben Reusch stand Wolrabe mit zwei andern Kapitalistengruppen in Verbindung; die eine wurde gebildet durch Andreas Wollensäcker und andere, die zweite durch Merten Richter und Gregor Forster. Die Gesellschaft Wollensäcker hatte 1541 schon die bedeutende Summe von 8000 Gulden (etwa 160000 Mark) von Wolrabe zu fordern; dieser mußte nun seine ganze Habe verpfänden und die für die schuldige Summe gedruckten Werke der Gesellschaft als Eigentum überweisen, welche ihm einen Faktor (Sequester) ins Haus setzte. Was Wolrabe noch verblieben war, zog 1542 die andere Gruppe, Richter und Forster, an sich; auch sie bestellte ihm in seinem eigenen Diener Hans Mauser einen zweiten Sequester. Die Gruppe Wollensäcker verkaufte im Januar 1544 den Buchhandel an Hans Löffler in Wittenberg, Ambrosius Kirchner in Magdeburg und Peter Schürer für 4787 Gulden. Trotz dieser mißlichen Umstände gelang es Wolrabe, ein neues Opfer zu finden. Es war der reiche Kürschner Damian Lunckwitz, der garnichts vom Buchhandel verstand. Auch Reusch scheint wieder dahinter gesteckt zu haben: er verkauft an Mauser eine Partie Bücher für 1845 Gulden, welche letzterer nun ein neues Sortimentsgeschäft errichtete. Dann verkaufen Wolrabe und Reusch weitere Partien an die Buchführer Andreas Heil und Konrad König, ohne alles liefern zu können. So schlecht war der Ruf Wolrabe's und Reusch's, daß sogar der Rat sich veranlaßt fand, Heil und König vor dem Geschäft zu warnen, allerdings ohne Erfolg. Lunckwitz, der natürlich zu nichts kommen konnte, veräußerte seinen Buchhandel wieder an Wolrabe's Diener Wolf Günther. Endlich konnte sich Wolrabe nicht mehr in Leipzig halten. Er ging nach Frankfurt a. Oder, wo er es anfangs sogar zu Ansehen gebracht zu haben scheint; die Herrlichkeit hatte aber bald ein Ende. Er erscheint von neuem in Leipzig, beginnt hier wieder zu drucken, ohne jedoch seine Unternehmungen zum Abschluß bringen zu können. Er mußte seine Habe an Reusch[1057] abtreten, der alles weiter verkaufte. Im Jahre 1552 ging es mit Wolrabe zu Ende. Er wandte sich nach Dresden, kommt hiernach 1555 und später in Bautzen vor, wo sein Sohn Johann Wolrabe einen Schulbücherverlag betrieb.

Auch auf den durch Wolrabe und Reusch neugeschaffenen Geschäften ruhte kein Segen. Peter Schürer starb 1548 verschuldet. Das Geschäft übernahm Wolf Günther, der Schürers Witwe geheiratet hatte, ohne Mittel. Hans Mauser geriet gleichfalls in üble Umstände; sein Geschäft ging an Lorenz Finckelthaus über, der in seiner spätern, bedeutenden Verlagstätigkeit in Beziehung zu Ernst Vögelin kam. Der Buchdrucker Jakob Bärwald ferner, der Wolrabe's Haus und wohl auch einen Teil seiner Druckerei übernommen hatte, entging ebenfalls nicht argen Verlegenheiten und über Wolf Günthers Geschäft wurde nach dessen Tode (1557) der Konkurs eröffnet.

Quellen: Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels Band I; Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels Band 12 und 15.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 6. Berlin/Eberswalde 1908, S. 1056-1058.
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