§ 3. Herrschaft durch »Organisation«. Geltungsgründe der Herrschaft.

[548] Die beherrschende Stellung des jenem Herrschaftsgebilde zugehörigen Personenkreises gegenüber den beherrschten »Massen« ruht in ihrem Bestande auf dem neuerdings sog. »Vorteil der kleinen Zahl«, d.h. auf der für die herrschende Minderheit bestehenden Möglichkeit, sich besonders schnell zu verständigen und jederzeit ein der Erhaltung ihrer Machtstellung dienendes, rational geordnetes Gesellschaftshandeln ins Leben zu rufen und planvoll zu leiten, durch welches ein sie bedrohendes Massen- oder Gemeinschaftshandeln solange mühelos niedergeschlagen werden kann, als nicht die Widerstrebenden sich gleich wirksame Vorkehrungen zur planvollen Leitung eines auf eigene Gewinnung der Herrschaft gerichteten Gesellschaftshandelns geschaffen haben. Der »Vorteil der kleinen Zahl« kommt voll zur Geltung durch Geheimhaltung der Absichten, gefaßten Beschlüsse und Kenntnisse der Herrschenden, welche mit jeder Vergrößerung der Zahl schwieriger und unwahrscheinlicher wird. Jede Steigerung der Pflicht des »Amtsgeheimnisses« ist ein Symptom entweder für die Absicht der Herrschenden, die Herrengewalt straffer anzuziehen, oder für ihren Glauben an deren wachsende Bedrohtheit. Jede auf Kontinuierlichkeit eingerichtete Herrschaft ist an irgendeinem entscheidenden Punkt Geheimherrschaft. Die durch Vergesellschaftung hergestellten spezifischen Vorkehrungen der Herrschaft aber bestehen, allgemein gesprochen,[548] darin: daß ein an Gehorsam gegenüber den Befehlen von Führern gewöhnter, durch Beteiligung an der Herrschaft und deren Vorteilen an ihrem Bestehen persönlich mit interessierter Kreis von Personen sich dauernd zur Verfügung hält und sich in die Ausübung derjenigen Befehls- und Zwangsgewalten teilt, welche der Erhaltung der Herrschaft dienen (»Organisation«). Den oder die Führer, welche die von ihnen beanspruchte und tatsächlich ausgeübte Befehlsgewalt nicht von einer Uebertragung durch andere Führer ableiten, wollen wir »Herren« nennen, die in der erwähnten Art zu ihrer speziellen Verfügung sich stellenden Personen deren »Apparat«. Die Struktur einer Herrschaft empfängt nun ihren soziologischen Charakter zunächst durch die allgemeine Eigenart der Beziehung des oder der Herren zu dem Apparat und beider zu den Beherrschten und weiterhin durch die ihr spezifischen Prinzipien der »Organisation«, d.h. der Verteilung der Befehlsgewalten. Außerdem aber durch eine Fülle der allerverschiedensten Momente, aus denen sich die mannigfachsten soziologischen Einteilungsprinzipien der Herrschaftsformen gewinnen lassen. Für unsere begrenzten Zwecke hier gehen wir aber auf diejenigen Grundtypen der Herrschaft zurück, die sich ergeben, wenn man fragt: auf welche letzten Prinzipien die »Geltung« einer Herrschaft, d.h. der Anspruch auf Gehorsam der »Beamten« gegenüber dem Herrn und der Beherrschten gegenüber beiden, gestützt werden kann?

Es ist uns dies Problem der »Legitimität« schon bei Betrachtung der »Rechtsordnung« begegnet und hier in seiner Bedeutung noch etwas allgemeiner zu begründen. Daß für die Herrschaft diese Art der Begründung ihrer Legitimität nicht etwa eine Angelegenheit theoretischer oder philosophischer Spekulation ist, sondern höchst reale Unterschiede der empirischen Herrschaftsstrukturen begründet, hat seinen Grund in dem sehr allgemeinen Tatbestand des Bedürfnisses jeder Macht, ja jeder Lebenschance überhaupt, nach Selbstrechtfertigung. Die einfachste Beobachtung zeigt, daß bei beliebigen auffälligen Kontrasten des Schicksals und der Situation zweier Menschen, es sei etwa in gesundheitlicher oder in ökonomischer oder in sozialer oder welcher Hinsicht immer, möge der rein »zufällige« Entstehungsgrund des Unterschieds noch so klar zutage liegen, der günstiger Situierte das nicht rastende Bedürfnis fühlt, den zu seinen Gunsten bestehenden Kontrast als »legitim«, seine eigene Lage als von ihm »verdient« und die des anderen als von jenem irgendwie »verschuldet« ansehen zu dürfen. Dies wirkt auch in den Beziehungen zwischen den positiv und negativ privilegierten Menschengruppen. Die »Legende« jeder hochprivilegierten Gruppe ist ihre natürliche, womöglich ihre »Bluts«-Ueberlegenheit. In Verhältnissen stabiler Machtverteilung und, demgemäß auch, »ständischer« Ordnung, überhaupt bei geringer Rationalisierung des Denkens über die Art der Herrschaftsordnung, wie sie den Massen solange natürlich bleibt, als sie ihnen nicht durch zwingende Verhältnisse zum »Problem« gemacht wird, akzeptieren auch die negativ privilegierten Schichten jene Legende. In Zeiten, wo die reine Klassenlage nackt und unzweideutig, jedermann sichtbar, als die schicksalbestimmende Macht hervortritt, bildet dagegen gerade jene Legende der Hochprivilegierten von dem selbstverdienten Lose des Einzelnen oft eines der die negativ privilegierten Schichten am leidenschaftlichsten erbitternden Momente: in gewissen spätantiken ebenso wie in manchen mittelalterlichen und vor allem in den modernen Klassenkämpfen, wo gerade sie und das auf ihr ruhende »Legitimitäts«-Prestige der Gegenstand der stärksten und wirksamsten Angriffe ist. Der Bestand jeder »Herrschaft« in unserem technischen Sinn des Wortes ist selbstverständlich in der denkbar stärksten Art auf die Selbstrechtfertigung durch den Appell an Prinzipien ihrer Legitimation hingewiesen. Solcher letzter Prinzipien gibt es drei: Die »Geltung« einer Befehlsgewalt kann ausgedrückt sein entweder in einem System gesatzter (paktierter oder oktroyierter) rationaler Regeln, welche als allgemein verbindliche Normen Fügsamkeit finden, wenn der nach der Regel dazu »Berufene« sie beansprucht. Der einzelne Träger der Befehlsgewalt ist dann durch jenes System von rationalen[549] Regeln legitimiert und seine Gewalt soweit legitim, als sie jenen Regeln entsprechend ausgeübt wird. Der Gehorsam wird den Regeln, nicht der Person geleistet. Oder sie ruht auf persönlicher Autorität. Diese kann ihre Grundlage in der Heiligkeit der Tradition, also des Gewohnten, immer so Gewesenen finden, welche gegen bestimmte Personen Gehorsam vorschreibt. Oder, gerade umgekehrt, in der Hingabe an das Außerordentliche: im Glauben an Charisma, das heißt an aktuelle Offenbarung oder Gnadengabe einer Person, an Heilande, Propheten und Heldentum jeglicher Art. Dem entsprechen nun die »reinen« Grundtypen der Herrschaftsstruktur, aus deren Kombination, Mischung, Angleichung und Umbildung sich die in der historischen Wirklichkeit zu findenden Formen ergeben. Das rational vergesellschaftete Gemeinschaftshandeln eines Herrschaftsgebildes findet seinen spezifischen Typus in der »Bürokratie«. Das Gemeinschaftshandeln in der Gebundenheit durch traditionelle Autori tätsverhältnisse ist im »Patriarchalismus« typisch repräsentiert. Das »charismatische« Herrschaftsgebilde ruht auf der nicht rational und nicht durch Tradition begründeten Autorität konkreter Persönlichkeiten. Wir werden auch hier von dem uns geläufigsten und rationalsten Typus ausgehen, wie ihn die moderne »bürokratische« Verwaltung darbietet.[550]


Quelle:
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 51980, S. 548-551.
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