Aeacus

[1] Aeacus. (Gr. M.) Nachdem Jupiter als Stier die schöne Königstochter Europa über das Meer entführt hatte, verband er sich mit derselben, und die Frucht dieser Liebe waren Aeacus, Minos, Sarpedon und Rhadamanthys; andere Dichter geben dem Ersten eine andere Mutter, Aegina, eine Tochter des Flussgottes Asopus, um derenwillen Jupiter sich in einen Adler, und bei ihrer Umarmung in Feuer verwandelte. Den Vater, welcher der entführten Tochter nacheilte, scheuchte Jupiter durch Blitze zurück. Die Alten umgaben Aeacus mit Wundern von der Geburt an, durch welche die Grösse des künftigen Helden verkündigt werden sollte. Er ward Beherrscher der nach seiner Mutter benannten Insel, und regierte dieselbe so gerecht und weise, dass selbst die Götter ihn achteten und ehrten, wovon er in seinem Leben, wie nach seinem Tode Beweise empfing; so erzählt Diodor bei Gelegenheit der Ermordung des jungen Androgeus, Sohnes des Minos, dass durch ganz Attica, wegen der ungebüssten Blutschuld, eine schreckliche Dürre und Hungersnoth entstand. »Die Fürsten der Städte kamen zusammen und fragten das Orakel, auf welche Art sie dieser Plage ledig werden könnten; dieses erwiderte, sie sollten zu Aeacus und zu Aegina gehen und sie auffordern, für der Griechen Volk Bitten bei den Göttern einzulegen. Es geschah, und alsbald hörte in ganz Attica die Dürre auf.« In Aegina ward zur Erinnerung an dieses Ereigniss ein Denkmal aus weissem Marmor errichtet, das sogenannte Aeaceum. Juno aber, alle Kinder ihres Gatten so wie deren Mütter hassend, selbst die Länder, welche ihren Namen trugen, mit ihrem Zorn und ihrer Rache bedrohend, sandte auf das Gebiet von Aegina, eine schreckliche Plage herab, welche A. bei Ovid, Verwandl 7, 521-547, dem Cephalus, der viele frühere Bekannte auf Aegina vermisst, des Nähern schildert und zu Jupiter fleht, dass er ihm die Seinen zurückgeben oder ihn selbst sterben lassen wolle. Auf diese Bitte antwortete Zeus mit einem Blitz, welchen jener für ein Zeichen der Gewährung hielt. Da trat er zu einem mächtigen heiligen Eichbaum, aus dodonischem Samen entsprossen, an diesem sah er geschäftig durch die geborstene Rinde Ameisen auf und ab laufen und einen grossen Haufen aufbauen. So viele der Bewohner wünschte er sich; ein zweiter Donnerschlag ertönte, und betend, doch ohne Hoffnung der Erfüllung, warf er sich nieder vor der geahneten Nähe des mächtigen Gottes. Nachts aber, in dem verödeten Königspalast ruhend, erwacht er von Stimmen vieler Menschen, deren er sich beinahe schon entwöhnt hatte, und sein Sohn Telamon eilt herzu und verkündet ein Wunder; denn zahllose Männer und Frauen entströmen der heiligen Eiche, in Menschen verwandelt sind die Ameisen, und geschäftig, wie diese, führen sie ein arbeitsames, friedliches Leben, Myrmidonen benennt sie der König, zur Erinnerung an ihren Ursprung (Myrmex, die Ameise), theilt unter sie die Häuser und Aecker der Verstorbenen aus, und herrschte nunmehr über ein junges, neues Geschlecht. Dieser von den Göttern so hoch begünstigte und geehrte Sterbliche genoss noch einer andern ehrenden Auszeichnung: er durfte nämlich in Gesellschaft des Apollo und Neptun die Mauern von Troja erbauen, doch freilich konnte das Werk des Menschen dem der Götter nicht gleich kommen; ein Wunderzeichen verkündete seinen Untergang. Als nämlich der Bau vollendet war, kamen drei gewaltige Schlangen vom Meere heran; sie suchten sich auf die Mauer zu schwingen, zwei derselben fielen zurück, die dritte aber kam in die Stadt; der prophetische Gott Apollo erklärte dieses Zeichen so: an der Stelle, welche die Arbeit eines Sterblichen sei, werde die Stadt erstiegen werden, und zwar zweimal, und beide Male unter Mitwirkung von Nachkommen des A. - Wirklich eroberten noch sein Sohn Telamon und seine Urenkel Pyrrhus und Epöus, der Erbauer des berühmten trojanischen Rosses, Troja zu verschiedenen Zeiten. Die drei gewaltigen Schlangen oder Drachen sollen Pyrrhus, Achilles und Ajax andeuten, von denen der erste die Stadt eroberte, während die anderen vor den Mauern starben. - A. war vermählt mit der Tochter des Centauren Chiron, Endeis, welche ihm die beiden hochberühmten Helden, Peleus und Telamon, gebar, noch berühmter durch ihre Söhne, Achilles und Ajax. Von der Nereïde Psamathe hatte A. noch einen Sohn, Phocus, den er den beiden andern vorzog, wesshalb jene beschlossen, sich des lästigen Nebenbuhlers zu entledigen. Bei einem Spiel mit dem Discus schwang Telamon denselben so, dass er auf den Kopf des Phocus fiel und ihn erschlug, wesshalb dann Telamon und sein Bruder fliehen mussten, worauf Psamathe in ihre Heerden einen Wolf schickte, der dieselben bis auf das letzte Stück hinwürgte, und dann erst von ihr auf Bitten der Thetis in Stein verwandelt wurde. Des A. grosse Gerechtigkeitsliebe machte ihn so zum Liebling der Götter, dass ihm auch das Richteramt in der Unterwelt mit Minos und Rhadamanthys übertragen wurde.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 1.
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