Amazonen

Fig. 15: Amazonen
Fig. 15: Amazonen
Fig. 16: Amazonen
Fig. 16: Amazonen
Fig. 17: Amazonen
Fig. 17: Amazonen

[32] Amazonen, (Gr. M.). Nach Diodor wohnte am Flusse Thermodon ein von Weibern regiertes Volk, das sich, gleich den Männern, kriegerischen Beschäftigungen widmete. Eine dieser Frauen, welche durch Tapferkeit und Stärke sich auszeichnete und der königlichen Gewalt genoss, brachte ein ganzes Heer von Weibern zusammen, mit denen sie Kriegsübungen anstellte und darauf einige Völker der Nachbarschaft bezwang. Sie unternahm hierauf immer weitere Kriegszüge, sich, stolz auf das ihr treu scheinende Glück, eine Tochter des Mars nennend, wies den Männern Wollespinnen und andere häusliche Verrichtungen, sonst von den Weibern ausgeführt, an, erniedrigte sie zur tiefsten Knechtschaft, verstümmelte den neugebornen Knaben Hände und Füsse, um sie zum Kriegsdienst untauglich zu machen, und stellte die Führung der Waffen als ein Vorrecht der Weiber fest, denen in zarter Jugend noch die rechte Brust hinweggenommen wurde, damit sie ihnen dereinst nicht im Spannen des Bogens und Schwingen des Schwertes hinderlich werde, woher der Name »Amazones«, Brustlose. Diese Königin der A. hielt in ihren Feldzügen sorgfältig auf gute Ordnung, gründete die Stadt Themiscyra an der Mündung des Thermodon, und beschloss dann ihr thatenreiches Leben rühmlich auf dem Schlachtfelde. - Ihr folgte in der Regierung ihre Tochter, welche die Eigenschaften der Mutter alle in noch höherem Grade besass. Von frühester Jugend härtete sie die Mädchen zu allen Entbehrungen und Mühen des Krieges ab, stiftete dem Mars und der Diana (unter dem Beinamen Tauropolos) glänzende Feste, versah ihr Volk mit tüchtigen Gesetzen, und zog dann gegen die Völker jenseits des Don zu Felde, alle Länder bis gegen Thracien erobernd. Nun kehrte sie heim, pflegte die Künste des Friedens, baute den genannten Gottheiten prachtvolle Tempel und erwarb sich durch eine treffliche, milde Regierung die Liebe ihres ganzen Volkes, welches sie jedoch bald darauf auf die entgegengesetzte Seite ihres Reiches zu neuen Eroberungen führte, sich ganz Kleinasien, Syrien etc. unterwerfend. Von einer weiblichen Verwandtin dieser Herrscherin zur andern ging die Krone, und der Ruhm des Volkes erhöhte sich immer mehr, bis Hippolyta Königin ward und Hercules von Eurystheus den Auftrag erhielt, das goldene Wehrgehäng derselben zu holen. Er schlug ein Lager in der Nähe der Stadt Themiscyra auf, woselbst sich die Burg der Hippolyta befand, und forderte sie auf, ihm das Wehrgehäng zu geben. Da die Forderung abgeschlagen wurde, stellte Hercules sein Heer in Schlachtordnung und ein allgemeiner Kampf begann, in welchem die A. mit seinen Begleitern stritten, die stärksten aber sich dem Helden selbst entgegen stellten. Die erste derselben hiess Aella (Windsbraut); die zweite Philippis, sie fiel, im ersten Angriff tödtlich[32] verwundet; Proloë, welche sieben Mal im Zweikampf gesiegt, war die dritte, und Euryböa, welche nie des Beistandes bedurfte, unterlag, auch jetzt Beistand verschmähend, als die vierte. Celäno, Eurybia und Phöbe, sonst trefflich im Werfen des Speeres, fehlten diessmal ihres Zieles und wurden, da sie einander gegenseitig mit ihren Schilden zu decken suchten, von Hercules niedergemacht. Es kam nun Deïanira, Marpe, Asteria, Tecmessa, Alcippe und endlich auch die Anführerin Melanippe an die Reihe; alle fielen von der Hand des Hercules, bis auf die Letztere, welche gefangen und gegen das Wehrgehäng der Königin wieder ausgewechselt wurde. Eine der A., Antiope, schenkte Hercules dem Theseus; nach Anderen war es Hippolyta, die Königin selbst, von welcher der unglückliche Hippolytus stammte. Durch diesen Krieg war das Volk seiner Heldinnen beraubt und so entkräftet worden, dass es von den Nachbarn nicht mehr geachtet und aus Rache für die früheren Unbilden bekriegt wurde, bis endlich selbst der Name des Amazonenstammes vertilgt war. Noch eine Heldin, Penthesilea, zeichnete sich aus in der mythischen Geschichte der A.; sie kämpfte, nachdem sie ihr Vaterland, dessen Beherrscherin sie war, eines Mordes wegen verlassen, für Troja, nach Hectors Fall, tödtete viele der Griechen, indem sie mit dem höchsten männlichen Muthe die grösste Kraft verband, und fiel von Achilles' Händen. Herodot erzählt unter Anderem noch Folgendes von den A.: »Als die Hellenen kriegten wider die A., so schifften sie, nachdem sie gesiegt in der Schlacht am Thermodon, von dannen und nahmen mit auf dreien Fahrzeugen Alles, was sie von A. lebendig gefangen. Diese aber legten auf der hohen See Hand an die Männer und brachten sie um; sie kannten aber keine Schiffe und verstanden weder den Gebrauch des Steuers, noch der Ruder, sondern nachdem sie die Männer umgebracht, liessen sie sich treiben von Wind und Wellen und gelangten nach Cremni an dem See Mäotis im Lande der Scythen. Die Letzteren konnten sich die Sache gar nicht erklären, denn weder das Volk, noch die Sprache, noch die Kleidung war ihnen bekannt; sie waren daher sehr verwundert, wo jene hergekommen, glaubten auch, es wären lauter Männer, welche gegen sie stritten, aber aus dem Streit bekamen die Scythen etliche Todte in ihre Hand, und da sahen sie, dass es Weiber waren. Da beschlossen sie, für der auf keine Art sie zu tödten, sondern die jüngsten aus ihren Leuten, und eben so viele, als es der Frauen waren, an sie abzuschicken; diess sollten sich in ihrer Nähe lagern und alles thun, was sie jene thun sähen, und wenn sie von ihnen verfolgt wurden, sollten sie nicht kämpfen, sondern fliehen, und wenn sie nachliessen, sich ihnen wieder nähern und ihr Lager aufschlagen. Diess beschlossen die Scythen in der Absicht, Nachkömmlinge von jenen tapfern Weibern zu erhalten. Als die A. merkten, dass die Jünglinge nicht in feindlicher Absicht gekommen waren, bekümmerten sie sich nicht um jene; ein Lager kam aber dem andern von Tag zu Tag näher, auch lebten beide auf demselben Fusse, nämlich von Jagd und Raub. Nun zerstreuten sich die A. zur Mittagszeit immer zu eins und zwei, und entfernten sich nach allen Seiten; als auch diess die Scythen gemerkt, thaten sie gerade so, und einer machte sich an ein Mädchen, das ganz allein war; die A. sträubte sich nicht, bedeutete ihm auch, er solle des andern Tages wieder an den nämlichen Ort kommen und noch einen Jüngling mitbringen, sie würde dessgleichen thun. Diess geschah auch, und die A. wartete schon mit einer andern an dem bestimmten Ort. Die übrigen Jünglinge, als sie diess erfuhren, machten die Mädchen auch zahm, sie vereinigten ihre beiden Lager, und jeder behielt diejenige A. zum Weibe, welche er zuerst kennen gelernt. - Nun wollten die Jünglinge mit den also Genommenen in ihre Heimat zurückkehren; diese aber erwiderten ihnen: »Wir werden mit euren Weibern nicht leben können, denn sie haben nicht dieselben Sitten, wie wir. Wir würden uns also nicht mit ihnen vertragen können; aber wenn ihr uns zu euren Weibern haben wollt, so gehet zu euren Aeltern, holet euch von euren Gütern euer Theil, und dann kommt her, dann wollen wir für uns selber leben.« Die Jünglinge thaten also, und, nachdem sie von ihren Gütern erhalten, was ihnen zukam, kehrten sie zurück zu den A. Die Weiber aber sprachen zu ihnen: »Wir sind in Furcht und Angst, dass wir in diesem Lande hier leben sollen, weil wir euch eurer Väter beraubt, und eurem Lande vielen Schaden zugefügt; lasst uns aufbrechen, über den Tanaïs ziehen und allda wohnen. Auch darin gehorchten die Jünglinge; sie gingen über den Tanaïs; und als sie in die Gegend kamen, da sie jetzt wohnen, schlugen sie daselbst ihre Zelte auf, und daher haben die Weiber der Sauromaten noch ihre alten Sitten, und gehen zu Pferde auf die Jagd aus, mit den Männern und ohne die Männer, und gehen in den Krieg, und haben dieselbige Kleidung, wie die Männer.« - Strabo sagt von den A.: »Die Geschichte der A. zeigt viel Eigenthümliches; in allen andern Fällen kann man das Wahre von dem Falschen ziemlich leicht unterscheiden, dahingegen wird von den A. noch jetzt eben dasselbe berichtet, wie vor alten Zeiten, obgleich diese Erzählungen so[33] abenteuerlich sind und sich so sehr von dem Anschein der Wahrheit entfernen, als nur immer möglich; denn wer sollte wohl glauben, dass ein Heer, eine Stadt oder ein ganzes Volk von Weibern ohne Männer bestehen könne, ja über die Nachbarn geherrscht und durch Kriege seine Macht bis Jonien und bis nach Attica erstreckt habe? Ephesus, Smyrna, Cumä, Myrina, Paphos und viele andere Städte mehr sollen von ihnen erbaut und benannt worden sein, und was Themiscyra und die um den Thermodon liegende Gegend betrifft, so werden diese überall das Land der A. genannt, und alle Schriftsteller kommen darin überein, dass sie aus diesen Gegenden vertrieben worden; doch nur wenige Schriftsteller sagen uns etwas von ihrem späteren Aufenthalt, und auch diese Nachrichten sind nichts weniger als gewiss. So ist z.B. die Geschichte von der Thalestris, einer Königin der Amazonen, die nach Hyrcanien zog, um von Alexander dem Grossen Kinder zu bekommen, durchaus nicht erwiesen, und die glaubwürdigsten Schriftsteller über Alexander erwähnen hievon nichts.« Diodor erzählt: »Nach der gewöhnlichen Meinung hat es ausser den A. am Flusse Thermodon keine anderen gegeben; allein dieses ist unrichtig, die libyschen gehören nur einer viel früheren Zeit an, haben aber auch ausserordentliche Thaten vollführt. Im westlichen Theile Libyens gab es nämlich ein Volk, das unter Weiberherrschaft stand, und eine von der unserigen sehr verschiedene Lebensweise befolgte. Das Kriegführen war ein Geschäft der Weiber, sie mussten eine gewisse Zeit lang die Dienste der Krieger versehen und Jungfrauen bleiben; waren die Jahre dieser Dienstpflichtigkeit vorüber, so verbanden sie sich zwar mit Männern, um ihr Geschlecht fortzupflanzen, die öffentlichen Aemter jedoch und die Regierung des Landes behielten sie sich allein vor. Die Männer aber lebten dort, wie bei uns die Frauen, in häuslicher Zurückgezogenheit, hatten mit Krieg und Staatsverwaltung nichts zu thun, durften überhaupt nirgends öffentlich auftreten. Gleich nach der Geburt wurden die Kinder den Männern übergeben, welche dieselben mit Milch und andern Nahrungsmitteln aufziehen mussten. Wenn ein Mädchen geboren wurde, brannte man ihr die Brüste aus, damit sie zur Zeit der Reife sich nicht erheben möchten, weil man dieses als ein bedeutendes Hinderniss bei der Waffenführung ansah. - Sie sollen eine Insel im tritonischen See bewohnt haben, die Hespera genannt wurde, weil sie weit gegen Westen, in der Nähe des die Welt umfliessenden Oceanus liegt. Der See hat seinen Namen von dem Flusse Triton, der in denselben fällt. Ihr kriegerischer Muth trieb die A., zuerst die Städte der Insel zu erobern, mit Ausnahme einer einzigen, welche Mene hiess, für heilig galt und von den äthiopischen Ichthyophagen bewohnt war. Nachdem die Amazonen die Insel erobert hatten, gingen sie auf Abenteuer aus, und es kam sie die Lust an, einen grossen Theil der Welt zu durchwandern. Nachdem sie zuerst in das Land der Atlantiden eingefallen, besiegten sie die Bewohner von Cerne in einer Schlacht und eroberten die Stadt, indem sie mit den Fliehenden zugleich in die Thore derselben drangen. Um Schrecken bei den Nachbarn zu verbreiten, verfuhren sie grausam, tödteten die junge Mannschaft und führten Weiber und Kinder als Gefangene fort. Hierdurch in Furcht gesetzt, übergaben die Atlanteer ihnen die Städte, vor denen sie erschienen, und versprachen, alle Bedingungen, die ihnen vorgeschrieben würden, zu erfüllen. Myrina aber, die Königin der A., behandelte sie mit Milde, schloss ein Freundschaftsbündniss mit den Atlanteern, und baute, statt der zerstörten, eine neue Stadt, welche den Namen der Königin erhielt. Dahin durften auch die Gefangenen ziehen, und wer sonst noch wollte. Dafür wurden der Myrina Ehrenbezeugungen und kostbare Geschenke im Namen des ganzen Volkes gebracht, welche Huldigung sie günstig aufnahm und fernere Freundschaft versprach. Nun waren die Einwohner häufig von den Gorgonen, einem benachbarten Weibervolke, bedroht, mit welchem sie überhaupt in Fehde lebten. Auf die Bitte der Atlanteer fiel daher Myrina in der Gorgonen Gebiet, und lieferte ihnen eine Schlacht, in welcher die A. die Oberhand behielten. Die Gorgonen wurden alle niedergemetzelt, die gefallenen A. aber auf drei grossen Scheiterhaufen verbrannt und ihnen als Grabmäler drei Hügel aufgeworfen, die noch jetzt A.hügel heissen. In der Folgezeit wuchs die Macht der Gorgonen wieder, sie wurden jedoch abermals überwunden, durch Perseus; zuletzt aber vertilgte Hercules sowohl die A. als die Gorgonen gänzlich. - Die Grundlage des A.-Mythus ruht ohne Zweifel in einem uralten vorderasiatischen Mond-Cultus, oder der Verehrung einer Mondgöttin in einem fanatischen Dienste, so dass uns die A. als Ergänzung der Corybanten oder Gallen erscheinen. Wie in jenen entmannten Priestern in dem Männlichen sich das Weibliche darstellte, so zeigt sich in den A. das entgegengesetzte Verhältniss der Darstellung des Männlichen im Weiblichen. Die Auffassung stimmt mit dem Namen A., die Brustlosen, überein, in welchem die Idee der vernichteten Weiblichkeit und Mütterlichkeit leicht zu finden ist. Auf jenen Mondcultus, als dessen Priesterinnen demnach die ursprünglichen A. zu fassen wären, weist Mehreres hin: ihre Verbindung mit der ephesischen Diana, einer Mondsgöttin, ihre Verschonung der Stadt Mene, d.h. Monds-Stadt, der halbmondförmige Schild, den sie trugen. Je mehr dieser Mondcultus sich ausbreitete, desto mehr lässt der Mythus das kriegerische Volk der A. erobernd vordringen; je mehr aber der Dienst der Sonne über den des Mondes das Uebergewicht gewann, desto mehr werden die A. zurückgedrängt und endlich vernichtet. - Die griechische Kunst hat die A. dargestellt als kräftige Jungfrauen, wie die Nymphen der Diana, mit Speer, Streitaxt, mondförmigem Schild, Kriegiergurt um die Hüften, Bogen, Köcher, dem Schwert an einem Wehrgehänge, das über die Brust läuft, nie mit einer, immer mit zwei Brüsten.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 32-34.
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