Amenthes

[35] Amenthes, das Todtenreich, der Hades der Aegypter. Anubis leitet die Abgeschiedenen dahin, welche Osiris richtet. Die manchfaltige Aehnlichkeit der ägyptischen Vorstellungen von einer Unterwelt mit den entsprechenden griechischen, hat, bei der übrigen so grossen Kluft zwischen der Geistesart beider Völker, viel Auffallendes. Wie bei den Griechen Pluto und Proserpina, so beherrschen bei den Aegyptern Osiris und Isis die Schatten; wie dort Mercur, so ist hier Anubis Führer der Todten. Da dieser in Hundsgestalt, wenigstens hundsköpfig, gebildet wird, so erinnert er überdiess an Cerberus. Da nun aber die Aegypter auf die Einbalsamirung der Leichname so hohen Werth legten, dass sie die Fortdauer des Individuums an die Erhaltung seiner Mumie geknüpft dachten, so können wir obige Vorstellungen hiemit nicht in reine Uebereinstimmung bringen. Es ist daher eine sehr wahrscheinliche Vermuthung neuerer Gelehrten, dass der Unterweltsglaube der Aegypter, ebenso wie ihre Verehrung des Osiris, etwas ihrem ursprünglichen Religionssystem Fremdes und erst von aussen Eingeführtes sei. Hiefür spricht auch der Umstand, dass Osiris von Herodot einer der jüngeren Götter der Aegypter genannt wird, so wie, dass der Mythus von seinen Schicksalen mit dem phönicisch-griechischen von Adonis so grosse Aehnlichkeit hat. So wäre also vielleicht Phönicien als Vermittlungsglied zwischen den ägyptischen und griechischen Vorstellungen vom Todtenreich anzusehen.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 35.
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