[85] Avernus (Röm. M.), ein See in Unteritalien, nahe bei Bajä, welcher ehemals, als den Göttern der Unterwelt[85] heilig, von Fremden und Einheimischen der Orakel wegen häufig besucht wurde, aber schon zu Augustus Zeiten seine frühere Ehrwürdigkeit verloren hatte. Strabo sagt von ihm: »Es ist der A. eigentlich nichts, als ein eng mündender Meerbusen, tief und gross genug, um alle Eigenschaften eines sichern Hafens zu haben, dessen man sich jedoch, des lucrinischen Meerbusens wegen, der vor ihm liegt, nicht als eines solchen zu bedienen pflegt. Er ißt von schroffen Felsen umgeben, welche überall, ausser bei seiner Einfahrt, über ihn herabhängen, die aber gegenwärtig urbar sind und besäet werden; eben so ist auch gegenwärtig der grosse Wald, welcher sonst diesen See umgab und mit düsteren Schatten überzog, ausgerodet worden. Mancherlei Mährchen wurden von den Anwohnern verbreitet, so zum Beispiel, dass die Vögel, die über ihn hinwegfliegen wollten, der giftigen Ausdünstungen wegen, welche von ihm aufstiegen, es nicht vermöchten, sondern getödtet hineinfielen.« (daher der dem Griechischen entlehnte Name Avernus oder Aornos, d.h. vogellos, wie dieses auch bei anderen, dem Pluto geweihten Oertern erzählt zu werden pflegte). »Es ist ehemals ein Orakel hier gewesen, und der Grund von der Fabel des Pyriphlegethon soll in nichts Anderem, als in den warmen Bädern in der Nachbarschaft von Acherusia liegen. Ephorus ist der Meinung, dass die Cimmerier in dieser Gegend gewohnt hätten; er sagt: sie waren Troglodyten, die in unterirdischen Gebäuden lebten, welche sie Argillen nannten. Diese Gebäude sind unter einander durch unterirdische Gänge verbunden, mittelst deren ihre Bewohner einander gegenseitig aufsuchen können. Das Orakel, welches sie haben, liegt gleichfalls unter der Erde, und die Fremden, die dasselbe besuchen, müssen sich eben dieser unterirdischen Wege bedienen, welche die Bewohner selbst gebrauchen. Sie leben von ihren Metall-Gruben und demjenigen, was sie von den Fremden bekommen, die ihr Orakel befragen. Bei demjenigen, die um dieses Orakel her leben, ist es eine von den Vätern ererbte Gewohnheit, die Sonne niemals zu sehen, sondern nur zur Nachtzeit aus ihren Höhlen hervorzugehen. In der folge wurden diese Cimmerier von einem Könige, den ihr Orakel getäuscht hatte, vertrieben, ihr Orakel selbst aber an einen andern Ort versetzt, an welchem es noch jetzt fortdauern soll. Dieses - fährt Strabo fort - sind Fabeln gewesen, welche die Schriftsteller, die vor unserer Zeit gelebt, ausgesonnen; denn diess haben wir in unseren Tagen erfahren, da Agrippa den Wald, der um den A. herumstand, niederhauen und an dessen Stelle Häuser aufführen, auch einen unterirdischen Gang vom A. bis nach Cumä hin ausgraben liess, unerachtet ich glaube, dass Coccejus, der Baumeister, welcher diesen Gang ausführte, diese Altenweibermährchen für wahr gehalten, denn es wäre wohl kein unterirdischer Gang vom A. nach Cumä geführt worden, wofern nicht Coccejus dafür gehalten, die Ehre dieses Ortes erfordere, die Wege unter der Erde wegzuführen, da sie bei andern Völkern über dieselbe gehen.« - Nach den Schilderungen neuerer Reisenden liegt der A. in schöner, aber ungesunder Gegend, ist sehr tief, von Hügeln umgeben, in seiner Nähe ein alter Apollo-Tempel, eine lange Höhle, welche die Einwohner von Puzzuoli für den alten Eingang zur Unterwelt halten, und die Grotte der cumäischen Sibylle. Von dem Canale, der ihn mit dem Lucriner-See vereinigte, ist jetzt nichts mehr zu sehen, da die Gegend im Jahre 1538 durch ein Erdbeben sehr verändert wurde.