Baldur

Fig. 54: Baldur
Fig. 54: Baldur

[95] Baldur, (Nord. M.), Sohn des Odin und der Frigga, hochgeehrt als der schönste und gütigste der Asen; seine Schönheit ist so ausserordentlich, dass ihn stets leuchtendes Feuer umstrahlt, dass sein Haupt wie die Sonne erglänzt. Er war voll Beredtsamkeit und so gerecht, dass ein Urtheil, welches er aussprach, nicht mehr geändert werden konnte; dabei war er tapfer und furchtlos, doch beunruhigten ihn zu einer Zeit sehr ängstliche Träume, wesshalb seine Mutter alle Dinge der Welt schwören liess, B.n nicht zu schaden. Diess war auf Odins Rath geschehen, denn besorgt um seinen Sohn, hatte er einen Ritt nach der Unterwelt gemacht, um die Nornen der Träume wegen zu befragen, und diese hatten ausgesagt, das Schicksal habe B.s Untergang beschlossen, worauf Odin hoffte, durch obigen Rath demselben zu begegnen; allein dem Schicksal unterliegen selbst die Götter, uns so konnte auch B. demselben so wenig entgehen, als Odin ihm entgehen wird. Von Frigga waren unter Anderem alle Pflanzen in Eid genommen, nur der junge zarte Baumspross Misteltein schien der Göttin noch zu schwach und zu unbedeutend, um ihn einen so ernsten Schwur ablegen zu lassen: Loke hatte der Götter-Königin diess Geheimniss entlockt, indem er in der Gestalt eines alten Weibes sie treuherzig machte; auf seine Veranstaltung wuchs der Baum schnell empor, und als einstmals, seiner Unverletzlichkeit sich bewusst, B. den Asen ein Fest gab, bei welchem sie nach ihm schossen, hieben, mit Steinen und Lanzen warfen, ohne dass ihm dieses schadete, mischte sich Loke unter die Spielenden, gab dem blinden, überaus starken Hödur, Bruder B.s, den ausgerissenen Misteltein, lenkte seinen Arm dahin, wo B. stand, und dieser fiel durchbohrt zu Boden. Jetzt war seine Wohnung Breidablik ein Aufenthalt der tiefesten Trauer; die Götter vermochten nicht einmal Rache zu nehmen an dem schändlichen Loke, denn der Aufenthalt in Asgard war eine so heilige Freistätte, dass sie selbst den grossen Verbrecher schützte, doch ward er aus ihrer Versammlung gebannt. - Um dem jungen Gotte die letzte Ehre zu erweisen, wollte man ihn auf seinem Schiffe, dem schönsten, das je erbaut worden, dem glänzenden Ringhorn, verbrennen; allein ehe die Götter dazu schritten, sollte ihre Trauer noch vermehrt werden, indem die liebliche Nanna, B.s Gattin, vor Gram über den Geliebten Verlust plötzlich starb. Es wurden nun auf dem Schiffe zwei Scheiterhaufen errichtet, und die Leichen der Liebenden darauf gelegt; dann wollte man das Schiff in's Meer schieben, und es, von allen Seiten angezündet, den Wogen überlassen; allein es war nicht von der Stelle zu bewegen, obwohl Thor Rollen und Hebel unter dasselbe gesetzt hatte; in dieser Verlegenheit sandten die Asen nach der Riesin Hyrokian, welche eine grosse Zauberin war; sie kam auf einem Wolfe angeritten, welchen vier [95] Berserker in ihrer höchsten Zornesstärke nur dann halten konnten, als die Riesin selbst ihn zu Boden geworfen hatte; nun trat diese an das Schiff, und gab ihm einen solchen Stoss, dass es flott wurde und weit in die See flog, und die untergelegten Hölzer, durch die gewaltige Reibung, in Brand geriethen. Thor ergrimmte hierüber in wilder Eifersucht, und hätte die Riesin mit seinem Hammer Miölner zermalmt, wenn die übrigen Asen nicht dazwischen getreten wären; allein da sein einmal erwachter Zorn schwer ohne Blutvergiessen zu stillen war, so musste ihm auch hier ein Opfer fallen: das war der Zwerg Litur, der ihm, während er die Scheiterhaufen entzündete und mit seinem Hammer weihete, zwischen die Füsse kam; sogleich ergriff er denselben und warf ihn in die Gluth. - Alle Asen, viele Joten, Rhimtussen und Zwerge waren bei der Feierlichkeit zugegen. Sie opferten B., indem jeder etwas ihm Werthvolles in die Flamme warf; auch Odin legte einen kostbaren Goldring in's Feuer, doch fand man denselben unversehrt wieder, da die Asche gesammelt wurde, und B.s Geist hatte, um seinen Vater zu erfreuen, demselben die Eigenschaft ertheilt, dass in jeder neunten Nacht acht gleich schöne Goldringe von demselben herunter träufelten, wovon er den Namen Drupner (Tröpfler) bekam. - Nach dem Leichenbegängniss sagte Frigga, wer ihre ganz besondere Gunst verdienen wolle, der möchte zur Hela (Todesgöttin) herniedersteigen, um ihr ein Lösegeld für B. anzubieten, damit er wieder zur Oberwelt zurückkehren dürfe. Hermode, Odins Sohn', bot sich hiezu an, und erhielt des Vaters achtfüssiges Wunderpferd Sleipner, auf welchem er neun Tage und neun Nächte durch tiefe, finstere Thäler und Höhlen ritt, bis er an den Höllenfluss Giall und dessen Brücke kam, über die er, zum Schrecken der sie hütenden Jungfrau Modgudur, sprengte. Er wünschte zu wissen, ob sie B. nicht auf Hela's Wegen gesehen? Er ritt gestern über die Brücke des Giall, sagte diese; willst du den Todten suchen, so musst du dich weiter rechts auf der Todtenstrasse wenden. Das that Hermode, und kam an die Hecke, welche die Hölle umschloss; da gürtete er sein Pferd fester, nahm einen Ansatz, sprengte hinüber und fand dort auch seinen Bruder B. auf erhabenem Throne in der Wohnung der Hela. Letztere ward nun gebeten, den jungen Gott mit dem Bruder zur Oberwelt zurückkehren zu lassen, und Alles an Lösegeld zu fordern, was sie nur wünsche. Hela erwiderte, sie verlange kein Lösegeld; wenn Alles um B. traure, wie Hermode gesagt, solle er frei zurückkehren, doch wenn irgend ein lebendes oder lebloses Geschöpf der Erde ihn nicht beweine, müsse er in Helwed bleiben. Mit reichen Geschenken und schlechtem Troste kehrte Hermode von B. und Nanna zurück, doch zu seinem Staunen schien der Asen Wunsch in Erfüllung zu gehen, denn die ausgesandten Boten kehrten zurück, sagend, selbst die Steine weinten um B.: aber der letzte der Boten fand in einer abgelegenen Höhle ein Iotenweib mit Namen Tok, welche auf seine Forderung, ihm ein Trauerzeichen um B. zu geben, diess entschieden verweigerte. - Der schadenfrohe Loke soll unter dieser Gestalt verborgen gewesen sein, und so tödtete seine Arglist nicht nur den edlen Gott, sie verhinderte auch seine Auferstehung; daher muss B. in Helaheim bleiben, bis zur grossen Götterdämmerung, dann werden sich auch die Pforten der Unterwelt öffnen und der Gott daraus hervorgehen, um mit seinen Brüdern das neue Asgard, Gimle (Himmel), aufzubauen. - Unser Bild zeigt die Scene, wo Baldur von Hödur getroffen wird, in rohen Umrissen, wie ein alter Runenstein sie uns bewahrt hat, ermangelnd aller Schönheit der Form, hart und ungestaltet, fast kindisch.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 95-96.
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