Epimenides

[189] Epimenides (Gr. M.), Sohn eines reichen Heerdenbesitzers aus Phästus bei Gortyna auf der Insel Creta; der Name des Vaters lautet verschieden, als Mutter wird eine Nymphe angegeben. Er soll einst, bei seines Vaters Heerden weilend, ein Thier verloren haben, dann, ermüdet vom Suchen, in eine Höhle gerathen und dort eingeschlafen sein; nach kurzer Zeit wieder erwachend, habe er im Suchen fortgefahren und sich gewundert, in einer ganz unbekannten Gegend zu sein, bis er, in seines Vaters Haus kommend, bemerkte, dass er Niemand kenne und er auch von Niemand erkannt werde; da löste sich dann das Räthsel, er hatte nämlich 56 Jahre geschlafen, sein Vater war gestorben, seine Heerden hatten sich unterdessen fünfzehnmal erneuert, sein jüngerer Bruder war ein Greis geworden. Bald verbreitete sich das Wunderbare dieses Vorfalles, er galt für einen Liebling des Apollo, für einen heiligen Mann und Seher, und als solcher ward er denn auch in ganz Griechenland betrachtet, so dass ganze Städte sich von ihm wegen begangener Verbrechen reinigen liessen, wie diess Athen um des Mordes der Cylonier willen (612 v. Chr.) that, indem es den Wundermann zu sich berief (596 v. Chr.). Er erbat sich dafür einen Zweig von dem heiligen Oelbaum auf der Acropolis. Wann E. gestorben, ist ungewiss; man gab ihm ein Alter von 150, ja sogar von 300 Jahren.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 189.
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