Krasopanj

[300] Krasopanj (Slav. M.), »schöne Frau«, die Liebesgöttin der alten Bewohner von Mähren, zugleich die vornehmste Gottheit des Landes, welche in den Hauptstädten Brünn und Olmütz prächtige Tempel hatte. Zu Brünn[300] stand derselbe auf dem Berge, wo jetzt der Dom ist: er war aus zierlich behauenen Steinen aufgeführt, im Innern mit Gold und edlen Steinen auf das Köstlichste verziert. In diesem Tempel stand die Göttin auf einem von zwei weissen Tauben und zwei Schwänen gezogenen Wagen. Tkani's Mythologie der Deutschen und Slaven gibt folgende Beschreibung von dieser Göttin: »Sie war ganz nackt und in der reizendsten Körperform gebildet, die Augen voll süsser, lockender Liebe, aus den zauberisch lächelnden, halb geöffneten Lippen ragte eine Rosenknospe, die Haare flossen nachlässig den Rücken entlang bis an die Kniee, und das Haupt zierte ein mit Purpurrosen durchflochtener Myrthenkranz; weisser als Schnee glänzte im Jugendschimmer ihr Leib. Aus einer Oeffnung in der linken Brust, durch die man bis zum Herzen sehen konnte, schoss ein Feuerstrahl hervor; in der rechten Hand hielt sie drei goldene Aepfel, in der linken eine Weltkugel, auf welcher Sonne, Mond, Sterne, Meer u.s.w. abgebildet waren. Gleich hinter der Göttin standen drei nackte Jungfrauen, ebenfalls mit frei herabhängenden Haaren, einander mit dem Rücken zugewendet; Eine gab der Andern mit der Linken einen goldenen Apfel, den diese mit der Rechten nahm, so dass dadurch alle drei in einander verschlungen waren; dass diese drei Mädchengestalten die mährischen Charitinnen oder Grazien vorstellten, bedarf kaum einer Erinnerung.« - Auffallend unter sämmtlichen slavischen Völkern ist hiebei nur, dass bis jetzt noch kein Künstler erstanden ist, der etwas dem Aehnliches hätte bilden können, was hier als vorhanden angeführt worden ist. Nackte Göttergestalten können nur unter einem so glücklichen Himmel entstehen, als der ist, welcher das schöne Griechenland überwölbt; nur dort, wo Kleidung eine Last, wo mithin der Körper nicht durch engende Binden und Gürtel entstellt ist, wo der Künstler jeden Augenblick Gelegenheit findet; die reinsten, edelsten Gestalten zu sehen, mag er zu solchen Schöpfungen begeistert werden, wie sie Tkani uns aufstellt; waren je solche Bilder zu Brünn, so müssen sie nothwendig durch die Römer dahin gekommen sein. - Bei dem Brünner, wie bei dem Olmützer Tempel soll ein Erziehungshaus gewesen sein, in denen zusammen 150 Töchter der vornehmsten Adeligen des Landes erzogen wurden.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 300-301.
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