Perchtha

[372] Perchtha (Germ. M.), ursprüngliche, althochdeutsche Form des Namens Bertha. Die eigentliche Bedeutung war: »die Leuchtende, Glänzende, Hehre.« Dieses Wesen, ähnlich oder auch ganz einerlei mit Frau Holda, erscheint gerade in den oberdeutschen Gegenden, wo diese aufhört, in Schwaben, Elsass, Schweiz, Baiern und Oestreich; ein Theil von Franken und Thüringen kennt P. und Holda neben einander, wenigstens ist hier die Gränze zwischen beiden. Schon dem Sinne des Wortes nach war P. ursprünglich eine gütige, Freude bringende Göttin; aber selten wird sie noch so vorgestellt, gewöhnlich ist die grauenhafte Seite hervorgehoben; sie tritt als ein fürchterliches, Kinder schreckendes Scheusal auf. In den Erzählungen von P. herrscht die böse Bedeutung vor, wie in denen von Holda die gute. Ihre Identität ergibt sich unter Anderem auch daraus, dass beide zu gleicher Zeit, in den Zwölften zwischen Weihnachten und Erscheinungsfest, ihren Umgang halten, doch ist für P. ein eigenthümlicher Tag am Schluss dieser Periode, der Perchtag, Perchtabend, bestimmt. P. führt, wie Holda, Aufsicht über die Spinnerinnen; was sie am letzten Tag des Jahres unabgesponnen findet, verderbt sie. Ihr Fest muss durch eine althergebrachte Speise, Brei und Fische, begangen werden. Wer an ihrem Tage andere Speise zu sich genommen hat, dem schneidet sie den Bauch auf, füllt ihn mit Häckerling, und näht mit einer Pflugschar statt der Nadel, mit einer Eisenkette statt des Zwirns, den Schnitt am Leibe wieder zu. Eine alte Sage meldet: in dem fruchtbaren Saalthal zwischen Bucha und Wilhelmsdorf hatte P. ihren alten Sitz; auf ihr Gebot mussten die Heimchen (provincieller Name für Elfen) die Fluren der Menschen bewässern, während sie unter der Erde mit ihrem Pfluge ackerte; zuletzt aber veruneinigten sich die Leute mit ihr und sie beschloss, das Land zu verlassen; auf Perchthen-Abend wurde der Fährmann im Dorfe Alkar für spät in der Nacht bestellt, und als er zum Ufer der Saale kam, erblickte er eine hehre Frau, umgeben von weinenden Kindern, die von ihm Ueberfahrt forderte. Sie betrat das Fahrzeug, die Kleinen schleppten einen Pflug und eine Menge andern Geräthes hinein, unter lautem Wehklagen, dass sie aus der schönen Gegend[372] weichen müssten. Am andern Ufer angelangt, hiess P. den Schiffer nochmals fahren und die zurückgebliebenen Heimchen holen. Unterdessen hatte sie an ihrem Pfluge gezimmert, deutete auf die Späne, und sagte zum Fährmann: »Da nimm, das sei der Lohn für deine Mühe!« Mürrisch steckte er drei von den Spänen ein, warf sie zu Hause auf das Fensterbrett, und sich geängstigt in's Bette. Am Morgen lagen drei Goldstücke da, wohin er die Späne gelegt hatte. In Baiern heisst P. die wilde oder eiserne Bertha, Frau Bertha mit der langen Nase oder mit der eisernen Nase. Im Salzburgischen wird noch bis auf den heutigen Tag ihr zu Ehren das Perchten-Laufen, Perchten-Springen zur Zeit der »Raubnächte« gehalten. Im Pinzgau ziehen dann 100-300 Bursche (sie heissen die Berchten) bei hellem Tag in seltsamster Vermummung mit Kuhglocken und knallenden Peitschen umher. - Als ein gutes, günstiges Wesen erscheint sie noch in manchen andern, gewiss uralten Vorstellungen. Die weisse Frau ist ihr schon dem Namen nach völlig gleichbedeutend. Diese weisse Frau pflegt zwar an bestimmte Geschlechter geknüpft zu werden, aber den Namen Bertha fortzuführen, z.B. Bertha von Rosenberg. Schneeweiss gekleidet, zeigt sie sich Nachts in fürstlichen Häusern, wiegt und trägt die Kinder, wenn die Ammen schlafen: sie tritt auf als alte Ahnmutter des Geschlechtes, und kündigt daher auch in manchen hohen Häusern durch ihr Erscheinen den nahe bevorstehenden Tod einer fürstlichen Person an. - Es hat Vieles für sich, dass einige in den deutschen Ueberlieferungen berühmte Frauen dieses Namens, wie Bertha, die Mutter, Bertha, die Tochter Karls des Grossen, mit der geisterhaften Bertha zusammenhängen: sie sind aus der Göttersage in die Heldensage aufgenommen worden.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 372-373.
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