Teocatli

[427] Teocatli (Mexikanisch), »Gotteshaus, Gottesplatz«: die Tempel der früheren Bewohner von Mexiko; ihrer waren unzählige, in der Hauptstadt des Reiches aber über zweitausend, worunter viele von ausserordentlichem Umfang; in jeder kleinen Ortschaft, auf den Spitzen der Berge, an den Heerstrassen u.s.w. fand man deren in Menge. Fast alle waren mehr oder minder steil aufsteigende Pyramiden von bedeutender Grösse, an der Basis 300 bis 600, in senkrechter Höhe 180 bis 200 Fuss messend; ihre vier Ecken waren nach den vier Weltgegenden gerichtet; fünf, sechs und mehr Absätze von dreissig, vierzig Fuss Höhe bildeten die Pyramide; von Absatz zu Absatz stieg man auf einer Treppe, welche so breit war, als der Absatz selbst, und meistentheils so angebracht, dass man, um von dem einen auf den andern zu gelangen, alle vier Seiten der Pyramide umgehen musste. Der grösste und merkwürdigste Tempel in Mexiko, der des Huitzilopochtli, hatte fünf gleich hohe Absätze, welche oben etwa sechs Fuss breit waren; die Treppen führten auf die angegebene Weise von Absatz, zu Absatz, und endlich zu der Plateform, welche 258 Fuss Länge und 204 Fuss Breite hatte; auf der östlichen Seite standen zwei Thürme, die eigentlichen Tempel, in denen die Götzenbilder auf hohen Altären zur Verehrung aufgestellt waren. Der Zweck dieser Bauart war offenbar, ein hohes Gerüste zu haben, auf welchem man, einer zahlreichen Menschenmenge gleichzeitig sichtbar, die Opfer verrichten konnte. Hiezu fand sich, den Thürmen entgegengesetzt, ein grosser viereckiger, oben gewölbter Opferstein, und auf diesen ward der zu opfernde Mensch gelegt, Arme und Beine von vier Priestern an den vier Ecken, der Kopf von dem fünften mit einem zangenähnlichen Instrument gehalten, und ihm von einem sechsten mit einem Kieselsteinmesser die Brust aufgeschnitten, das Herz herausgerissen, der Sonne dargeboten und dann dem Gotte, dessen Tempel es war, auf dem man opferte, zu Füssen gelegt, oder auf einem goldenen Löffel in den Mund gesteckt; die Lippen des Bildes bestrich man mit dem Blute des Opfers, schnitt demselben den Kopf ab und warf den Körper in den Hof des Tempels, von wo er dann durch den frühern Besitzer abgeholt und von seinen Gästen verspeist wurde. Die Tempel waren zugleich Festungen; eine hohe, sehr starke Mauer umgab einen weiten Hof, in welchem die Gebäude für die Priester, Waffenmagazine, Vorrathskammern, Badeteiche, Lustgärten etc. angebracht waren. Die gemauerten Pyramiden dienten den Königen als Begräbnissstätte.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 427.
Lizenz:
Faksimiles: