Bleiben

[1060] Bleiben, verb. irreg. neutr. welches mit dem Hülfsworte seyn abgewandelt wird; ich bleibe, du bleibst, er bleibt; Imperf. ich blieb; Mittelwort geblieben; Imperat. bleib; fortfahren zu seyn, in den meisten Bedeutungen dieses Zeitwortes.

1. Sein Daseyn behalten, fortfahren zu existiren, im Gegensatze des Vergehens. So lange noch das Andenken von Rom bleiben wird. In dieser Bedeutung wird es heut zu Tage im Hochdeutschen wenig mehr gebraucht. In der Deutschen Bibel kommt es dagegen in derselben desto häufiger vor. Man soll den Stock mit seinen Wurzeln bleiben lassen, Dan. 4, 23. Den Frommen gibt Gott Güter, die da bleiben, Sir. 11, 15. Daß sein Nahme in Israel bleibe, Ruth 4, 14. Der Herr aber bleibet ewiglich, Ps. 9, 8 u.s.f. Doch ist auch das Mittelwort bleibend für dauerhaft im Hochdeutschen nicht selten. Du hast nichts, was deinen Ruhm bleibend machen könne. Wir haben hier keine bleibende Stätte, welche R.A. von einigen unbillig getadelt worden, die diese erste Bedeutung des Zeitwortes nicht gekannt haben. Er hat keine bleibende Stätte, sagt man auch im gemeinen Leben von einem, der sich nicht gern lange an einem Orte aufhält.

2. Fortfahren, gewisse Eigenschaften zu haben, in einem gewissen Zustande beharren, da denn dieser Zustand auf mancherley Art ausgedruckt werden kann. 1) Mit der ersten Endung des Hauptwortes. Ich bleibe dein Freund. Willst du denn immer ein Bösewicht bleiben? Wir Menschen bleiben Schüler so lange wir leben. Deine Freude selbst kann ohne Veränderung nicht Freude bleiben, Dusch. 2) Mit dem Infinitiv des Zeitwortes. Stehen bleiben, liegen bleiben, sitzen bleiben, fortfahren zu stehen, zu liegen, zu sitzen.


Sie trifft ihn schlafend an, bleibt von der Seite stehen,

Gell.


So auch kleben bleiben, hängen bleiben, leben bleiben, stecken bleiben. Doch läßt sich diese Wortfügung nur mit wenig Zeitwörtern gebrauchen, die man nicht nach Gutdünken vermehren darf. Die eben angeführten werden wohl die vornehmsten seyn. 3) Mit Nebenwörtern. Gesund, reich, arm, blind bleiben. Er blieb unbeweglich. Wir sind noch allein verschont geblieben. Das wird wohl nicht verschwiegen bleiben. Wer kann immer aufgeräumt bleiben? Treu bleiben. Beständig bleiben. Lebendig bleiben. Einem etwas schuldig bleiben. 4) Mit Vorwörtern. Am Leben bleiben, lebendig bleiben. Er bleibt nicht auf Einer Rede, im gemeinen Leben. Bleib bey diesen Gedanken, du wirst wohl dabey fahren, Gell. Bey Ehren bleiben, seinen guten Nahmen behalten. Es bleibt dabey, es bleibt unverändert, so, wie es gesagt, verglichen worden. Es bleibt bey meinem Versprechen. Ich denke, es soll bey der ersten Einrichtung bleiben, Gell. Erklären sie sich, ob es noch bey den tausend Thalern an Gelde bleiben soll, ebend. Er bleibt dabey, er behauptet es beständig. Er bleibt dabey, er habe es dir gegeben. Sie bleibt beständig dabey, daß das Thier Menschenverstand hätte, Gell. Hierher gehöret, 5) auch die Oberdeutsche Wortfügung, da bleiben anstatt des Vorwortes[1060] zuweilen auch mit der zweyten Endung des Hauptwortes verbunden wird. Des festen Entschlusses, des beständigen Vorsatzes bleiben. Diese Wortfügung ist im Hochdeutschen ungewöhnlich, außer etwa in der Redensart, der Meinung bleiben, die aber nicht hinreicht, es mit Bödikern zu einer Regel zu machen, daß bleiben einen Genitiv regiere, wenn es eine Natur, Beschaffenheit oder Sitten andeutet.

3. Fortfahren, an einem gewissen Orte zu seyn, den Ort nicht verändern, in welcher Bedeutung es so wohl mit Vorwörtern, als auch mit Nebenwörtern, in einigen figürlichen Bedeutungen aber auch mit Nennwörtern verbunden wird.

1) Eigentlich. Zu Hause bleiben, nicht ausgehen. Ich kann hier unmöglich bleiben. Du hättest mit deinen Sittenlehren immer zu Hause bleiben können, figürlich und im gemeinen Leben. Da bleiben. Die Hefen bleiben auf dem Boden. Bey einem bleiben. Bleib bey mir. Bey einem zu Tische bleiben. In seines Vaters Hause, auf dem Berge, im Walde, auf der Gasse bleiben u.s.f. Von einem bleiben, nicht zu ihm gehen. Bleib mir vom Leibe, im gemeinen Leben, nähere dich mir nicht. Beysammen bleiben, bey einander bleiben, zurück bleiben u.s.f. Zuweilen auch absolute. Er weiß vor Jammer kaum zu bleiben, Gell. er ist vor Jammer so unruhig, daß er an keinem Orte bleiben kann. Im gemeinen Leben wird in dieser Bedeutung auch wohl der Infinitiv als ein Hauptwort gebraucht. Hier ist meines Bleibens nicht, ich finde es nicht für nützlich, oder rathsam, hier zu bleiben. Sein Bleibens an einem Orte behalten, welche Redensart unter den Bergleuten üblich ist.

2) In weiterer und figürlicher Bedeutung. (a) Ausbleiben, nicht kommen. Wo bist du so lange geblieben? Ich weiß nicht, wo die Post bleibt, warum sie nicht ankommt. Er bleibt sehr lange. Ingleichen figürlich: wo bleibt nun dein Versprechen, dein mir so heilig gethanes Versprechen? Wo bleibt nun dein mir gegebenes Wort? (b) Übrig bleiben, mit der dritten Endung der Person. Von seinen großen Reichthümern ist ihm nichts, als sein Garten geblieben. Außer dem, was du hier verschrieben liesest, bleibt mir nichts mehr, Dusch. Was noch von Begierden in ihm bleibt, ist der Wunsch ruhig zu sterben, ebend.


Ihm bleibt zum Schirm allein

Sein Degen und sein Arm,

Wiel.


Ingleichen, in eines Besitz bleiben. Das soll dir vor mir wohl bleiben, ich will es dir nicht nehmen. Der Sieg muß mir wohl bleiben. Dein Königreich soll dir bleiben, Dan. 4, 23. (c) Verschwiegen bleiben, mit den Vorwörtern bey und unter. Es bleibt zur Zeit noch unter uns, wir wissen es jetzt nur noch allein. Daß muß unter uns bleiben. Laß das bey dir bleiben. (d) Nicht zur Wirklichkeit gebracht werden, nicht geschehen, unterbleiben, nur in der gesellschaftlichen Schreib- und Sprechart. Wenn es noch nicht geschehen ist, so mag es bleiben. Es wäre gut, wenn es damit so lange bleiben könnte, bis ich komme. Am häufigsten mit dem Verbo lassen, für unterlassen. Laß deine Reise bleiben. Er wird es wohl bleiben lassen. Das lasse ich wohl bleiben, das thue ich gewiß nicht. Das soll er mir wohl bleiben lassen, das ist ihm unmöglich zu bewerkstelligen.

4. Sterben, umkommen. An einer hitzigen Krankheit bleiben, Gell. Besonders, in einem Treffen, in einem Gefechte umkommen. Auf dem Platze bleiben. Es sind in diesem Gefechte viele tapfere Leute geblieben. Es ist kein Mann geblieben. Gegen den Feind, und noch besser, vor dem Feinde bleiben. Ingleichen auf dem Wasser umkommen. Das Schiff[1061] ist gestrandet und das ganze Schiffsvolk ist geblieben. Zuweilen gebraucht man dieses Wort auch von dem Schiffe selbst, und alsdann bedeutet es stranden, verunglücken. Das Schiff ist geblieben. In dieser ganzen Bedeutung wird die gegenwärtige Zeit von bleiben wohl nicht leicht vorkommen. Gemeiniglich siehet man diese Bedeutung als die figürliche von der vorigen an, weil einer, der in einem Gefechte umkommt, wirklich auf dem Schlachtfelde zurück bleibt. Man setzet dabey voraus, daß bleiben nur von dem Umkommen in einem Gefechte üblich sey. Allein das Gegentheil erhellet schon aus einigen der oben angeführten Beyspiele. In ältern Zeiten kommen deren noch mehrere vor.


Er selbo meinta auur thaz

Thaz er tho biliban uuas.

Ih uuille iu iz zellen quad er ér,

Ist Lazarus bilibaner.


Er meinete aber damit, daß er (Lazarus) geblieben (d.i. gestorben) war. Ich will es euch sagen, sprach er, Lazarus ist geblieben (gestorben). Ottfried B. 3, Kap. 23, V. 98. Swa ein meiger blibet der des Goteshuses ist, wenn ein Meier stirbt, der dem Gotteshause gehöret, in einem handschriftlichen Salbuche des Klosters Ebersheim bey dem Schilter. Da nun bleiben überhaupt auch sterben bedeutet hat, so lässet sich diese Bedeutung wohl nicht unmittelbar aus den vorigen herleiten, sondern man muß sie aus der ersten eigenthümlichen des Wortes leiben oder leben herleiten. S. die Anmerkung. Be würde hier alsdann so viel als ver oder ab bedeuten. S. auch Ableben.

Anm. Dieses Wort lautet bey dem Kero pilibin, bey dem Üebersetzer Isidors bileiphan, bey dem Ottfried biliban, und im Angels. belafan. Aus dieser Schreibart erhellet, daß es ein zusammen gesetztes Wort ist, dessen erste Hälfte die Partikel be ist. Die andere Hälfte lautet bey dem Ulphilas lifnan, und bey den Fränkischen und Alemannischen Schriftstellern leiban, und bedeutet übrig lassen. Za leiba ist bey dem Kero, und zi leuba bey dem Ottfried, so viel als der Überrest. Das Schwedische lifwa, Isländ. lifa und Engl. to leave, bedeuten noch jetzt hinterlassen; im Nieders. ist leven erblich hinterlassen, und Lawa, Lowa eine Erbschaft oder Verlassenschaft; in Schwaben sagt man noch jetzt, eine Speise leiben, d.i. übrig lassen, und in dieser Bedeutung kommt es mit dem Griech. πειπειν genau überein. Indessen ist dieses wohl nicht die erste und eigentliche Bedeutung des Wortes leiben, sondern es scheinet mit Leib und leben genau verwandt zu seyn, ob man gleich nicht sagen kann, welches von allen dreyen der Quelle am nächsten ist. Was lebt, ist da oder übrig, und was übrig bleibt, lebt gewisser Maßen. Be verstärkt nur die Bedeutung und deutet ein fortgesetztes Leben oder Daseyn an. Nur in der vierten Bedeutung, da bleiben für sterben gebraucht wird, hat es die entgegen gesetzte und eine jetzt ungebräuchlich gewordene Bedeutung. Bleiben kommt ohne Zusammenziehung noch in dem Buche Belial von 1472 vor. Das Niedersächs. bliben, das Schwed. blifwa, und Dän. blive kommen in der Bedeutung mit dem Hochdeutschen überein. Die alte Gewohnheit, da man das Augmentum zuweilen von den Verbis wegließ, hat sich bey diesem wohl noch am längsten erhalten. Wären wir doch in Mycene blieben, Gottsch. Heut zu Tage aber wird sich wohl kein guter Schriftsteller dieses Übelstandes mehr schuldig machen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1060-1062.
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