Flüchtig

[225] Flüchtig, -er, -ste, adj. et adv. welches in der weitesten Bedeutung des Zeitwortes fliehen und in einigen Bedeutungen des Wortes fliegen gebraucht wird. 1) Auf der Flucht begriffen. Flüchtige Soldaten. Die Soldaten wurden flüchtig. Der Schuldner ist flüchtig geworden. Den flüchtigen Feind verfolgen. Unstet und flüchtig sollt du seyn auf Erden, 1 Mos. 4, 12, 14. Sich auf flüchtigen Fuß setzen, entfliehen. 2) Was schnell entfliehet, schnell vergehet. Unser Leben ist flüchtig. Eine flüchtige (vergängliche) Schönheit. So schön wie eine Landschaft, auf der schnell der Thau in flüchtigen Nebel verduftet, Sonnenf. Die Empfindungen des Schönen Geschlechts sind zarte und flüchtige Empfindungen, Gell. Das war nur so ein flüchtiger Einfall, ein flüchtiger Gedanke. Flüchtige Farben, welche bald vergehen. Ingleichen, was leicht verflieget, sich leicht in zarte Dünste auflöset. Der Salzgeist, Uringeist, das Quecksilber sind sehr flüchtig. Flüchtige Theile, welche die Hitze in Gestalt von Dämpfen oder Dünsten aus einem Körper scheidet, im Gegensatze der feuerbeständigen. 3) Schnell, mit Leichtigkeit schnell. Ein flüchtiges Pferd. Ein flüchtiges Geblüt, welches leicht in Wallung gebracht werden kann. Ein flüchtiger Pinsel, der die Farben mit Leichtigkeit aufträgt. Eine flüchtige Zeichnung, welche mit leichter Kühnheit in der Eil verfertiget ist. 4) Im nachtheiligen Verstande, was in der Eil, nur so obenhin geschiehet. Eine flüchtige Vorstellung von etwas haben. Ich habe ihn nur so flüchtig gesehen. Wir müssen den flüchtigen Anblick der Schöpfung in einen bedachtsamen verwandeln, Gell. 5) In der Luft fliegend, in einigen Fällen. Ein flüchtiges (fliegendes) Gewand, bey den Mahlern. Bey den Kupferstechern heißt dasjenige flüchtig, was in der Luft zu schweben scheinet, und mit Fleiß ausgearbeitet ist, wie die Blätter an den Capitälen. 6) Mürbe, brüchig, im Bergbaue. Ein flüchtiges Gestein, welches mürbe und brüchig ist. Ein flüchtiges Gezimmer, welches auf keinem festen Grunde ruhet, baufällig ist.

Anm. Bey dem Ottfried in der ersten Bedeutung fluhtig, im Dänischen flygtig, im Schwedischen flyktig, Nieders. flugtsk. Fliuhteklich kommt bey den Schwäbischen Dichtern für schnell vor. Im Oberd. hat man von diesem Beyworte auch das Zeitwort sich flüchtigen für flüchten, fliehen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 225.
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