Gegen

[478] Gêgen, ein Vorwort, welches nach dem heutigen Hochdeutschen Gebrauche in allen Fällen die vierte Endung des Nennwortes erfordert, und überhaupt die Richtung eines Zustandes oder einer Bewegung nach einem Dinge bezeichnet, welche allgemeine Bedeutung auch in den besondern und figürlichen zum Grunde lieget. Es bedeutet

I. Überhaupt, die Richtung eines Zustandes oder einer Bewegung nach einem Dinge, der Zustand oder die Bewegung sey nun körperlich oder nicht.

1) Die Richtung eines körperlichen Zustandes, die Lage, Stellung. Das Haus liegt gegen Morgen, gegen Abend, es hat Thüren gegen alle vier Welttheile. Ein Berg, der gegen die Wüste siehet, 4 Mos. 21, 26. Einen Altar gegen das Land Canaan bauen, Jos. 22, 11. Sie setzen sich gegen das Grab, Matth. 27, 61. Die anziehende Kraft des Magnetes gegen das Eisen.

Im Oberdeutschen in dieser Bedeutung gemeiniglich mit der dritten Endung, welche Luther mehrmahls beybehalten hat. Er saß gegen der Thür des Hauses, Esth. 5, 1. Das Volk liegt gegen mir, 4 Mos. 22, 5. Es stunden drey Männer gegen ihm, 1 Mos. 18, 2. Du sollst deine Hand nicht zuhalten gegen deinem Bruder, 5 Mos. 15, 7; und so in andern Stellen mehr.

Vermuthlich stammet von dieser Oberdeutschen Verbindung auch der Hochdeutsche Dativ her, wenn gegen mit dem Vorworte über verbunden wird, wenn nicht die dritte Endung hier mehr von über, als von gegen herrühret. Gegen über, (nicht gegenüber,) stehen alsdann hinter dem Nennworte. Er saß mir gegen über. Er wohnt dem Rathhause gegen über. Der Mauer gegen über. Oder gegen tritt vor das Nennwort. Er saß gegen mir über, gegen dem Rathhause über, gegen der Mauer über. So auch mit dem Vorworte zu, wo gegen gleichfalls noch die dritte Endung bekommt, auch wenn das Zeitwort eine Bewegung bezeichnet, und vor dem Nennworte stehet, obgleich diese ganze Art zu reden in der edlen Schreibart unbekannt ist. Gegen der Stadt zu wohnen, nicht gegen die Stadt zu. Richte dein Angesicht gegen dem Südwind zu, Ezech. 20, 46.

2) Die Richtung einer körperlichen Bewegung auf einen Gegenstand oder nach demselben. Sich gegen Morgen, gegen Abend wenden. Die Füße gegen einen kehren. Sich gegen seinen Gönner neigen, vor ihm. Mit dem Lager gegen die Stadt rücken. Sich gegen das Gebirge wenden. Die Hand gegen jemanden ausstrecken. Der Druck des flüssigen Körpers gegen den Boden. Ist der Körper, nach welchem die Bewegung gerichtet ist, ein Ort, und wird dessen eigenthümlicher Nahme beygefüget, so ist im Oberdeutschen das Kürzere gen üblich. S. Gen.

In eben dieser Mundart erfordert gegen in dieser Bedeutung gleichfalls die dritte Endung.


In den dannken sah er hergon

Gegen im den tewerlichen Held,

Theuerd. Kap. 16


Der pauer im ein zulauff nam

Gegen dem edlen Helden dar,

Theuerd. Kap. 47.


Und so in allen Stellen dieses Buches. Du sollst ausgebreitet werden gegen dem Abend, 1 Mos. 28, 14. Eure Garben[478] neigten sich gegen meinen Garben, 1 Mos. 37, 7. Tritt gegen ihm an das Ufer des Wassers, 2 Mos. 7, 15; und so in hundert Stellen mehr. Im Opitz und andern Oberdeutschen Schriftstellern ist diese Wortfügung sehr häufig.

3) Figürlich, die Richtung eines unkörperlichen Zustandes, einer unkörperlichen Handlung auf einen Gegenstand und nach demselben; wo dieses Vorwort sehr häufig gebraucht wird, es mag nun die Handlung oder der Zustand dem Gegenstande angenehm seyn oder nicht. Liebe, Achtung, Ehrfurcht gegen jemanden haben. Die Liebe Gottes gegen die Menschen. Er ist freundschaftlich, feindselig gegen mich gesinnt. Sich liebreich, freygebig, geitzig, mißtrauisch gegen seine Freunde erweisen. Gegen alle Ermahnungen taub seyn. Dankbar, undankbar gegen seinen Wohlthäter seyn. Die Pflichten gegen andere ausüben. Meine ganze Seele zerfließt in Mitleiden gegen dich. Sie thut sehr freundlich gegen ihn. Ein Versehen gegen das männliche Geschlecht. Gegen seinen Nächsten auf Rache sinnen. Der Mensch, der nichts gegen seinen Schöpfer fühlt, Gell. Menschen von diesem Schlage scheinet die Abneigung gegen die Gesellschaft der Menschen eine Thorheit zu seyn, Zimmerm. Er that sehr vertraut gegen mich. Der Ungehorsam gegen die Ältern. Der Ekel gegen die Weisheit und Tugend, Gell. Solche Reden gegen eine Mutter zu führen? Seine Miene sagt mehr als nöthig ist, den Verdacht gegen ihre Tugend zu bestärken, Gell. Gleichgültig gegen etwas seyn. Drohungen gegen einen ausstoßen. Lassen sie sich nichts gegen sie merken, Gell. In dem Menschenfreunde lebt ein gütiges Verlangen, das in seiner Art gegen andre zu seyn, was Gott gegen alle ist, ebend. Der Ekel, den junge Leute gegen das Lesen haben, ebend. Gott hat ein unwandelbares Mißfallen gegen das Laster, ebend.

Im Oberdeutschen auch hier mit der dritten Endung. Das Angesicht Labans war nicht gegen ihm, wie gestern, 1 Mos. 31, 2. Du sollst dein Herz nicht verhärten gegen deinem armen Bruder, 5 Mos. 15, 7. Du sollst dich nicht also halten gegen dem Herrn, Kap. 18, 14. Ihr Herren thut auch dasselbige gegen ihnen, Ephes. 6, 9; und so in andern Stellen mehr. Sie hetten sich gegen den Leuten unnachbarlich erzeigt, Bluntschli, ein Zürcher.

II. Mit verschiedenen Nebenbegriffen und Bildern.

1) Mit dem Nebenbegriffe des Widerstandes, der Bestreitung desjenigen Dinges, gegen welches die Bewegung gerichtet ist, für wider, so wohl in eigentlichem als figürlichem Verstande. Gegen den Wind segeln. Gegen den Strom schwimmen. Gegen Wind und Wetter bedeckt liegen. Gegen die Wand, gegen die Mauer rennen. Die Hanseestädte behaupteten die Ostsee lange Zeit gegen die Holländer. Was kann er gegen die Gewalt? Ich kann nichts gegen ihn ausrichten. Gegen eines Befehl handeln. Gegen die Regeln seines Ordens sündigen. Die Hitze wird alsdann so heftig, daß kein Mensch gegen dieselbe ausdauern kann, Zimmerm. Dinge die sich gegen unsre Erwartung zutragen. Sich gegen die Obrigkeit auflehnen, empören. Einen Anschlag gegen jemanden haben. Eine Arzeney gegen das Fieber. Sich gegen jemanden wehren. Alles streitet gegen dich. Er hat mit ihm gemeine Sache mich gemacht. Jede böse Lust ist eine Empörung gegen Gott, Herm. Die Weisen des Alterthums wußten nicht, wie sie den Verstand in seiner Überzeugung gegen so viele Anfälle der Sinne und der Leidenschaften unterhalten sollten, Gell. Was können gegen das Ansehen des göttlichen Wortes alle Zweifel ausrichten? ebend.[479]

Im Oberdeutschen wiederum mit der dritten Endung. Ob jemand wider den Riß stünde gegen mir, Gzech. 22, 30. Der König gegen Mittag wird sich gegen ihm streuben, Dan. 12, 40. Da zogen gegen ihnen heraus die Schützen, Judith 6, 7. Da Judas das hörte, zog er gegen ihm und that eine Schlacht, 1 Macc. 3, 11; und so in andern Stellen mehr.

Einige Sprachlehrer, denen der Reichthum einer Sprache, wenn sie einen und eben denselben Begriff mit zwey Worten ausdrucken kann, ein Ärgerniß ist, haben diese Bedeutung des Wortes gegen verworfen, und dafür wider zu gebrauchen vorgeschrieben. Besonders eifert Gottsched dagegen, aber, wie seine Gewohnheit war, ohne einigen Grund anzuführen. Andere haben Gründe angeführt, welche aber leicht beantwortet werden könnten, wenn der Raum es verstattete, und die kurz vorher angeführten Beyspiele, welchen noch viele aus Luthers Bibel beygefüget werden könnten, eine förmliche Beantwortung nicht unnöthig machten.

2) Der Vertauschung, da eine Sache wegen einer andern, zu deren Ersetzung, Vergeltung u.s.f. gegeben wird, wie das Vorwort für. Die Kriegesgefangenen gegen einander auswechseln. Waare gegen Waare, Geld gegen Waare geben. Ich verkaufe es nicht anders als gegen bare Bezahlung. Seine Freyheit gegen Bürgschaft erhalten. Seine Ehre gegen eine Kleinigkeit auf das Spiel setzen. Ich wette hundert gegen eins. Geld gegen Quittung aufnehmen. Binnen acht Tagen soll das Geld gegen den gesetzten Abzug bezahlet werden, Gell.

Auch hier im Oberdeutschen mit der dritten Endung. Eine holdselige Schönheit gegen einem häßlichen Bilde verwechseln, Opitz.

3) Der Vergleichung. Gleichwie ein Tröpflein Wasser gegen das Meer: so geringe sind seine Jahre gegen die Ewigkeit, Sir. 18, 8. So man sie gegen andere Thiere hält, sind sie viel ärger, Weish. 15, 18. Die Kastanienbäume waren nichts gegen seine Zweige, Ezech. 31, 8. Reichthum halte ich für nichts gegen sie, Weish 7, 8, 9. Eine Sache gegen die andere halten, sie mit der andern vergleichen. Die heißesten Bitten eines Freundes sind zu kalt gegen die Liebkosungen des Liebhabers. Ihr Betragen machte einen seltsamen Contrast gegen ihre Kleidung. Gegen uns bist du noch glücklich. Sempronii Vermögen ist eine Kleinigkeit gegen Caji Reichthum. Andere Leute gegen sich verachten. Der schmerzlichste Tod, was ist er gegen ein Leben ohne dich? Weiße. Der nächste Grund dieser Figur liegt darin, daß gegen ehedem auch für neben gehraucht wurde, welche Bedeutung im Hochdeutschen größten Theils veraltet ist. Er stellete sich gegen mir oder mich.

Luther hat auch in dieser Bedeutung mehrmahls die Oberdeutsche Wortfügung mit der dritten Endung beybehalten. Ich muß gering geachtet seyn, gegen ihr, 1 Mos. 16, 5. Gegen wem messet ihr euch? Es. 46, 5. Sie sollen klein seyn gegen andern Königreichen, Ezech. 29, 15. So wäre es doch nichts gegen deiner Wohlthat, Tob. 9, 2. Haltet ihre Schönheit gegen meiner Jugend, Opitz.


Daß gegen ihnen Schnee zu gleichen sey der Tinten,

Opitz.


4) Der Nähe oder Annäherung, nicht weit von einem Orte oder von einem Zeitpuncte. Gegen das Ende des Blattes, des Tages. Gegen Abend fing es an zu regnen. Es gehet gegen den Morgen, es wird bald Morgen seyn. Gegen den Herbst, gegen den Frühling u.s.f. Gegen die Messe komme[480] ich wieder. Er ist jetzt gegen (ungefähr) dreyßig Jahr alt. Der Stein liegt gegen das Ende des Ackers.

Im Oberdeutschen gleichfalls mit der dritten Endung. Von dem Morgen an bis an den Abend gegen dem andern Tage, 1 Sam. 30, 17. Gegen der Wüsten, gegen dem großen Felde wohnen, Judith 2, 13; Kap. 4, 5.

5) Der Anwesenheit, Gegenwart; eine im Hochdeutschen zum Theil veraltete Bedeutung, welche noch in der Deutschen Bibel mit der dritten Endung vorkommt. Das Volk liegt gegen mir, 4 Mos. 22, 5. Es stunden drey Männer gegen ihm, 1 Mos. 18, 2. Ich kann nicht aufstehen gegen dir, 1 Mos. 31, 35. Wo im Hochdeutschen vor üblicher ist. Doch sagt man noch: Er hat etwas davon gegen mich erwähnt. Laß dich nichts gegen ihn merken. Er rühmte sich gegen ihn, daß u.s.f. Sich gegen seine Vorgesetzten über etwas beschweren. Sein Herz gegen einen Freund ausschütten. Wo außer dem Begriffe der Richtung auch noch der Begriff der Gegenwart herrschet.

Anm. 1. Dieses Vorwort lautet bey dem Kero kagan, der es auch für wegen gebraucht, in der Monseeischen Glosse gagan, bey dem Notker gagen, bey dem Willeram gegen, im Nieders. jegen und tegen, im Angels. agen, ongean, gean, im Holländ. tegen, tegens, im Dän. gien, im Schwed. gen, igen, im Isländ. gegn, wo es überall auch contra, wider, bedeutet. Es stammet vermuthlich von gehen, ehedem nur gan ab, und wurde zuweilen auch in Gen verkürzet, S. Gen.

Anm. 2. Aus dem vorigen erhellet, daß dieses Vorwort im Oberdeutschen in allen seinen Bedeutungen sehr häufig, ja fast jederzeit mit der dritten Endung verbunden wird, ob sich gleich auch einige Beyspiele von der vierten finden. Min minna ingegen dih, Willeram. Im Hochdeutschen ist hingegen zu allen Zeiten die vierte Endung am üblichsten gewesen, vermuthlich auf Veranlassung der Niedersachsen, welche die dritte und vierte Endung in ihrer Mundart nicht alle Mahl unterscheiden. Daher rühret vermuthlich auch die Ungleichheit in Luthers Deutschen Bibel, der, wenn er ältern Oberdeutschen Übersetzungen folgte, die dritte Endung behielt, und wenn er sich selbst überlassen blieb, die vierte setzte. Die ältern Sprachlehrer wußten sich in diese Ungleichheit nicht zu finden, und ersannen allerley Regeln, wenn gegen die dritte Endung, und wenn es die vierte erforderte. Frisch will es, älterer zu geschweigen, in der ersten und dritten figürlichen Bedeutung mit dem Dative, oder wie er sagt, Ablative verbunden wissen, und Aichinger folgt ihm darin, der noch die vierte figürliche Bedeutung hinzu setzt. Doch nunmehr ist es wohl entschieden, daß dieses Vorwort im Hochdeutschen alle Mahl die vierte Endung erfordert; wenigstens gebrauchen es die besten und reinsten Hochdeutschen Schriftsteller, wenn sie mit Kenntniß und Bewußtseyn schreiben, nicht anders. Indessen rühret von dem Oberdeutschen Gebrauche noch der Dativ her, mit welchem entgegen und gegen über allezeit auch im Hochdeutschen verbunden werden.

Anm. 3. Die Wörter, mit welchen gegen zusammen gesetzet wird, sind, außer den Partikeln da, ent, hin und zu, lauter Hauptwörter. Das Vorwort hat darin am häufigsten die streitig gemachte erste figürliche Bedeutung, in vielen Fällen auch die zweyte; in einigen Wörtern stehet es auch für gegen über, und in andern für neben. Im Oberdeutschen verband man es auch mit Zeitwörtern, z.B. kaganhoran, gehorchen, Kero, nach dem Lat. obaudire; kakanlauffan, entgegen laufen, ebend. gagannemman, Notker u.s.f. die aber im Hochdeutschen veraltet sind, ob sie gleich noch im Oberdeutschen zuweilen vorkommen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 478-482.
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