Geist, der

[512] Der Geist, des -s, plur. die -er, ein buchstäblich nach dem Lat. Spiritus gebildetes Wort, von welchem es auch seine Bedeutungen entlehnet hat, welche ungefähr auf folgende Art geordnet werden können.

1. * Der Wind, und in weiterer Bedeutung auch der Athem, der Hauch; welches die erste Bedeutung, so wohl dieses Wortes als auch des Lat. Spiritus, des Griech. πνευμα, des Hebr. Ruach u.s.f. ist, und eine Nachahmung des Schalles ist, welcher durch den Wind und Athem in vielen Fällen verursacht wird. Der Geist geistet, wo er will, Kaisersb. d.i. der Wind bläset, wo er will. Gott geistet (blies) in sein Antliz den Geist des Lebens, (den lebendigen Athem,) in einer Deutschen Bibel[512] von 1483. In einer andern Bibel dieses Jahrhundertes ist eingaysten einblasen, in welchem Verstande auch ingeisten bey dem Ieroschin vorkommt. Im Angelsächsischen bedeutet gust gleichfalls blasen, und im Schwed. ist Gust, und im Isländ. Gioste, das Blasen. Im Hochdeutschen ist es in dieser Bedeutung längst veraltet. S. Gäscht.

2. Ein flüssiges, flüchtiges, wirksames, und mit dem Wasser mischbares Wesen, welches theils in der Gährung entwickelt, theils auch durch die Destillation aus verschiedenen Körpern gezogen wird, und die wirksamsten Theile derselben enthält, Latein. Spiritus. 1) Eigentlich. Der Wein, das Bier hat vielen Geist, viel flüchtige wirksame Theile. Weingeist, Vitriolgeist, Salpetergeist u.s.f. Der Plural ist hier nur von mehrern Arten gebräuchlich. Flüchtige Geister, Spiritus volatiles, welche in ein wenig Öhl verwickelt sind, welches sie mit sich fortführen.

Feste oder feuerbeständige Geister, Spiritus fixi, welche mit Salzen verbunden sind, die ihre Flüchtigkeit zurück halten, dergleichen die sauren Geister des Vitriols, Alaunes und Salzes sind. Doch ist bey vielen in dieser ganzen Bedeutung das Lat. Spiritus üblicher. 2) Figürlich, bey einigen Neuern, das Beste, Wesentlichste, Wirksamste aus einem Buche oder aus einer Schrift, der Kern, nach dem Franz. Esprit. Der Geist der Journale, kernhafter Auszug aus denselben. Der Geist des Weltweisen zu Sans-Souci.

3. Ein feines, flüssiges Wesen, welches von verschiedenen Ärzten und Zergliederern in den Nerven der Menschen und Thiere angenommen wird, und die wirkende Ursache, oder doch wenigstens das erste und vornehmste Hülfsmittel nicht nur aller Bewegungen, sondern auch aller Empfindungen seyn soll, und auch der Nervensaft, Fluidum nerveum, ingleichen die Lebensgeister, Spiritus vitales genannt wird. In dieser Bedeutung ist es nur im Plural üblich. Seine Geister waren durch das frühe Aufstehen ganz erschöpft. Ingleichen nach einer noch weitern Figur,

4. Das Leben, die Lebenskraft. 1) Eigentlich, in welcher Bedeutung es nur in einigen Stellen der Deutschen Bibel vorkommt. Das ging alles zu Noah in den Kasten bey Paaren, von allem Fleisch, da ein lebendiger Geist innen war, 1 Mos. 17, 15. Gott, der du bist ein Gott der Geister alles Fleisches, 4 Mos. 16, 22. 2) Figürlich, die wirkende, thätige Kraft einer Sache, in der weitesten Bedeutung. Die Worte, die ich rede, sind Geist und Leben, Joh. 6, 63.


Die Liebe, die nicht kränkt, ist Liebe sonder Geist,

Gell.


Von dem Geiste des Widerspruches besessen seyn. Der Geist der Kaufmannschaft ließ die Bürger zu Carthago nur auf den Erwerb der Reichthümer sinnen.

5. Die mit dem menschlichen Körper verbundene einfache Substanz, welche mit der Kraft zu denken und zu wollen begabet ist, die Seele; ohne Plural, die letzte siebente Unterbedeutung ausgenommen.

1) Eigentlich und überhaupt. Denn des Menschen Geist muß davon, Ps. 146, 4. Der Geist muß wieder zu Gott, der ihn gegeben hat, Pred. 12, 7. Den Geist aufgeben, sterben. Je mehr mir der Leib abstirbt, desto heller sieht mein Geist hinaus in die Unsterblichkeit. Die Bildung seines eigenen Geistes versäumen. Die Gegenwart des Geistes, S. Gegenwart.

2) Figürlich, in Beziehung auf die einzelnen Kräfte dieses Wesens und deren Verbindung; ohne Plural.

(a) Am häufigsten in Beziehung auf dessen Kraft zu denken, zu vergleichen, zu schließen, auf die Kräfte des Verstandes, so wie Seele mehr von den Begehrungskräften gebraucht wird.[513] Mein Geist muß forschen, Ps. 77, 7. Etwas im Geiste betrachten, es sich in Gedanken vorstellen. Im Geiste sehe ich ihn schon. Meisterstücke des menschlichen Geistes. Groß an Gestalt, an Geiste klein, Weiße. Wo es auch oft den mit Scharfsinn verbundenen lebhaften Witz bezeichnet. Ein Mann von vielem Geiste. Er hat viel Geist. In der Stelle 1 Thess. 5, 23 bedeutet Geist die obern, Seele aber die untern Kräfte. In andern biblischen Stellen bedeutet Geist, πνευμα, oft die höhern Grade der moralischen Erkenntniß, im Gegensatze der gemeinen äußern Handlungen an und für sich, wie sie durch Gesetze bestimmt werden.

(b) Zuweilen auch in Beziehung auf dessen Kraft zu begehren und zu wollen; das Gemüth. Einen hohen Geist haben, nach hohen Dingen streben. Am häufigsten kommt es in diesem Verstande in der Deutschen Bibel vor. Ein Mann, der seinen Geist nicht halten kann, Sprichw. 25, 28. Ein Narr schüttet seinen Geist gar aus, Kap. 29, 11. Ein zerschlagener und demüthiger Geist, Es. 57, 15.

(c) Die Gesinnung, Gemüthsfassung; doch nur in der biblischen Schreibart. Der kindliche Geist, die kindliche Gesinnung gegen Gott. Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Mit Gott zu einem Geiste verbunden werden, 1 Cor. 6, 17. Der Geist des Gemüthes, Ephes. 4, 22, die innere Gemüthsfassung. Die Gemeinschaft des Geistes, einerley Gesinnung.

(d) Eigenthümliche Art zu denken und zu handeln. O, daß doch sein Geist zwiefältig auf mir ruhen wollte! Der National-Geist eines Volkes. Wenn einmahl ein Luther in dem Geiste ganzer Nationen eine Hauptveränderung hervor bringt.

(e) Die in der Bekehrung hervor gebrachte neue Fertigkeit, im Gegensatze des Fleisches; doch nur in der Deutschen Bibel, wo dieser Zustand auch der geistliche Sinn, der geistliche Mensch genannt wird. Was vom Geist geboren wird, das ist Geist, Joh. 3, 6. Die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist, Röm. 8, 1. Wandelt im Geist, Gal. 5, 16.

(f) Muth, Herzhaftigkeit; auch nur in der Deutschen Bibel. Da kam der Geist des Herrn auf Jephthah, Richt. 11, 29; darauf ging Jefta mit einem göttlichen Muthe beseelet, u.s.f. Michael. Und der Geist des Herrn war in ihm, Kap. 3, 10; diesem gab Gott Muth, Michael. Gott erweckte den Geist eines jungen Knaben, Hist. der Sus. B. 45. (g) Die ganze Person, vornehmlich in Ansehung ihrer Verstandeskräfte und der Art der Anwendung derselben. Glaubet nicht einem jeglichen Geiste, 1 Joh. 4, 1. Ein jeglicher Geist, der da bekennet, B. 2, 3. Im Hochdeutschen nur mit gewissen Beysätzen, welche die Art zu denken näher bestimmen. Ein starker Geist, der ohne alle Vorurtheile zu denken vorgibt, im Gegensatze eines schwachen Geistes; ein Freygeist. Der Stolz ist nicht etwa nur ein Antheil unverständiger Seelen und kleiner Geister, Gell. Gemeine Geister sind zufrieden, wenn sie ihren Gegnern nur ihre jetzigen Tage vergiften. Ein schöner Geist, bey welchem die sinnlichen Empfindungen, die Einbildungskraft, und der Geschmack gemeinschaftlich wirken. Es ist nicht ehe eine Anzahl von guten Dichtern aufgestanden, als bis ein großer Geist durch ein Meisterstück den Wetteifer erreget hat, Dusch. Der seltene und erhabene Geist, der kühn genug ist, sein Original selbst zu werden. Ein philosophischer Geist, ein Mann, der den Zusammenhang und die Ursachen der Dinge zu erforschen sucht. So auch die Zusammensetzungen Flattergeist, Schwindelgeist, Irrgeist u.s.f.[514]

6. Die göttliche Natur Christi, im Gegensatze des Fleisches, oder der menschlichen; doch nur in einigen Stellen der Deutschen Bibel. Ein Sohn Gottes nach dem Geist, Joh. 1, 4. Und ist getödtet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist, 1 Petr. 3, 18.

7. Die dritte Person in der Gottheit, nicht um ihres geistigen Wesens, sondern um des Ausgehens willen von dem Vater und Sohne, welches in der heil. Schrift ein Aushauchen genannt wird. So wohl schlechthin der Geist, wie Matth. 4, 1, Marc. 1, 10; als auch mit allerley Beysätzen, da er in der Deutschen Bibel der Geist Gottes, der Geist des Herren, der Geist des Vaters, der Geist Christi u.s.f. am häufigsten aber der heilige Geist genannt wird. Figürlich werden in der Bibel auch wohl dessen Gaben und Wirkungen der Geist, der heilige Geist und zuweilen auch im Plural die Geister genannt. Die sieben Geister, Offenb. 1, 4. Und die Geister der Propheten sind den Propheten unterthan, 1 Cor. 14, 32.

8. Ein jedes einfaches Wesen, welches die Kraft zu denken und zu wollen besitzet. 1) Überhaupt. Gott ist ein Geist. Die erschaffenen oder endlichen Geister, zum Unterschiede von Gott dem unerschaffenen oder unendlichen Geiste. Swedenborg glaubte in einem vertrauten Umgange mit den Geistern zu stehen. 2) Besonders verschiedene Arten derselben. So werden die Engel Hebr. 1, 7. Ps. 104, 4 nur schlechthin Geister genannt. Die guten Geister, die guten Engel, zum Unterschiede von den bösen, oder Teufeln. Im gemeinen Leben druckt man mit dem Worte Geist oft ein solches Wesen höherer Art aus, ohne eben zu bestimmen, ob es zu den guten oder bösen Geistern gehöre. Es lässet sich ein Geist sehen, ein Gespenst. Es ist ihm ein Geist erschienen.

Anm. In der 5ten, 7ten und 8ten Hauptbedeutung lautet es bey dem Kero Keist, im Isidor Gheist, bey dem Ottfried Keist und Geist, im Angels. Gast, im Nieders. Geest, im Holländ. Gheest, im Engl. Ghost, im Dän. Geist, im Schwed. Gast. In der Bedeutung eines Gespenstes leitet es Ihre sehr unwahrscheinlich von dem Engl. gastly, Griech. αγασος, schrecklich, her. Im Plural lautet es bey dem Tatian Geista, und noch in dem 1483 gedruckten Buche der Natur die Geyst. Zu dem Geschlechte dieses Wortes gehöret auch das Nieders. gissen, muthmaßen, Schwed. gissa, Engl. to guess, Angels. gaetan, wovon unser vergessen abstammet, S. dasselbe.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 512-515.
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