Gesicht, das

[627] Das Gesicht, des -es, plur. die -er, Oberd. die -e, von dem Zeitworte sehen.

1. Das Vermögen, die Fähigkeit zu sehen; ohne Plural. Ein gutes, ein scharfes, ein schwaches, ein schlechtes Gesicht haben. Ein kurzes Gesicht haben, die Gegenstände nur in der Nähe deutlich erkennen können. Sein Gesicht verlieren. Um sein Gesicht kommen. Das Gesicht ist ihm vergangen. Jemanden wieder zu seinem Gesichte verhelfen. Sein Gesicht wieder bekommen. Seinem Gesichte nicht trauen. Wenn mich mein Gesicht nicht betrügt.

2. Die Empfindung des Sehens, der Anblick; gleichfalls ohne Plural und nur in einigen Arten des Ausdrucks. Etwas zu Gesichte bekommen, es gewahr werden. Etwas aus dem Gesichte verlieren, es nicht mehr sehen. Einem aus dem Gesichte gehen, seine Gegenwart vermeiden. Er soll mir nicht mehr vor das Gesicht kommen. Etwas nach dem Gesichte kaufen, nach der bloßen Empfindung des Sehens, ohne genauere Untersuchung. Einem im Gesichte sitzen, so daß man von ihm gesehen wird. Es fällt gut in das Gesicht, siehet gut aus. Etwas im Gesichte haben, es mit den Augen beobachten. Einem Grobheiten in das Gesicht sagen, sie ihm auf eine kühne Art in seiner Gegenwart sagen. Im Gesicht des Feindes über einen Fluß gehen, in seiner Gegenwart, so daß er es siehet. Längs den Küsten im Gesicht des Ufers bleiben, so daß man das Ufer siehet, und von demselben gesehen wird. In welchen letzten Redensarten auch das verlängerte Oberdeutsche Angesicht üblich ist. Im Angesicht des Feindes über einen Fluß gehen. Einem in das Angesicht widersprechen. Wenn zwey Flotten einander im Gesichte bleiben, so daß sie einander sehen können.

3. Der vordere Theil des Hauptes, weil er der Sitz der Augen, der eigentlichen Werkzeuge des Sehens ist; Diminut. das Gesichtchen, im Plural auch wohl Gesichterchen, Oberdeutsch Gesichtlein. 1) Überhaupt und eigentlich. Einem in das Gesicht sehen. Wenn ihm das Blut in das Gesicht steiget. Ein schönes, ein häßliches Gesicht. Ich sahe hier lauter alltägliche Gesichter. Blaß im Gesichte aussehen. Auf das Gesicht fallen. 2) Besonders in Ansehung der Mienen, der Gesichtszüge, der zufälligen Gestalt des Gesichtes. Mit ernstem Gesichte sahe er sie an. Man siehets ihm am Gesichte an, was er im Schilde führet. Sein Gesicht gibts schon, daß er ein Betrüger ist. Einem etwas am Gesichte ansehen. Er hörete es mit freudigem Gesichte an. Einem ein freundliches Gesicht machen, im gemeinen Leben, ihn freundlich anblicken. Die Verzweifelung siehet allen aus den Gesichtern. In beyden Bedeutungen ist in der edlen und höhern Schreibart das verlängerte Angesicht üblicher, welches auch gebraucht wird, wenn man von Personen spricht, denen man Eherbiethigkeit schuldig ist. 3) Figürlich. (a) Die Geberden des Gesichts, die Mienen selbst; in der vertraulichen Sprechart, wo besonders der Plural Gesichter üblich ist. So bald du zu mir kommst, soll ich Gesichter machen, wie du sie haben willst. O, mache mir keine sauren Gesichter, Less. Gesichter schneiden.


Nun wohl, fährt Paris fort, und schneidt ein Amtsgesicht,

Wiel.


(b) Die Person selbst, in Ansehung ihrer Gesichtsbildung; auch nur in der vertraulichen Sprechart. Ich bemerkte zwey neue Gesichter, die ich noch nie gesehen habe. Die Gesichter haben sich in diesem Hause seit drey Jahren gewaltig geändert. Und du dort, lächelndes Gesicht, Gell.

4. Ein Werkzeug, vermittelst dessen man etwas siehet; in welcher Bedeutung doch nur das eingefeilte Blech an Büchsen und[627] Flinten, wodurch man bey dem Zielen das Korn fasset, den Nahmen des Gesichtes führet.

5. Dasjenige, was man siehet, oder vielmehr zu sehen glaubt; in welcher Bedeutung doch nur diejenigen Vorstellungen der Einbildungskraft diesen Nahmen führen, bey welchen alles Bewußtseyn seiner selbst aufhöret, und welche man auch Entzückungen zu nennen pflegt, um sie von den bloßen Erscheinungen zu unterscheiden, bey welchen noch das Bewußtseyn seiner selbst Statt findet. In dieser Bedeutung ist auch der Oberdeutsche Plural Gesichte am üblichsten, vermuthlich, weil die Bedeutung selbst aus dem Oberdeutschen herrühret, und aus ältern Oberdeutschen Übersetzungen auch von Luthern beybehalten worden. Ein Gesicht sehen. Etwas in einem Gesichte sehen. Gesichte in der Nacht, Hiob 4, 13. Ein Lehrer in den Gesichten Gottes, 2 Chron. 26, 5. Eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, Joel 3, 1. Ungeachtet es Ein Mahl bey dem Opitz heißt: Gesichter sind ihm vom Himmel erschienen.

Anm. Bey dem Kero Kisihti, bey dem Ottfried Gisiht, so wohl von dem Anblicke, als auch von dem Angesichte, im Holländ. Sicht, im Engl. Sight, im Hebr. הז#ח, von הזה, sehen. Im Tatian und Isidor kommt auch Gisiuni in eben dieser Bedeutung vor. S. Sehen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 627-628.
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