Zweites Gesicht

[763] Zweites Gesicht, 1) (Deuteroskopie, engl. Second sight), der bes. in Schottland, den Shetlandinseln u. Lappland herrschende Glaube, daß gewissen Personen die Kraft innewohne die Zukunft vorauszusehen u. bes. Andere, welche binnen kurzer Zeit sterben sollen, zuvor mit geistigem Auge zu erblicken. Die Art, wie dies geschehen soll, wird verschieden erzählt; entweder fühlt sich der Seher getrieben in einer Nacht aufzustehen u. vor das Haus zu treten, wo dann der gespenstige Leichenzug an ihm vorüberschreitet; od. er muß an der Kirchhofthür dies ihm nicht furchtbare Gesicht mit abwarten; od. er sieht den zum Sterben Bestimmten zufällig des Nachts in die Kirche gekommen etc. Man wähnt in Schottland sich das zweite Gesicht durch Taighiren, d.h. durch das 72 Stunden lang dauernde Braten u. Verzehren lebendiger Katzen, verschaffen zu können. Andere berichten, es sei erblich. Zuweilen sehen solche Leute angeblich auch Hochzeiten, Kindtaufen u. dgl. Vgl. Horst, Deuteroskopie, Frankf. 1830; Carus, Vorlesungen über Psychologie, Lpz. 1831; Walter Scott, Letters on demonology and witchcraft. 2) (Doppeltsehen), die vermeintliche Gabe gewisser Menschen, an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit gesehen zu werden, wo dann das eine Gesicht der wirkliche Mensch, das zweite blos dessen gespenstiges Schattenbild ist. Solche Menschen nennt man Doppelgänger, sie sollen meist besonderen Unglücksfällen ausgesetzt sein. Sieht ein solcher selbst sein Doppelbild, so soll kurz darauf sein Tod erfolgen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 763.
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