[1562] 2. Der Kêtzer, des -s, plur. ut nom. sing. Fämin. die Ketzerinn, eine Person, welche Grundirrthümer in der Heilsordnung behauptet, und in weiterer, besonders in der Römischen Kirche üblichen Bedeutung, eine jede Person, welche von dem angenommenen Lehrbegriffe nur in einem oder dem andern Stücke abweichet; beydes in hartem und beleidigendem Verstande. Im Scherze wird auch wohl ein jeder, welcher in einer oder der andern Sache von den angenommenen Meinungen oder herrschenden Grundsätzen aller Art abweicht, ein Ketzer genannt.
Anm. Im Schwabenspiegel, um welche Zeit dieses Wort im Deutschen vielleicht zuerst vorkommt, Ketzer, im Niedersächs. Ketter, im Dän. Kiätter, im Schwed. Kaettare, im Pohln. Kacerz. Man hat eine Menge Ableitungen dieses dunkeln Wortes in Vorschlag gebracht, ohne daß man dadurch der Gewißheit[1562] viel näher gekommen wäre. Ich will hier nur einige der wahrscheinlichsten anführen, vorher aber anmerken, daß dieses Wort bey unsern ältesten Alemannischen und Fränkischen Schriftstellern nicht vorkomme; indem Notker theils sich statt dessen der Wörter Irrar, Keloubirre, Globirre, Loubirre, bedienet, theils das Lat. Haereticus behält. Zwar wird in Raban Mauri Glossario Secta durch Cazam erkläret, wofür Diecmann Cazari lesen will; allein diese Verbesserung ist zu willkührlich, zumahl da dieses Wort noch mehrere Jahrhunderte nach dem Raban nicht gefunden wird. Die vornehmsten Ableitungen sind folgende.
1) Von dem Lat. Haereticus, welcher Meinung Frisch beypflichtet, und sie dadurch unterstützet, daß in Luthers Schriften und bey dem Kaisersberg mehrmahls Kerzer und Kerzerey vorkommen. Über dieß ist bekannt, daß die meisten kirchlichen Ausdrücke der Deutschen aus dem mittlern Lateine entlehnet, oder doch buchstäblich nach demselben übersetzt sind.
2) Andere kehren es um und lassen das mittlere Lat. Haereticus nach dem Deutschen Ketzer gebildet seyn, und leiten dieses von katzen, kätzen, verbinden, anhängen, ab, (S. 2. Katze.) Allein das mittlere Lat. Haereticus, welches aus dem Griech. herstammet, ist älter als die christliche Religion in Deutschland, und war schon zu Augustini Zeiten völlig gangbar. Indessen ist es nicht unwahrscheinlich, daß man Haereticus von haerere abgeleitet, und nach dieser Abstammung auch das Deutsche Ketzer von dem gedachten katzen gebildet habe. In figürlichem Vorstande kommt ketsen im Holländischen und im Oberdeutschen ketschen, keschen, in den vorigen und neuern Zeiten noch häufig vor, so wohl für nachfolgen, sectari, als auch thätig, für ziehen, hinter sich her schleppen, wovon Frisch bey dem Worte Ketschen nachgesehen werden kann. Ketzer würde also ursprünglich einen Anhänger, Nachfolger bedeutet haben.
3) Da noch in den gemeinen Mundarten ketzern, durch gemachte Ritzen theilen, spalten, üblich ist, (S. Aufketzern,) welches ein Frequentativum von dem alten katten, katsen, schneiden zu seyn scheinet, so haben einige es daher geleitet, und Ketzer durch einen Sectirer erkläret, der Spaltungen in der Religion macht.
4) Im 15ten und 16ten Jahrhunderte wurde Ketzer, so wie das Schwedische Kaettare, mehrmahls von einem Sodomiten und in weiterer Bedeutung von einem jeden im höchsten Grade lasterhaften Menschen gebraucht. Schon Königshoven gebraucht Kezery für Sodomiterey, und Kaisersberg erwähnet der Kuhkezer, Bubenkezer, Frawenketzer, und an einem andern Orte nennet er die Sodomiterey der Walen Ketzerey, weil sie besonders in Italien sehr üblich war. Noch Matthesius braucht Eheketzerey für Ehebruch, und Stumpf Ketzerey für Laster, Boßheit: Er hatte sich mit Diebstahl, und Mörd in aller Ketzerey gehalten. Zum Unterschiede nannte man alsdann die Abweichung in Glaubenslehren die Ketzerey an dem Glauben. Wachter leitet es in dieser Bedeutung von dem Ital. Cazzo, penis, Ihre aber von dem Schwed. kåt, leichtfertig, geil, Kättja, Geilheit, und dem Holländ. kesan, keysen, huren, und Ketsmerie, ein brünstiges Pferd, her. Da dem Worte Ketzer, besonders in der Römischen Kirche, ein sehr verhaßter Nebenbegriff anklebet, so haben einige geglaubt, daß man es aus Haß von dieser eigentlichen Bedeutung auf die kirchliche übergetragen habe. In dem Augsburg. Stadtrechte aus dem 13ten Jahrhunderte heißt es Kap. 269: Wer den ander mußet (heißet) ainen Ketzer, ain mainaider, oder ainen dieb, ain verräter, ain räuber, ain bößwicht u.s.f. Im mittlern Lat. bedeutet Gazara eine Here.
5) Viele Wahrscheinlichkeit hat endlich auch die Meinung derjenigen vor sich, welche es von Catharus ableiten, einem[1563] Nahmen, welchen sich die Novatianer anfänglich selbst gaben, von dem Griech. καθαρος, rein, und welchen man nachmahls auch im verächtlichen Verstande den Waldensern und andern abweichenden Religionsparteyen beylegte. Die Waldenser bekommen ihn im zwölften und den folgenden Jahrhunderten in der herrschenden Römischen Kirche sehr oft, und da diese die zahlreichsten und furchtbarsten Gegner der herrschenden Kirche waren, zu gleicher Zeit auch das Deutsche Wort Ketzer gangbar wird, so ist es wahrscheinlich, daß dieses Wort nachmahls einem jeden, der in Religionswahrheiten abweicht, geblieben ist. Schon die Italiäner verwandelten das th in Catharus in den Zischlaut, und nannten einen Waldenser Gazaro, im mittlern Lat. Cazerus, Gazarus. In einer Österreichischen Urkunde von 1317 in Duellii Excerptis hist. geneal. S. 45 unterschreibt sich Heinrich der Chetzer.