[500] Niederträchtig, -er, -ste, adj. et adv. welches von niedrig und tragen abstammet. Es bedeutet,
1. * Eigentlich, niedrig von Statur, von Größe, eigentlich sich niedrig tragend; eine in der anständigen Schreibart der Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche aber in den gemeinen Sprecharten, so wie im Oberdeutschen noch sehr üblich ist. So werden kleine niedrige Schafe auch in Meißen niederträchtige Schafe genannt, im Gegensatze der hochbeinigen. Ein niederträchtiger Felsen, d.i. ein niedriger, Bluntschli, ein Schweizer. Zwey niederträchtige Stühle, Stumpf, auch ein Schweizer.
2. Figürlich. 1) * Demüthig, d.i. Fertigkeit besitzend, andrer Vorzüge mehr als die seinigen zu schätzen, und darin gegründet; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher es noch im Oberdeutschen häufig ist, wo oft die Niederträchtigkeit der Heiligen als eine vorzügliche Tugend gerühmet wird. Der Gegensatz ist das gleichfalls Oberdeutsche hochtragend, stolz, hochmüthig. 2) Sehr merklichen Mangel an vernünftiger Ehrliebe besitzend, und darin gegründet, tiefe Geringschätzung eigener Würde durch seine Handlungen verrathend; ingleichen, in dieser Denkungsart gegründet. Ein niederträchtiger Mensch. Ein niederträchtiges Gemüth. Niederträchtig seyn, handeln. Ein niederträchtiges Betragen. Man kann seinen geringen Werth fühlen, weil man zu träge ist, sich Verdienste zu erwerben,[500] dieses ist Niederträchtigkeit und nicht Demuth, Gell. Da dieses Wort in der jetzt gedachten Bedeutung, in welcher es im Hochdeutschen nur allein gangbar ist, einen sehr harten und beleidigenden Begriff gibt, so ist in der glimpflichern Schreibart dafür oft niedrig üblich.
Bey den Schwäbischen Dichtern findet sich noch eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung. So singt z.B. der von Gliers:
Sit ich so nidertrehtig bin
Das ich ir minne enberen muos;
wo es unglücklich, unterdruckt, zu bedeuten scheinet.