O

[551] O, der funfzehente Buchstab des Deutschen Alphabetes, und der vierte unter den Selbstlautern, welcher mit einer runden Öffnung des Mundes ausgesprochen wird. Es hat im Hochdeutschen nur einen einzigen Laut, welcher aber bald gedehnt ist, wie in Tod, roth, schon, bald geschärft, wie in Post, Sonne, Stock. In den Mundarten aber gehet es fast in alle andere Selbstlauter, das i ausgenommen, und oft in die widrigsten Doppellauter über. Saun für Sohn, Pust für Post, grauß, groaß, gruß, für groß u.s.f. So wie in eben diesen Mundarten andere Selbstlauter in diesen übergehen. Die Doppellauter oi und ou finden sich, außer einigen eigenthümlichen Nahmen, nur noch in den gemeinen gröbern Mundarten. Für auch spricht der Schweizer ouch, für Eimer Oimer, und statt Voigt schreibt und spricht man im Hochdeutschen beständig Vogt.

Ehedem druckte man das gedehnte o oft durch ein angehängtes e aus, welche Schreibart sich noch in einigen eigenthümlichen Nahmen erhalten hat. So schreibt man Soest und Coesfeld, und spricht Sooft und Coosfeld. In den neuern Zeiten fing man an, in einigen Wörtern das gedehnte o mit einem oo zu schreiben, und dieses Zeichen des gedehnten Selbstlauters gar für einen Doppellaut auszugeben, welches es doch auf keine Weise seyn kann, S. Aa. So wollte Gottsched Boot, und Room (besser Rahm, denn Room ist Niederdeutsch) zum Unterschiede von der Stadt Rom, geschrieben wissen. Allein die Verdoppelung der Selbstlauter ist unter allen möglichen das unschicklichste Zeichen der Dehnung, und die seltsame Neuerung, verschiedene gleichlautende Wörter auch durch die Schreibart zu unterscheiden, hat zu wenig Beyfall gefunden, als daß man noch Rücksicht darauf nehmen könnte, zumahl da sie sich unter hundert Fällen kaum in Einem anwenden lässet. Von dem h, so fern es gleichfalls das Zeichen eines gedehnten o ist, S. H.

Ein sehr nahe mit o verwandter Selbstlaut ist das ö, welches eben so wohl bald gedehnt bald geschärft ist, und daher von den meisten Sprachlehrern irrig für einen Doppellaut gehalten worden, da es doch vielmehr ein eigener Selbstlaut ist, welchen man nur aus Armuth an Schriftzeichen durch ein oe, \eo\, oder ö ausdruckt, S. Ä. In der Ableitung und Beugung der Wörter pflegt das o gern in diesen Selbstlaut überzugehen. Groß, größer, Größe; Tod, tödten, tödtlich; Ochs, Öchschen; Wort wörtlich, Wörter; roth, Röthel, röthlich, röthen, u.s.f. Regeln lassen sich davon nicht geben, sondern der Gebrauch entscheidet hier alles.

Das o druckt vermöge seiner Natur etwas Großes, Hohes, Erhabenes, Weites aus, und ist der natürliche Ausdruck der staunenden Verwunderung. S. den folgenden Empfindungslaut. Man findet es daher gemeiniglich in denjenigen Wörtern, welche diese Eigenschaft bezeichnen; groß, grob, hoch, Ochs, empor, ori, u.s.f. obgleich durch die Länge der Zeit, durch die natürliche Unbeständigkeit der Menschen, und durch das Eigenthümliche der Mundarten, dieses ursprüngliche o in vielen Wörtern in andere verwandte Selbstlauter übergegangen ist. Indessen haben wir doch noch Wörter, wo die verschiedenen Vocale zugleich die Verschiedenheit der Größe ausdrucken. Stock, Stecken und die Nieders. Stake und Sticken sind alle in der Größe verschieden, wie Kloß[551] und Klößchen, das Schwed. Not, ein großes Netz, und Nätt, ein kleines Netz, und andere mehr. S. J den Selbstlaut.

In den nördlichen Mundarten ist das o zu Anfange der Wörter oft aus unserm un entstanden, wo es sich denn dem a privativo der Griechen nähert. Im Schwed. ist otrogen ungetreu, osinaklig unschmackhaft, abgeschmackt, Ofall Unfall, Osoid ein schädliches Thier, u.s.f. Hingegen ist es im Schwedischen auch eine intensive Partikel; omycken, sehr stumm. Im Deutschen wird es manchen Wörtern, welche sich auf ein r endigen, oft müßig angehängt; dero, ihro, nunmehro, dahero u.s.f. wo es aber die reinere Hochdeutsche Mundart, einige wenige Fälle ausgenommen, wieder weggeworfen hat. S. Dero.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 551-552.
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