Pflicht (2), die

[743] 2. Die Pflicht, plur. die -en, von dem Zeitworte pflegen, nach dessen Oberdeutschen irregulären Abwandlung, nach welcher es in der zweyten und dritten Person des Präsentis, du pflichst, er pflicht, hat.

1. Von der veralteten Bedeutung des Activi, befehlen, und des Neutrius, verpflichtet, verbunden seyn.

1) Ein Befehl, in welchem Verstande schon Notker die Befehle Flihte nennet. In dieser Bedeutung ist es veraltet, dagegen pflegt man noch eine befohlne Sache, in weiterer Bedeutung, ein durch ein Gesetz bestimmtes Verhalten, und in noch weiterm Verstande, ein jedes der Bestimmung, der Natur der Sache und unserm Verhältnisse gegen dieselbe gemäßes Verhalten, eine Pflicht zu nennen, da es denn nach einer noch weitern Figur zuweilen auch den Zustand bedeutet, in welchem eine moralische Nothwendigkeit vorhanden ist. Natürliche, geoffenbarte, bürgerliche, menschliche Pflichten, welche durch das Naturgesetz, durch das geoffenbarte Gesetz, durch bürgerliche, durch menschliche Gesetze bestimmet werden. Es ist deine Pflicht, mir zu gehorchen. Seiner Pflicht, oder seinen Pflichten eine Genüge thun, sie erfüllen, in Acht nehmen, beobachten, ihnen oder ihr nachkommen, nachleben; im gemeinen Leben auch seine Pflicht thun, sie abstatten. Seiner Pflicht nachkommen. Meine Pflicht erfordert es. Nach seiner Pflicht handeln. Sich einer Pflicht entledigen, dieselbe erfüllen. Die Pflichten gegen Gott, gegen andere, gegen sich selbst. Seine Pflicht versäumen, unterlassen, aus den Augen setzen. Wider seine Pflicht handeln. Das beste Herz hat seine kleinen Fehler der Erziehung und des Temperamentes; wie es Pflicht der Freundschaft ist, sie zu mindern, so ist es auch Pflicht, sie zu dulden, Gell. Ich habe mir es immer zur Pflicht gemacht, so und nicht anders zu handeln. Die wichtige Pflicht, die (welche) uns obliegt, die Kräfte unsers Geistes auszubilden, Gell. Wer lehrt das Auge seine Pflicht? ebend. dasjenige, wozu es vermöge seiner Bestimmung verbunden ist. Einem Verstorbenen die letzte Pflicht abstatten, ihn begraben, seinem Begräbnisse folgen.

In engerer Bedeutung werden zuweilen besondere Arten der Obliegenheiten nur Pflichten schlechthin genannt. Die eheliche Pflicht, die eheliche Beywohnung. Die Lehenspflicht, die dem Lehensherren schuldige Treue. Die Steuern und Abgaben, welche Unterthanen an ihre Obern zu entrichten haben, heißen in manchen Gegenden Pflichten. Auch diejenigen Gaben, welche die Geistlichen an manchen Orten von ihren Pfarrkindern heben, führen zuweilen diesen Nahmen. Der Pfarrer sammelt seine Pflicht[743] ein, wenn er diese Gaben einsammelt. Pflichteyer, Pflichtkorn u.s.f. eine solche Abgabe an Eyern, Korn. S. auch Unpflicht.

2) Ein feyerliches Versprechen, wodurch man sich zu etwas verpflichtet, ein Gelübde; wo besonders das eidliche Versprechen der Treue unter dem Nahmen der Pflicht, zuweilen auch im Plural der Pflichten bekannt ist, ohne doch die darin gegründeten Obliegenheiten auszuschließen. Jemanden in Pflicht nehmen, ihn den Eid der Treue ablegen lassen. Jemanden die Pflicht leisten, ablegen. In Pflicht oder Pflichten stehen, vermöge eines Eides verpflichtet seyn. Das ist wider meine Pflicht. Jemanden seiner Pflicht entlassen. Besonders mit dem Worte Eid. In Eid und Pflicht nehmen. In Eid und Pflicht stehen. Wider Eid und Pflicht handeln. Das mittlere Lat. Piegium und plegiare, gut sagen, das Angels. pligtan, gut sagen, verpfänden, und andere gehören gleichfalls hierher. S. auch Verpflichten.

2. Von andern Bedeutungen des Verbi war es ehedem auch in verschiedenen andern Bedeutungen üblich, welche aber im Hochdeutschen insgesammt veraltet sind. So hieß die Pflege, Sorge, Vorsorge, im Oberd. Pflicht und im Nieders. Plicht. Die Gewohnheit, Art und Weise, kam ehedem häufig unter diesem Nahmen vor. Von beyden Bedeutungen hat Frisch einige Beyspiele gesammelt. Die Winsbeckinn gebraucht es für Umgang, von der R.A. Umgang mit jemanden pflegen. Im Oberdeutschen wird es auch noch häufig für Pflege, d.i. Gegend, im weitesten Verstande gebraucht. In dieser Pflicht wächst guter Wein, in dieser Pflege oder Gegend.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 743-744.
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