Sauer

[1294] Sauer, -er, -ste, (nicht säurer, säuerste,) adj. et adv. ein Wort, welches eine Art der Empfindung in Ansehung des Geschmackes ausdruckt, und dem, was süß ist, entgegen stehet.

1. Eigentlich. Der Essig ist sauer. Sauer seyn, sauer schmecken, sauer werden. Saurer Wein, saures Bier, saure Kirschen, saure Milch. Geistige Körper werden sauer, wenn sie nach der ersten geistigen Gährung in eine nochmahlige Gährung gerathen, in welcher die Säure entwickelt wird. Wenn ein saurer Körper zugleich den Mund zusammen ziehet, so heißt er herbe. In einigen Oberdeutschen Gegenden, z.B. in Baiern, wird es[1294] auch sehr häufig für salzig gebraucht, in welchem Verstande es aber den Hochdeutschen fremd ist.

2. Figürlich. 1) In einem hohen Grade beschwerlich, viele Mühe kostend und verursachend. Saure Arbeit, Sich es sauer werden lassen. Diese Arbeit ist mir überaus sauer, blutsauer geworden. Jemanden das Leben sauer machen, beschwerlich. Diese Rolle wird mir sehr sauer werden, Gell. Sie wendet noch die letzte Bemühung an, der Liebe den Sieg sauer zu machen, ebend. Das Stehen wird mir gar zu sauer werden, ebend. Das kommt mir sauer an, fällt mir zu thun beschwerlich. Mich däucht, es kommt ihnen weit säurer (saurer) an, eine Sache zu verschweigen, als auszuschwatzen, Gell. 2) Unangenehm, im Gegensatze des gleichfalls figürlichen süß; in welcher Bedeutung es doch seltener ist. Geht es gleich sauer ein, Opitz, geschiehet es gleich mit Widerwillen, mit unangenehmer Empfindung. 3) Mürrisch, verdrießlich. Sauer sehen, sauer aussehen. Ein saures Gesicht, saure Mienen machen. Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen, wie die Heuchler, Matth. 6, 16. Du sahst so sauer aus, als wäre dirs nicht recht, Rost. So sauer auch die liebe Mutter sah, Gell. Etwas Saures in seiner Gemüthsart haben, etwas Mürrisches, Verdrießliches.

Anm. Bey dem Ottfried suar, bey der Winsbeckinn sur, im Nieders. suur, im Angels. sur, im Engl. sour, im alt Französ. und Bretagnischen sur, im Schwed. sur, im Pers. sciur, im Pohln. surowy, im Slavon. serou. Die Sylbe er ist hier entweder die gewöhnliche Ableitungssylbe, da denn sau die Stammsylbe seyn würde, oder das r gehöret, wie noch wahrscheinlicher ist, zu dem Stamme, so daß das e vor demselben nur um des Wohllautes willen eingeschaltet worden. In diesem Falle würde es zu scharf, dem Hebr. שער, rauch, unserm sehr, in versehren, zu Sorge u.s.f. vielleicht auch zu dem Lat. severus, gehören, in welchen allen eine sehr lebhafte unangenehme Empfindung zum Grunde liegt, welche allemahl eine Figur einer heftigen Bewegung ist. Nach dem Pelletier bedeutet auch םור im Hebr. sauer; gewisser ist, daß שאר in dieser Sprache den Sauerteig bedeutet. In Vannetois heißt huero sauer, welches mit unserm herb überein kommt, zumahl da h und s sehr oft in einander übergehen. In Boxhorns Glossen heißt ohne s Virlust die Säure, und urlustlihho sauer. In den gemeinen Sprecharten ist für säuerlich auch serblich üblich. Da das e vor dem r allem Ansehen nach um des Wohllautes willen eingeschaltet ist, so fällt dasselbe oft wieder weg, wenn in der Verlängerung des Wortes ein e auf das r folgt; ein saurer Wein, für sauerer, die Säure, für Säuere; aber für säuren sagt man lieber säuern.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1294-1295.
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