Scheiden

[1396] Scheiden, verb. irreg. act. et neutr. Imperf. ich schied; Mittelw. geschieden; Imper. scheide. Um die sämmtlichen, dem Anscheine nach so sehr verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes und seiner Abkömmlinge begreiflich zu machen, muß man bis auf den ersten Ursprung zurück gehen, da es, so wie alle Wörter, eine unmittelbare Nachahmung eines gewissen Lautes ist, der aber mehrern ganz verschiedenen Handlungen zukommt. 1) Dem Sprechen, Reden, Urtheilen u.s.f. von welcher veralteten Bedeutung noch sehr viele Überreste vorhanden sind, wie aus unserm Bescheid, dem Zeitworte bescheiden, entscheiden u. a. m. erhellet. Bey dem Notker heißt ein Traumdeuter Troum sceidere, und die Traumdeutung Troum sceith. 2) Des Laufens, des Rennens; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, von welcher im Schwed. noch Skede, und im Isländ. Skeith, den Lauf, die Reise, bedeutet. Skeida war im Schwed. ehedem auf der Rennbahn laufen. Unser schießen, Nieders. scheten, ist genau damit verwandt, und nur das Intensivum davon. 3) Des Schneidens, Spaltens, Theilens, Zerbrechens u.s.f. in welcher es ehedem für spalten gebraucht wurde, welche Bedeutung noch in unserm Scheit übrig ist. Das Griech. σχιζω, und Lat. scindo, scidi, sind genau damit verwandt, so wie unser scheitern, welches das Frequentativum oder Intensivum davon ist. Vermuthlich gehöret auch schaden dahin. Von dieser letzten Bedeutung stammen zunächst[1396] die noch heutigen Arten des Gebrauches dieses Zeitwortes ab. Es ist aber

I. Ein Neutrum, welches das Hülfswort seyn erfordert, sich auf lange oder doch geraume Zeit von jemanden entfernen; eine Bedeutung, welche in dem gemeinen Sprachgebrauche zu veralten anfängt, und von den Dichtern noch am häufigsten gebraucht wird. Der Engel schied von ihr, Luc. 1, 38. Da er sie segnete, schied er von ihnen, Luc. 24, 51. Darnach schied Paulus von Athen, Apostgesch. 18, 1. S. Abschied. Aus diesem Leben scheiden, von hinnen scheiden, zwey noch in der feyerlichen Schreibart für sterben übliche Ausdrücke. Siehe Abscheiden und Verscheiden. Man kann diese Bedeutung füglich als eine Figur der folgenden des Trennens, Absonderns ansehen; allein sie kann auch von der vorhin gedachten veralteten Bedeutung des Laufens abstammen, wovon der Begriff der Entfernung gleichfalls eine Figur seyn kann. Noch ein anderer neutraler Gebrauch, welcher Ein Mahl in Luthers Bibel vorkommt, ist jetzt im Hochdeutschen ungewöhnlich: das Loos scheidet zwischen den Mächtigen, Sprichw. 18, 18; wo es für entscheiden zu stehen scheinet, und alsdann zu der oben gedachten ersten Bedeutung gehören würde.

II. Ein Activum, zwey Dinge oder die Theile eines Dinges dem Raume nach von einander entfernen. Da dieses auf verschiedene Art geschehen kann, so wird dieses Zeitwort auch in mehrern Fällen gebraucht.

1. Durch gewaltsame Trennung des Zusammenhanges; eine jetzt veraltete Bedeutung, in welcher es aber ehedem für schneiden, spalten u.s.f. üblich gewesen seyn muß, welche Handlungen es durch Nachahmung des damit verbundenen Schalles ausgedrucket hat. Das alte Lat. scido für sciudo, wovon noch das Perfect. scidi abstammet, das Griech. σχιζω, und unser schaden selbst, sind genau damit verwandt. Es scheinet auch, daß ehedem ein Intensivum scheiten gangbar gewesen seyn muß wovon noch Scheit und das Frequentativum oder neue Intensivum scheitern übrig sind.

2. In jetzt gewöhnlicherm Verstande scheidet man jetzt:

1) Was einem andern Dinge örtlich oder räumlich nahe ist. (a) Durch örtliche Entfernung. Dahin gehöret besonders das Reciprocum sich scheiden, wenn sich zwey Personen auf geraume Zeit, oder in einem weiten Raume von einander entfernen; wo es zunächst von dem vorigen Neutro abzustammen scheinet. Freunde scheiden sich, wenn sie von einander reisen. Wir müssen uns scheiden. S. Abschied. In einigen wenigen Fällen auch als ein Activum, wohin auch der figürliche Gebrauch gehöret; eure Untugenden scheiden euch und euern Gott von einander, Es. 59, 2. (b) Durch Setzung einer Gränze, Bestimmung der Schranken; nur noch zuweilen. Wie der Herr Israel und Egypten scheide, 2 Mos. 11, 7. Hier scheidet sich das Land, hier hat es seine Gränzen. Die Alpen scheiden Italien von Deutschland. Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht, 1 Mos. 1, 14. Die Wand scheidet ein Zimmer von dem andern.

2) Was mit einem andern Dinge verbunden ist; wo es doch nur noch im figürlichen Verstande gebraucht wird. Was Gott zusammen fügt, soll der Mensch nicht scheiden, Matth. 19, 8. Der Tod muß mich und dich scheiden, Ruth. 1, 17. Da nun Loth sich von Abraham geschieden hatte, 1 Mos. 13, 14; wo zugleich die örtliche Entfernung mit eintritt. Zwey Eheleute von einander scheiden, die eheliche Verbindung zwischen ihnen aufheben. Ein Ehepaar von Tisch und Bett scheiden. Daher die Ehescheidung. Zwey Kaufleute scheiden sich, wenn sie vorher gemeinschaftlich gehandelt haben, und diese Verbindung aufheben. Wir sind geschiedene Leute. Wenn sich Leib und Seele scheidet.[1397]

3) Was nur eine und eben dieselbe Masse ausmacht. (a) Durch bloße Trennung des Zusammenhanges; nur noch in einigen Fällen für trennen. Die dicken Wolken scheiden sich, daß es helle werde, Hiob 37, 11. Die Milch scheidet sich, sagt man in vielen Gegenden, wenn sie gerinnet, wofür man in andern das Intensivum sich schütten gebraucht. (b) Durch Trennung des Zusammenhanges und Absonderung der fremdartigen Theile; in welchem Verstande es am häufigsten gebraucht wird, da man denn das scheidet, was vermischt war, welches wieder auf mancherley Art geschehen kann. Gott scheidete (schied) das Licht von der Finsterniß, 1 Mos. 1, 4, 18. In dem Bergbaue wird das Erz geschieden, wenn das gute Erz mit dem Hammer von dem tauben Gesteine oder geringhaltigen Erze abgeschlagen wird. Das Gold von dem Silber, das Bley von dem Kupfer scheiden, so wohl durch Schmelzung, als auch durch Scheidewasser oder andere Auflösungsmittel. Siehe Scheidekunst. (c) * Durch Theilung in mehrere Theile; eine veraltete Bedeutung. Du sollst die Gränze deines Landes in drey Kreise scheiden, 5 Mos. 19, 3. Doch sagt man noch, hier scheidet sich der Weg; wo aber zugleich der Begriff der räumlichen Entfernung mit eintritt. S. Scheideweg und Wegescheide.

4) Was vorher nur einen und eben denselben Haufen, eine und eben dieselbe Menge ausmachte, von fremdartigen, mit einander vermischten Dingen. Die Schafe von den Böcken scheiden, Matth. 25, 32. Das Gute von dem Bösen scheiden.

5) * Was verworren war; eine im Hochdeutschen gleichfalls veraltete Bedeutung, in welcher man im Niedersächsischen noch im figürlichen Verstande sagt, einen Streit scheiden, für entscheiden. Das Recht soll uns scheiden. S. Schiedsrichter.

So auch die Scheidung in den thätigen Bedeutungen, dagegen das Hauptwort von dem Neutro und Reciproco das Scheiden heißt.

Anm. 1. Luther gebraucht dieses Zeitwort einige Mahl regulär. Da scheidete Gott das Licht von der Finsterniß, 1 Mos. 1, 4. Also scheidete sich ein Bruder von dem andern, Kap. 13, 11. Da scheidete Jacob die Lämmer, Kap. 30, 4. Stosch leitet daraus die Regel her, daß dieses Zeitwort, wenn es im eigentlichen Verstande von körperlichen Dingen gebraucht wird, regulär, im figürlichen Verstande aber irregulär abgewandelt werde. Allein diese Regel ist so wohl wider die Analogie, als auch wider den Gebrauch. Luther selbst beobachtet sie nicht. Da nun Loth sich von Abraham geschieden hatte, 1 Mos. 13, 14; in welchem Verstande er doch V. 11, scheidete gebraucht hatte. Mit mehrerm Rechte könnte man behaupten, daß das Activum regulär, das Neutrum aber irregulär gehe, welches bey mehrern andern Zeitwörtern Statt findet. Indessen ist doch der Gebrauch auch dawider, denn im Hochdeutschen wird dieses ganze Zeitwort durchgängig irregulär abgewandelt.

Anm. 2. Schon bey dem Kero kommt keskeidan für unterscheiden vor. Unser einfaches scheiden lautet bey dem Ulphilas skaidan, bey dem Ottfried skeiden und sciadan, von welcher letztern jetzt veralteten Form so wohl unser schied, geschieden, als auch die Ableitungen Abschied, Unterschied, Schiedsrichter u.s.f. übrig sind; im Nieders. scheden und mit der dieser Mundart gewöhnlichen Ausstoßung des d scheen, im Angels. scadan, sceaden. Im Lettischen ist skaitau ich lese aus, wähle.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1396-1398.
Lizenz:
Faksimiles:
1396 | 1397 | 1398
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon