[463] Das Stück, des -es, plur. die -e, Diminut. das Stückchen, Oberd. Stücklein, ein in doppelter Hauptbedeutung übliches Wort.
1. Ein Theil eines Ganzen, wo es eigentlich von einem engern Umfange der Bedeutung ist, als Theil, und ein abgesondertes aus Einer Masse bestehendes Theil eines Ganzen bedeutet, die Absonderung sey nun geschehen, auf welche Art sie wolle. Einen Körper in Stücke schneiden, hauen, brechen, sägen, reissen u.s.f. In zwey, sechs Stücke schneiden. Ein abgebrochenes, abgerissenes Stück. Ein Stück Brot, Fleisch, Kuchen, Holz, Stein, Bindfaden, Gold u.s.f. Wo das Ganze oder die Art[463] zuweilen in der zweyten Endung stehet. Ein Stück Landes, ein Stück Feldes, für ein Stück Land, oder ein Stück Feld. Welcher Genitiv aber das Ohr beleidigt, wenn Stück schon im Genitiv stehet: der Anbau eines ungebauten Stückes Landes, welchen Übellaut andere irrig dadurch zu vermeiden suchen, daß sie Stück unverändert lassen, eines ungebauten Stück Landes; besser, eines ungebauten Stückes Land. So auch ein Stück Weges, wofür man auch nur ein Stück schlechthin sagt. Er ging ein gut Stück Weges oder ein gut Stück mit. Gehen sie noch ein Stückchen mit. Sie gingen noch ein gutes Stücke, (Stück,) Gell.
Er schalt, und lief ein gutes Stücke
Dem bösen Schwarme zu entfliehn,
Gell.
Wo es aber auch die folgende Bedeutung eines ausgedehnten Dinges leidet, und mit Strecke und Strich gleichbedeutend ist. Im Tatian kommt Stuk von einem Raume vor. Ingleichen ein Theil, woraus ein körperliches Ganze zusammen gesetzt ist. Eine Flöte von sechs Stücken. Ein Strumpfstuhl besteht aus fast unzählig vielen Stücken. Das Kopfstück, Mundstück, Mittelstück u.s.f. Das Gartenstück, Baumstück, Luftstück, Rasenstück u.s.f. In weiterer Bedeutung wird es auch, obgleich nur in einigen Fällen, von den Theilen eines unkörperlichen Ganzen gebraucht. Ein Stück aus einer Rede, aus einer Schrift. Die Stücke Esther, in der Deutschen Bibel, die Fragmente von ihrer Geschichte. Etwas von Stück zu Stück erzählen, im gemeinen Leben. Die Fragestücke, Fragen über einzelne Sätze, auch nur noch im gemeinen Leben und in den Rechten. Ehedem sagte man auch die Glaubens-Stücke, für Glaubens-Artikel. Aus allem erhellet, daß Stück in dieser Bedeutung eigentlich nur von körperlichen Theilen gebraucht wird, es mag ein Ganzes darein zerleget werden, oder daraus zusammengesetzet seyn; wodurch es sich von Theil, welches von einem größern Umfange ist, hinlänglich unterscheidet.
2. Ein zusammen hangendes Ganze; sowohl, (1) Eigentlich, da es denn zunächst von einem körperlichen Ganzen, als eine und eben dieselbe zusammenhangende Masse betrachtet, gebraucht wird. Es ist aus Einem Stücke. Eine Flöte, eine Säule aus Einem Stücke. In weiterer Bedeutung sagt man auch wohl: in Einem Stücke fortarbeiten, ununterbrochen. Der Weg gehet in Einem Stücke fort. Wofür man auch wohl Strecke und Strich gebraucht.
(2) In engerer Bedeutung, ein Individuum, entweder so fern es als ein Theil der ganzen Art oder Gattung betrachtet wird, oder, welches noch wahrscheinlicher ist, so fern es ein ausgedehntes Ding ausmacht. Die göttliche Vorsehung gehet nicht bloß auf ganze Arten der Dinge, sondern auch auf einzelne Stücke einer jeden Art. Besonders:
(a) Von lebendigen Geschöpfen, wo es von Thieren aller Art am üblichsten ist, am häufigsten von dem Viehe und Wildpret. Ein Stück Wild. Zehn Stück Vieh. Hundert Stück Ochsen. Zwanzig Stück Schafe. Von andern Thieren gebraucht man es nur, wenn die Art oder Gattung nicht bestimmt wird, sondern bloß die Zahl der Individuen angegeben werden soll. Vier Stück, nämlich Raupen u.s.f. Es bleibt hier, wenn es mit einem Zahlworte verbunden wird, im Plural gemeiniglich unverändert, wie so viele andere Wörter, welche eine Zahl, ein Maß, ein Gewicht u.s.f. bedeuten. Sechs Stück, nicht Stücke. Von Menschen ist es für Person in einigen gemeinen Mundarten sowohl Ober- als Nieder-Deutschlandes gleichfalls gangbar. Es waren sechs Stück in der Gesellschaft. Allein in der anständigen Hochdeutschen Mundarten ist es in dieser Bedeutung unbekannt. Doch sagt man noch zuweilen ein Weibesstück, im verächtlichen Verstande, für Weibesperson. Ingleichen, es ist ein häßliches Stück von[464] einem Weibe. Im Niedersächsischen sagt man im engern Verstande, ein Stück Diebes, ein Stück Schelmes, d.i. ein arger Dieb, ein arger Schelm.
(b) Von leblosen Dingen, wo es, 1. Im weitesten Verstande von allen leblosen Körpern gebraucht werden kann, welche von mittelmäßiger körperlicher Größe sind, wenn sie als bloße Individua bezeichnet werden sollen; wo der Plural, wenn ein Zahlwort dabey ist, gleichfalls Stück lautet. Sechs Stück Bücher. Zehn Stück, es sey nun Bücher, Ducaten, Bäume, Steine, Pflanzen u.s.f. Aber von sehr großen Massen, z.B. Gebäuden, Städten, Bergen, Himmelskörpern u.s.f. ist dieses Wort nicht üblich.
2. In engerer Bedeutung, von einzelnen Arten lebloser Individuen. ά) Ein Grundstück, ist ein unbeweglicher Theil des Vermögens. Die Ackerbeete werden in manchen Gegenden Stücke genannt, in andern heißen sie Rücken; wo aber auch die Bedeutung eines Theiles statt findet. Ein Stück Wein, ist so viel als ein Stückfaß, S. dieses Wort. Sieben Stück (nicht Stücke) Wein. β) Ein an einander hangendes Gespinnst oder Gewebe heißt ein Stück. Ein Stück Zeug, oder ein Stück Zeuges. Besonders, wenn es von einer bestimmten Größe ist, da es denn mit einem Zahlworte im Plural gleichfalls Stück für Stücke hat. Ein Stück baumwollen oder wollen Garn hält in Sachsen 4 Strähn, oder 12 Zahlen oder Zaspeln; ein Stück leinen Garn aber 6 Strähn, jede zu 2 Zaspeln. Ein Stück Tuch hält gemeiniglich 22 bis 32 Ellen, und wird an manchen Orten auch ein Tuch genannt. In der Leinwand, dem Kattune, den seidnen Zeugen u.s.f. sind die Stücke von verschiedener Länge. γ) Ein Werk der Kunst, heißt als ein Werk der Kunst, oder als ein künstliches Individuum betrachtet, häufig ein Stück; Franz. Pièce. Ein schönes, ein vortreffliches Stück. Ein Kunststück, ein Meisterstück, ein Stück Arbeit fertig zu machen. Besonders ein Werk der bildenden Künste. So werden Gemählde, musikalische Compositionen, Gedichte, Schauspiele u.s.f. sehr häufig Stücke genannt. Ein Bruststück, Kniestück, Nachtstück von Gemählden. Ein musikalisch Stück, ein Discant-Stück, ein Singestück, von musikalischen Compositionen. Voltärs Zaire ist ein vortreffliches Stück. δ) Eine mit List verbundene Handlung, wofür auch Streich üblich ist; im Diminut. das Stückchen. Das war ein vortreffliches Stück. Er hat mir ein böses Stückchen gespielt. Böse Stücke vornehmen, 5 Mos. 19, 20. Sie gehen mit bösen Stücken um, Jer. 5, 28. Gewinnst suchen durch böse Stücke, Weish. 15, 12. Ein Bubenstück, Schelmstück, Fechterstück. Von einer jeden Handlung auch im guten Verstande ist es im Hochdeutschen veraltet. ε) Ein Individuum von Geld- und Münzsorten; Franz. Pièce. Zehn Stück, entweder Pfennige oder Groschen, Gulden, Thaler. Ein acht Groschen Stück, ein zwey Groschen Stück u.s.f. eine Münze, welche acht oder zwey Groschen gilt. Ein Goldstück, eine goldne Münze; dagegen man nicht sagt, Silberstück und Kupferstück. Ein Stück von Achten, eine Spanische Münzsorte, S. Acht. Ein Stück Geld oder Stück Geldes bedeutet auch häufig eine unbestimmte Summe Geldes. Ein gut Stück Geld bey etwas verdienen. ζ) Ein Individuum des groben Geschützes, eine Kanone, wurde ehedem häufig ein Stück genannt, in welcher Bedeutung es zwar noch nicht ganz veraltet ist, aber doch für sich allein im gemeinen Leben häufiger gebraucht wird, als in der edlern Schreibart, wo das ausländische Kanone üblicher geworden; die Zusammensetzungen Feldstück, Kammerstück, Steinstück ausgenommen. Franz. Pièce, im Böhmischen Delo, welches zu unserm Theil gehöret. Die Stücke laden, losbrennen. Unter die Stücke kommen. Ehedem gebrauchte man dafür auch das Gestück. η) Endlich wird dieses Wort auch häufig für Sache, Umstand gebraucht. Sechs Stücke hasset der Herr, Sprichw. 6,[465] 16; für Dinge. Noch häufiger für Umstand, Sache. Ich habe auch in diesem Stücke Dich angesehen, 1 Mos. 19, 29. Halte dich in allen Stücken vernünftig, Sir. 31, 18. In diesem Stücke muß ich ihn loben. In diesem Stücke bin ich mir dir nicht Einer Meinung. Von freyen Stücken, aus eigener Bewegung, aus eigenem Antriebe, wofür man ehedem auch sagte von freyen Dingen. Sie fingen von freyen Stücken davon an zu reden. Mit der Tugend werde ichs von freyen Stücken niemals verderben, Orgon beym Gell. Auch die im gemeinen Leben übliche R.A. große Stücke auf etwas halten, viel auf etwas halten, scheinet zu dieser Bedeutung zu gehören, für große Dinge.
Anm. Bey dem Notker Stucchiu, bey dem Strycker Stuck, in den gemeinen Mundarten Ober- und Nieder-Deutschlandes Stuck, im Angels. Sticce, im Schwed. Stycke, im Poln. Sztuka. Es ist wohl gewiß, ob es gleich noch von niemanden bemerket worden, daß in den zwey Hauptbedeutungen dieses Wortes zwey verschiedene Begriffe zum Grunde liegen. In der ersten herrscht der Begriff der gewaltsamen körperlichen Theilung, und da kommt es von stucken oder stücken her, so fern es ein Intensivum von stechen ist, welches im weitesten Verstande mehrere Arten der körperlichen Theilung bezeichnet. In der zweyten Bedeutung, ist der Begriff der Ausdehnung der herrschende, wovon der Begriff eines einzelnen ausgedehnten Dinges, eines Individui eine Figur ist, und da gehöret es zu Stock, in der Bedeutung einer Masse, dick, deihen in gedeihen u.s.f. Im Nieders. ist Stuke, sowohl ein Haufen, als auch das Stammende eines Baumes, ein Stock. Wenn dieses Wort ein Individuum im weitesten Verstande bedeutet, und ein Zahlwort bey sich hat, so lautet es im Plural nicht Stücke, sondern Stück, wie so viele andere Wörter, welche eine Zahl, Maß, Gewicht u.s.f. bedeuten. Der Plural die Stücken ist eben so provinziell als der Oberdeutsche die Stücker.
Adelung-1793: Familien-Stück, das · Cabinetts-Stück, das · Stück-Visierer, der · Stück Lafette, die
Brockhaus-1911: Stuck [2] · Stück · Stuck
Meyers-1905: Stück [2] · Stück [3] · Stuck · Stück [1]
Buchempfehlung
Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.
298 Seiten, 15.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro