Trachten

[636] Trachten, verb. reg. act. et neutr. welches im letzten Fallen das Hülfswort haben erfordert. 1. * Beobachten, denken, erwägen, sich das mannigfaltige an einem Dinge vorstellen; lauter längst veraltete Bedeutungen, von welchen die letzte noch in betrachten übrig ist, S. dasselbe. Ottfried gebraucht drahton noch häufig für betrachten und bemerken, Drahta für das Nachdenken. In der Parän. Tyr. kommt Trahtu für Gedanken vor. 2. Mit Anstrengung seiner Leibes- und Gemüthskräfte zu erlangen suchen, zum Ziele seiner angestrengten Bemühungen machen, wie streben und zuweilen auch ringen, doch unter andern Bildern. Es kommt in dieser Bedeutung auf gedoppelte Art vor. 1) * Als ein Activum mit der vierten Endung. Trachte nicht Böses wider deinen Freund, Sprichw. 3, 29. Ein loser Mensch trachtet allezeit Böses und Verkehrtes in seinem Herzen, Kap. 6, 14. In dieser Gestalt ist es im Hochdeutschen veraltet. 2) Als ein Neutrum, sowohl mit dem Infinitiv, oder einer Partikel. Saul trachtete David zu spießen, 1 Sam. 19, 10. Sie trachten Schaden zu thun, Ps. 35, 20. Sie trachteten, wie sie Jesum greifen möchten, Matth. 21, 46. Wir müssen das einheimische Laster der Familie am eifrigsten zu verbessern trachten, Gell. Als auch mit dem Hauptworte und dem Vorworte nach. Nach etwas trachten. Nach Ehre, nach Reichthum, nach einem Amte trachten. Jemanden nach dem Leben trachten. Unsere Eigenliebe trachtet mit allen brünstigen Wünschen nach einer ununterbrochenen Freude, Dusch. Ehedem gebrauchte man es auch mit dem Vorworte auf, welche Form aber im Hochdeutschen veraltet ist.


Wer auf übrig Reichthum tracht,

Der wird weiter nichts erstreben,

Logau.


So auch das Trachten.

Anm. Im Schwed. tragta. Es ist ein vermittelst der Endsylbe -ten, gebildetes Intensivum von tragen, wie schlachten von schlagen, wo denn der Übergang des gedehnten a in das geschärfte die Verwandelung des gelindern g in das härtere ch nothwendig[636] macht. Diese intensive Form ist zugleich der Grund des Begriffes der Anstrengung, der mit diesem Worte verbunden ist. Unter andern veralteten Bedeutungen des Zeitwortes tragen wurde es auch für sehen, und figürlich für denken, bedenken, wollen, verlangen und andere Wirkungen des Geistes gebraucht. Auf ähnliche Art ist sehnen der Form nach ein Intensivum, der Bedeutung aber nach eine Figur von sehen. Tragen selbst ist eine Art eines Intensivi von einem ältern trahen, Lat. trahere, welches noch in dem Schwed. tra, verlangen, übrig ist, von welchem die Intensiva träga, trängta und tragta, sehnlich verlangen und trachten bedeuten. S. Tragen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 636-637.
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