Volk, das

[1224] Das Volk, des -es, plur. die Völker, Diminut. welches doch nur in einigen Bedeutungen gebraucht wird, das Völkchen, Oberd. Völklein; ein Wort, welches überhaupt eine unbestimmte Menge oder Vielheit besonders lebendiger Geschöpfe, bedeutet, und dabey auf gedoppelte Art gebraucht wird.

1. Als ein Collectivum und am häufigsten ohne Plural, eine Menge, oder auch nur mehrere beysammen befindliche lebendige Geschöpfe zu bezeichnen.

(1) Im weitesten Verstande, so daß dieses Wort auch von vielen bey einander befindlichen Thieren gebraucht wird. Bey den Jägern ist ein Volk Rebhühner, nicht allein ein bey einander befindlicher Haufe, sondern auch eine Brut, die Alten mit ihren Jungen. Es scheinet nicht, daß es hier im Plural gebraucht wird; wenn solches aber wäre, so würde es zur zweyten Hauptbedeutung gehören. Außer dem wird es in diesem Verstande von Thieren nicht gebraucht, außer zuweilen in der zweyten Hauptbedeutung, doch alsdann nur figürlich.

(2) Im engern Verstande, von mehrern bey einander befindlichen Menschen, doch auch hier wiederum in verschiedenen Verhältnissen und Beziehungen. a. Eine Familie, zu Einem Geschlechte gehörige Personen wurden ehedem häufig das Volk genannt. Zu seinem Volke versammelt werden, in der Deutschen Bibel, zu den Seinigen, zu seinen Angehörigen, d.i. sterben. In einigen Niedersächsischen Gegenden ist diese Bedeutung noch gangbar: unser Volk, d.i. unsere Angehörigen. Im Hochdeutschen ist es veraltet, außer daß man noch zuweilen im Scherze die bey einander befindlichen Seinigen im Diminutiv ein Völkchen zu nennen pflegt. Nun will ich mein Völkchen ins Feld treiben, Weiße; d.i. meine Leute. b. Das Gesinde; nur noch im gemeinen Leben, und[1224] den niedrigen Sprecharten. Volksbrot, Gesindebrot, Volkskost, Gesindekost. c. Soldaten, die Armee; in welcher Bedeutung es doch nur noch in den niedrigen Sprecharten üblich ist. Unter das Volk gehen, unter die Soldaten. Unter dem Volke seyn, unter den Soldaten. Das Volk kommt, die Armee, die Truppen. Viele Neuere gebrauchen es, besonders im Oberdeutschen, auch in der edlern Schreibart im Plural für das Französische Truppen. Die Preußischen Völker, Truppen. Allein, dieser Gebrauch ist wider die Natur dieses Wortes, welches im Plural nur von mehreren verbundenen Ganzen gewisser Art gebraucht werden kann. Der Singular Volk wäre richtiger, wenn er nur nicht so niedrig wäre. d. Eine jede an Einem Orte beysammen befindliche Menge Menschen. Des Volks ist zu viel, Richt. 7, 2. Eine Stadt voll Volks, Es. 22, 2. Viel Volk folgte Christo nach, Matth. 8, 1. Man gebraucht es theils nur noch in den niedrigen Sprecharten. Es war viel Volk in der Kirche, in der Komödie, auf dem Markte; theils von einer Sammlung geringerer Personen. Es dränget sich viel Volk herzu. Das Volk abhalten. Theils endlich auch verächtlich.


Dich wird in Zukunft ein Volk, ein Volk der Schmeichler belagern,

Die Pest der großen und glücklichen Welt,

Gell.


e. Die untern Classen der Glieder einer Nation oder eines Volkes in der folgenden zweyten Hauptbedeutung, welche sich von der Handarbeit nähren; wo es auch hier nur im gemeinen Leben und mit einem anklebenden verächtlichen Nebenverstande gebraucht wurde. Das Volk, das gemeine Volk, der große Haufe, gemeine Leute, die untersten Classen im Staat. Außer dem Oberherrn ist in einem Staate alles Volk, im weitesten Verstande. Da es denn in noch härterer Bedeutung oft von mehrern geringen Personen gebraucht wird. Es ist liederliches Volk, es sind liederliche Leute. Einige neuere Schriftsteller haben dieses Wort in der Bedeutung des größten, aber untersten Theiles einer Nation oder bürgerlichen Gesellschaft wieder zu adeln gesucht, und es ist zu wünschen, daß solches allgemeinen Beyfall finde, indem es an einem Worte fehlet, den größten, aber unverdienter Weise verächtlichsten Theil des Staates mit einem edlen und unverfänglichen Worte zu bezeichnen. Romane für das Volk, Volksromanen, Volkslieder.

2. Ein aus mehrern Menschen bestehendes Ganze, doch nur in engerm Verstande, eine Menge Menschen, welche einen gemeinschaftlichen Stammvater erkennen, und durch eine gemeinschaftliche Sprache verbunden sind, in welchem Verstande es denn auch von mehrern Ganzen dieser Art den Plural leidet. Das jüdische Volk. Alle Völker auf Erden, 1 Mos. 18, 18. Ein Volk wird sich empören über das andere, Math. 21, 9. Die Menschen, womit Deukalion und Pyrrha das alte Gräcien bevölkerten, waren anfänglich ein sehr rohes Völkchen, Wiel. Man kann es in dieser Bedeutung zwar nicht für veraltet ausgeben, indessen ist es doch in dem gewöhnlichen Sprachgebrauche seltener geworden, seitdem das ausländische Nation in dieser Bedeutung eingeführet worden. Beyde Wörter bezeichnen zunächst die Einwohner eines Landes, so fern sie einerley Sprache haben, und daher als von einerley Stamme entsprossen angesehen werden. Das Römische Volk. Zuweilen druckt Volk auch die politische Verbindung aus, und bezeichnet eine Menge Menschen, welche unter einerley Oberhaupte stehen, wenn sie gleich von verschiedenen Stämmen und Sprachen sind. Indessen wird das Wort Volk am häufigsten von alten Völkern, ingleichen von neuern nur ganz allgemein gebraucht. Die Römer, die Longobarden waren ein tapferes, die alten Griechen ein witziges Volk. Von neuern, besonders mit näherer Bezeichnung, ist theils Nation, theils Völkerschaft üblicher, vermuthlich[1225] um des dem Worte Volk in den meisten Fällen anklebenden verächtlichen Nebenbegriffes willen. Die französische Nation, die Franzosen, nicht das Französische Volk, allenfalls die Französische Völkerschaft.

Anm. Schon im Isidor Folc, bey dem Ottfried, Notker u.s.f. Folck, im Nieders. gleichfalls Volk; im Angels. Folc, im Schwed. wo es auch das menschliche Geschlecht bedeutet, Folk, im Engl. Folk. Im Dänischen ist mit versetzten, l Flok, ein Haufe, Trupp, und flokke sig, sich schaaren, in Haufen versammeln. Das Lat. vulgus und Tatarische Pulk, ein Haufe, sind mit dem Deutschen nahe verwandt. Die meisten Sprachforscher haben schon erkannt, daß dieses Wort von folgen abgeleitet werden müsse, ob sie gleich den eigentlichen Sinn beyder nicht erschöpfet haben. Dem ersten Ansehen nach könnte Volk einen Haufen bedeuten, der einem andern folget, folglich auch demselben unterworfen ist, und daraus würde sich auch der verächtliche Nebenbegriff erklären lassen, der diesem Worte, so wie dem Worte Leute, in den meisten Fällen anklebt. Allein, folgen selbst ist nur eine Figur einer ältern Bedeutung der Menge, welche denn auch in dem Hauptworte Volk die herrschende ist. Siehe auch das nahe verwandte Wolke, eine dunkle, dicke Menge einzelner Dinge.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 1224-1226.
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