[474] Alexander Pope. Dieser berühmte und große Dichter der Britten war der Sohn eines Kaufmanns, und i. J. 1688 zu London geboren. Sein Körper war klein und unansehnlich; auch war er beständig kränklich und schwach; und die Erziehung, die er von Geistlichen und auf Schulen genoß, kam der Cultur seines Geistes nur sehr wenig zu Hülfe. Allein er überwand diese Hindernisse, bildete sich in den Wissenschaften bloß durch sich selbst, vorzüglich durch das Studium der Schriftsteller der Alten, die er fleißig übersetzte und nachahmte; auch machte er in der Philosophie Fortschritte. Sein Dichtertalent übte er schon auf Schulen und nachher auf dem Landgute seines Vaters zu Binfield im Walde bei Windsor. Da er als Katholik keine Aemter erlangen konnte, so widmete er sich ganz der Schriftstellerei: er ward bald der Lieblingsschriftsteller seiner Nation; und es gelang ihm auch, sich ein sehr beträchtliches Vermögen zu sammeln. Während er sich die Hochachtung und Freundschaft eines Lord Bolingbroke, Warburton und and andrer ausgezeichneten Köpfe der Britten erwarb, zog ihm sein Ruf die Feindschaft unzähliger Kleingeister zu, deren Heer er aber durch verschiedne beißende Satyren [474] bekämpfte, daß sie auf immer verstummten. Man wirft ihm in der That nicht mit Unrecht vor, daß er im Tadel seiner Gegner zu heftig und wüthend und überhaupt sehr streitsüchtig gewesen sei; im übrigen besaß er den edelsten Charakter. Sein Tod erfolgte wegen seiner beständigen Kränklichkeit schon 1744 am 30. Mai auf dem Landhause zu Twickenham, das er sich gekauft hatte; und sein Freund, der gelehrte Doctor Warburton, gab, seinem letzten Willen gemäß, seine sämmtlichen Werke mit einem vortrefflichen, jedoch nicht selten durch des Herausgebers sonderbare eigne Meinungen verunstalteten Commentar heraus, London 1752, 8. 9 Bände. Die beste und vollständigste Ausgabe ist von Jos. Warton, Lond. 1797. in 9 Octavbänden, mit vortrefflichen Noten. Eine Deutsche Uebersetzung seiner sämmtlichen Werke, von Dusch, ist zu Altona 1758–63 in 5 Octavbänden erschienen.
Feuer und Stärke der Gedanken und Empfindungen, und eine sehr reiche Einbildungskraft blicken aus allen Gesängen Popeʼs hervor, und sein Stylist im Erhabenen und Zärtlichen gleich schön. Ueberhaupt ist seine Sprache sehr rein und weit gebildeter, als die Sprache seiner Vorgänger. Er ist der wahre Schöpfer des verbesserten philosophischen Gedichts unter den Neuern. Er weiß die trockensten Materien durch seine Einbildungskraft zu versinnlichen, und überzeugt eben so stark, als er rührt und ergötzt. Sein Witz und seine Satyre zieht indeß den Leser doch nicht so sehr an, als sein philosophischer Geist und seine treffliche Moral. Er hat fast alle Arten der Poesie bearbeitet. Bescheidenheit und Furchtsamkeit trieben ihn an, Nachahmer vorzüglich der Alten zu werden; allein sein Geist zerbrach die Fesseln der Nachahmung, und zwang ihn, zugleich seine Originalität zu behaupten. – Popens Schriften sind sehr mannigfaltig und zahlreich. Der Versuch über die Kritik und der Tempel des Ruhms sind zwei vortreffliche Lehrgedichte; allein der Versuch über den Menschen ist unstreitig das vollendetste unter allen philosophischen Gedichten der Neuern. Sein Lockenraub, eine komische Epopöe, reich an Witz, Laune und Zärtlichkeit, gründet sich auf eine wirkliche Thatsache: ein Verliebter schnitt seiner Geliebten aus Entzückung über ihre Reitze eine [475] Haarlocke ab, wodurch diese sich anfangs beleidigt fühlte, ihm aber nachher ihre Hand gab und in der glücklichsten Ehe mit demselben lebte. – Herr Merkel hat es 1797 in Versen frei und sehr dichterisch übersetzt, und Anspielungen auf Deutschland und die Ereignisse unsrer Tage eingeschaltet. Popens poetische Briefe behaupten ebenfalls einen ganz vorzüglichen Rang unter den Gedichten dieser Art; er hat darin die Ruhe des Horaz, den Nachdruck des Juvenals und den Ernst des Persius vereinigt. Unter ihnen zeichnet sich hauptsächlich der Brief der Heloise an Abelard als ein Muster des Zärtlichen und Gefühlvollen aus, den uns Burger so meisterhaft übersetzt hat. Zu seinen satyrischen Schriften gehört, außer einigen Gedichten und Epigrammen (und den in Verse gebrachten Satyren des John Donne), besonders die Dunciade, ein beißendes komisches Gedicht in drei Briefen, zu denen er späterhin den vierten hinzufügte, worin er seine zahlreichen Feinde und Verleumder mit einem Schlage demüthigte, zugleich aber auch den Zustand der Gelehrsamkeit in England angriff. Weniger glücklich war er in der Idylle und der beschreibenden Poesie; ungleich höhern Werth haben seine Oden und vermischten Gedichte. Endlich lieferte er auch vortreffliche Uebersetzungen und Nachahmungen der Griechischen und Römischen Dichter, z. B. des Statius, den er trefflich übersetzte, und der Idyllen des Virgils und Theokrits. Die Briefe und Satyren des Horaz ahmte er mit unerreichbarer Schönheit nach; ganz vorzüglich berühmt machte ihn aber seine freie Uebersetzung der Iliade und der Hälfte der Odyssee des Homer, welche überaus schön und dichterisch ist, aber sehr von dem Original abweicht.