Carl der fünfte

[224] Carl der fünfte. Dieser für die Geschichte von ganz Europa im sechzehnten Jahrhunderte höchst merkwürdige Mann wurde im J. 1500 zu Gent geboren, und starb im J. 1558. Sein Vater war Philipp, ein Sohn Kaiser Maximilians 1. seine Mutter Johanna, des Königs Ferdinand des Katholischen in Arragonien und Isabellens von Castilien Tochter. Er wurde sorgfältig erzogen, und machte vorzüglich in den lebenden Sprachen und in den Leibesübungen Fortschritte: der nachherige [224] Papst Alexander VI. war sein Lehrer. Sein Geist berechtigte ihn zu der großen Rolle, die er in der Geschichte seiner Zeit spielte: und wenn die List und Verstellungskunst, deren er sich in seiner Politik bediente, uns verhindert, vortheilhaft von seinem Herzen zu denken, so muß man doch dabei nicht ganz vergessen, wie viel Einfluß auf seine Handlungen die damals herrschenden Begriffe von Staatsklugheit, wie auch mehrere seiner Räthe haben mochten. Müller zeichnet seinen Charakter meisterhaft durch folgende Züge: »der Kaiser, wachsam auf alles, war körperlich und moralisch thätiger, als von seiner schwachen Leibesconstitution zu erwarten war; desto vorsichtiger, so lange die Geschäfte zweifelhaft waren (da er mehr von einem Staatsmann, als von einem Helden hatte, und andern um so weniger traute, weil er in den Künsten der Verstellung sehr geübt war); vortrefflich im Combiniren, so lange er kalt blieb: in seiner Lebensart einfach und nicht ohne Popularität in den Manieren.« Nach dem Tode seines Vaters (1506) ward er Erzherzog, im J. 1516 erklärter König von Spanien, drei Jahre darauf Römischer Kaiser. Franz I. König von Frankreich, machte ihm die Kaiserwürde streitig, allein Carl erhielt den Vorzug vor ihm. Diese Rivalität entzündete im J. 1521 zwischen Frankreich und dem Römischen Reiche einen Krieg, dessen Schauplatz vorzüglich Italien war. Carl war sehr glücklich, er verbündete sich mit Heinrich VIII. König von England, dem Papst Hadrian VI. mit Florenz und Venedig, wußte Franzens Generale auf seine Seite zu ziehen, und es gelang ihm sogar in der berühmten Schlacht von Pavia, im J. 1525, Franz I. gefangen zu bekommen. Er verbarg seine Freude hierüber mit der größten Verstellung, so daß er sogar die Zeichen der öffentlichen Freude verbot; er beruhigte Franzen durch das Versprechen einer baldigen Freiheit, während er die Ausführung seines Versprechens zu verzögern suchte. Ueberhaupt zeigte sich der feurige Franz stets großmüthiger als der kältere feinere Carl; Franz mußte endlich seine Freiheit mit einem schimpflichen Frieden erkaufen, von welchem voraus zu sehen war, daß er ihn nicht halten werde. Carls Bundesgenossen hatten indeß ihr System geändert; dieser war jedoch darum nicht minder thätig; er nahm den Papst Elemens VII. in der Engelsburg [225] gefangen, und verordnete Prozessionen und Gebete um seine Befreiung, während er ihn mit ein paar Zeilen hätte in Freiheit setzen können. Der Tractat von Cambrai (s. diesen Art.) machte endlich (1529) diesem Kriege vor der Hand ein Ende: vor der Hand, sage ich; denn Carl veranlaßte noch zweimal Krieg mit Frankreich, ohne jedoch seine Entwürfe mit Glück gekrönt zu sehen. Im J. 1532 rückte er den Türken entgegen, die ihn bedrohten, sich aber bald zurückzogen. Im J. 1535 ging Carl persönlich nach Afrika, dem Muley-Assem zu Hülfe, eroberte Tunis, und schlug den berühmten Barbarossa. Im J. 1539 trieb er die rebellirenden Genter zu Paaren, bei welcher Gelegenheit ihm Franz die Erlaubniß durch Frankreich zu gehen ertheilte, und seinen Gast nicht nur auf das prächtigste empfing, sondern ihn auch, trotz dem Rathe seiner Hofleute, die vollkommenste Sicherheit gewährte; eine Großmuth, welche Carls nachheriges Betragen gegen Franz nicht entsprach. Im J. 1541 dachte er Algier zu erobern, bei welcher Expedition er jedoch, wie man voraus gesehen, kein Glück hatte. Für Deutschland machte Carls V. Regierung Epoche, sowohl in Rücksicht auf die politische als religiöse Verfassung dieses Staats. Nie hatte Deutschland einen so mächtigen Kaiser wieder; welch ein Aufruf, gegen die Anmaßungen desselben auf seiner Huth zu sein, welche es ihm nur wenig zu verbergen gelang! Unter Carl V. brach die Reformation in ihrer ganzen Stärke hervor. Carl scheint im Anfange die Reformation theils für weniger interessant an sich selbst, theils für leicht zu dämpfen, wenn es ihm Ernst sei, angesehen zu haben. So viel ist gewiß, er vermied lange sorgfältig, sich für irgend eine Partei ernstlich und nachdrücklich zu erklären, wozu ihn vorzüglich gewisse Verhältnisse mit protestantischen Fürsten, die ihm nothwendige Unterstützung derselben bei dem Reichskriege, endlich die Kriege, in die er bereits verwickelt war, bestimmten. Allein nach dem Frieden zu Crespy, den er 1544 mit Frankreich schloß, dem fünfjährigen Stillstand mit den Türken im J. 1546 und einem Bündniß mit dem Papst ging er ernstlich wider die Protestanten los, ohne Zweifel weniger wegen ihrer Meinungen, als aus Unwillen, daß sie ihm in ihren Religionsstreitigkeiten nicht hatten nachgeben wollen, und um seine Macht in Deutschland [226] zu erweitern. Die Protestanten, welche überall von des Kaisers Zurüstungen hörten, suchten ihm zuvorzukommen, und erklärten ihm 1546 den Krieg, welcher in der Geschichte den Namen des Schmalkaldischen führt (s. Schmalkaldischer Bund). Johann Friedrich, Churfürst von Sachsen, und Philipp von Hessen führten das Commando: auch fochten sie anfangs mit Glück: allein ihre ersten Schritte waren doch nicht lebhaft genug, und Herzog Moritz von Sachsen gewann Zeit, in die Churlande einzufallen. Der Rückzug des Churfürsten, um seine Lande zu decken, veranlaßte eine Zerstreuung der Armee, und störte die Eintracht des Schmalkaldischen Bundes. Der Kaiser rückte nach Sachsen, und gewann die Schlacht bei Mühlberg (d. 24. Apr. 1547), wo er den Churfürsten gefangen nahm, und zu Folge deren er auch den Landgrafen von Hessen nöthigte sich ihm zur Haft zu stellen. Durch diesen Sieg glaubte er sich in den Besitz einer unumschränkten Macht gesetzt zu haben. Eigenmächtig ließ er dem Churfürsten das Todesurtheil sprechen (welches jedoch nicht vollzogen wurde); eigenmächtig ertheilte er dem Herzog Moritz die seinem Vetter abgenommene Churwürde; eigenmächtig publicirte er (1548) das so genannte Interim – bis der neue Churfürst Moritz im J. 1552 unvermuthet mit ihm brach, und in seiner Unternehmung so glücklich war, daß er den Kaiser beinah zu Inspruk gefangen bekommen hätte. Moritz zwang den Kaiser, den Nassauer Vertrag zu unterschreiben, vermöge dessen das Interim aufgehoben, und den Protestanten Gewissensfreiheit und eine friedliche Beilegung ihrer Streitigkeiten mit den Römischkatholischen versprochen wurde, welche letztere auch durch den 1555 zu Augsburg geschlossenen Religionsfrieden erfolgte.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 224-227.
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