[163] Religionsfriede. Um diesen zwischen den evangelisch-lutherischen oder protestantischen und den katholischen Ständen des Deutschen Reichs im Jahre 1555 geschlossenen Vergleich gehörig beurtheilen zu können, müssen wir einen Blick auf die Religionsunruhen jener Zeit werfen. Luthers seit dem Jahr 1517 angefangene Reformation fand unter den Reichsständen so viele Freunde, daß sich mehrere derselben 1530 zu Schmalkalden zur Vertheidigung der Augsburgischen Confession oder der Grundsätze des protestantischen Glaubens verbanden. Zwar versicherte ihnen der Nurnberger Religionsvergleich von 1532 völlige Gewissensfreiheit; allein Bedrückungen von Seiten des Kaisers Carls V. und der katholischen Reichsstände bewogen die Protestanten zu einem zweiten und weit nachdrücklichern Bundniß, das ebenfalls zu Schmalkalden 1537 eingegangen wurde. Nach fortdauernden Streitigkeiten brach endlich 1546 der Religionskrieg völlig aus. Herzog Moritz von Sachsen, obschon selbst Protestant, unterstützte Carl V. und so gelang es dem Kaiser, die Anführer der Augsburgischen Confessionsverwandten, Johann Friedrich den Großmüthigen, [163] Churfürsten von Sachsen, und Philipp, Landgraf von Hessen, zu bezwingen. Ersterer wurde 1547 bei Mühlberg im Meißnischen gänzlich geschlagen und gefangen genommen, Letzterer in Halle verhaftet. Moritz erhielt die Sächsische Churfürsten-Würde (s. d. Art. Moritz, Th. 3. S. 172.), und die protestantische nunmehr ganz gedemüthigte Partei ahnete, als Carl V. das beruchtigte Interim (s. dies. Art.) erließ, eine völlige Unterjochung. Dieses Interim bestand in einer Verordnung, wie es einstweilen (interim) mit der protestantischen Religionsfreiheit gehalten werden sollte, die aber den Anhängern dieser Lehre nur sehr wenig Rechte zusicherte. Diese Beschränkungen sowohl, als Carls immer mehr um sich greifender Despotismus bewogen Moritzen, sich, im Bunde mit den protestantischen Reichsständen und dem Konige Heinrich II. von Frankreich, zum Retter der Deutschen Freiheit aufzuwerfen. Er zog gegen Carln zu Felde, schlug ihn überall, drängte ihn mit rascher Geschwindigkeit nach Tyrol (1552), und nöthigte ihn, zur Wiederherstellung der Rechte der Protestanten den Passauer Vertrag (1552, den 2. August) einzugehen, vermöge dessen allen Lutheranern völlige Religionsfreiheit nebst dem Genuß aller bürgerlichen Rechte vorläufig zugesichert, zugleich aber ausgemacht wurde, daß zu ihrem Vortheil nächstens ein immerwährender Religionsfriede abgeschlossen werden sollte (mehreres s. im Art. Passauer Vertrag, Th. 3. S. 376). Carl erneuerte dessen ungeachtet seine vorigen Bedrückungen wieder, erlitt aber zum Glück für die Anhänger der gereinigten Lehre im Kriege gegen Frankreich 1552 bis 1554 viele heftige Niederlagen, die ihn bestimmten, den Forderungen der nunmehr weit furchtbarern Protestanten nachzugeben. Es wurde daher 1555 auf einem Reichstage zu Augsburg vom 5. Februar an ein Landfriede geschlossen, und demselben ein endlicher und immerwährender Religionsfriede beigefügt, den man auch am 25. Sept. des gedachten Jahres unterzeichnete. Als Bevollmächtigter des Kaisers war der Römische König Ferdinand, nachmahliger Kaiser, gegenwärtig. Die Reichsritterschaft wurde in den Frieden mit eingeschlossen; doch bezog er sich gar nicht auf die Reformirten, weder Calvinianer noch Zwinglianer. Kraft des Friedens sollte hinfort kein Reichsstand der [164] Religion wegen bekriegt oder gekränkt, und jede Religionsstreitigkeit durch Schiedsrichter oder auf andere gutliche Art ausgemacht werden; die Protestanten sollten ihre Lehre da, wo sie üblich war, mit völliger Freiheit und allen bürgerlichen Rechten, so gut als die Katholiken, ausüben können, auch die ihnen entrissenen Kirchengüter wieder erhalten. Ferner wurde ihnen gestattet, der Religion wegen aus einer Deutschen Provinz in die andere auszuwandern; endlich sollte alle geistliche Gewalt und Gerichtsbarkeit des Papstes und der katholischen Bischöfe über die Protestanten einstweilen und bis zu einer künftigen Vereinigung der Lutherischen und katholischen Partei aufgehoben sein. Da aber eine solche Vereinigung nie erfolgt ist, auch nie wahrscheinlich war; so hatte man den Protestanten dadurch jene Befreiung von dem sclavischen Joche der Geistlichkeit auf immer zugestanden, und zugleich ihren Fürsten die Rechte in Religionssachen eingeräumt, welche die Vernunft laut für sie fordert. So vortheilhaft nun auch diese Bedingungen waren, so wurden sie doch durch eine für die Protestanten nachtheilige, obwohl ziemlich natürliche und nicht ganz unbillige, Clausel, die Ferdinand in das Friedensinstrument hineinsetzte, entkräftet. Es sollte nehmlich jeder katholische Erzbischof, Bischof, Prälat und anderer Geistlicher, der künftig zu Luthers Glauben übertreten würde, sogleich seine Stelle, Einkünfte und Pfründe völlig verlieren, auch dem katholischen Capitel frei stehen, seinen Platz wieder an einen Katholiken zu vergeben. Weil sich die Katholiken diesen Punkt als ein Vorrecht vorbehielten, so nannte man ihn den geistlichen Vorbehalt, Reservatum ecclesiasticum, oder geistliches Reservat; auch gilt er noch jetzt, indem ihn der Westphälische Friede, Artikel 5. §. 15. ausdrücklich bestätigt hat. – Die lutherische Religion war durch den Religionsfrieden zu einer herrschenden Kirche erhoben worden, und wurde besonders noch dadurch gegen fernern Druck geschützt, daß drei weltliche Churfürsten, nehmlich Pfalz, Sachsen und Brandenburg, Protestanten, und bloß die drei schwächern geistlichen Churfürsten nebst dem Churfürsten von Böhmen oder dem Kaiser Katholiken waren. Doch ließ die Unbestimmtheit mehrerer Friedenspunkte, besonders des (im Frieden gänzlich übergangenen) Antheils der Protestanten [165] an der Reichs-Regierung noch genug Materien zum Streite übrig, der endlich im dreißigjährigen Kriege in helle Flammen ausbrach, bis zuletzt der Westphälische Friede, welcher auch den Reformirten völlig gleiche Rechte mit den Lutheranern verschaffte, die jetzige Religionsverfassung Deutschlands begründete, und die Freiheit der Religionen auf unumstößliche Grundpfeiler baute.