Das Scrutinium

[200] Das Scrutinium (von scrutari, ausforschen, gründliche Untersuchungen anstellen) hat im Kirchenrechte zwei sehr verschiedene Bedeutungen. I) heißt es die der Uebertragung des geistlichen Amts (Ordination) vorausgehende Untersuchung, welche mit dem zum Amt Berufenen vorgenommen werden muß, um zu erfahren, ob der Mann zu Annahme des Amtes fähig sei oder nicht. Dieses Scrutinium veranlaßt in der katholischen Kirche der Bischof entweder in Person oder durch seinen Vicar (den Weihbischof oder einen andern ordinirten Geistlichen). Hierbei nun wird die Untersuchung auf mancherlei gerichtet, z. B. bei manchen geistlichen Aemtern auf die Geburt des Candidaten, auf sein Alter, auf seinen zeither geführten Lebenswandel, besonders aber auf seine für sein Amt erforderlichen Kenntnisse, um welcher willen ein ordentliches Examen nöthig ist. Nach der Vorschrift des Tridentinischen Conciliums Sess. 23. soll eigentlich diese angestellte Untersuchung zweimahl wiederhohlt werden; allein die erzkatholischen Staaten, z. B. Spanien, Portugal und den Kirchenstaat ausgenommen, fällt in der Deutschkatholischen Kirche diese zweimahlige Wiederhohlung gänzlich weg. In der protestantischen Kirche verlangen [200] die Consistorien von den Candidaten, 1) daß sie den Ort ihrer Geburt durch hinlänglich beglaubigte Taufzeugnisse beibringen, 2) durch Zeugnisse beweisen, daß sie drei Jahre auf einer Universität theologischen, geschichtlichen und philosophischen Vorlesungen fleißig beigewohnt haben, 3) daß sie sich wegen ihres zeither wohlgeführten Lebenswandels mit Zeugnissen von der Obrigkeit des Orts, wo sie sich bisher aufhielten, legitimiren, und endlich 4) sowohl ihre Gelehrsamkeit bei der Prüfung als die Geschicklichkeit im Predigen durch eine zu haltende Predigt zeigen; sodann erfolgt die Ordination, mit welcher dem Candidaten das Amt selbst übertragen wird. II) Zeigt Scrutinium in der katholischen Kirche eine ganz besondere Art, die Bischofswahl zu halten, an. Es werden nehmlich, wenn alle und jede stimmenfähige Domherren (Capitularen) berufen und auf den angesetzten Tag im Capitel erschienen sind, drei Glieder (welche Scrutatores heißen) unter ihnen erwählt, die Stimmen der übrigen erschienenen Glieder zu sammeln, und alsdann dem ganzen Capitel denjenigen, auf welchen die Mehrheit der Stimmen gefallen ist, bekannt zu machen; und dieser wird Bischof. Die Bischofswahl selbst aber muß wenigstens binnen 3 Monathen nach Erledigung des bischöflichen Stuhls und Beerdigung des vorigen Bischofs geschehen; sonst übt der Papst das Wahlrecht aus, welches eine Provisio extraordinaria papalis ex jure devolutionis heißt. Eben deßhalb sucht ein Capitel die Wahl seines Prälaten so viel als möglich zu beschleunigen. Außer dieser Bischofswahl vermittelst des Scrutiniums giebt es noch zwei andere, davon ganz verschiedene, jedoch weit weniger gewöhnliche Wahlarten, nehmlich 1) eine durch Quasi-Inspiration (wobei die Stimmen aller und jeder Glieder auf einen einzigen Mann, gleichsam als auf einen Punkt, sich vereinigen) u. 2) die Wahl vermittelst Compromisses (wo eine oder mehrere Personen einmüthig ernannt werden, um die Wahl im Namen des ganzen Capitels zu vollziehen). – Von jeder Wahl hängt für den erwählten Prälaten das Recht ab, binnen Monathsfrist sich zu erklären, ob er das ihm übertragene Amt annehmen wolle oder nicht; entschließt er sich dazu, so muß er binnen drei Monathen die Bestätigung des unmittelbaren Obern suchen. Von [201] dieser erlangten Bestätigung nun hängt das Recht zur Administration der Kirchenregierung für ihn ab, aber auch sein Recht auf die mit der Prälatur verbundenen Nutzungen. Die Deutschen unmittelbaren Erz- und Bischöfe, so wie alle andere Prälaten, sollen, laut Concordats, diese ihre Consirmation einzig und allein vom päpstlichen Stuhl erhalten können – aber bald dürfte dieses Concordat üllerflüssig sein, indem, außer Regensburg, im Deutschen Reiche seit dem Lüneviller Frieden kein unmittelbares Stift mehr existirt.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 200-202.
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