Der Eulenspiegel

[397] Der Eulenspiegel, ist der Name eines alten Deutschen Volksromans, der auch wohl noch jetzt zuweilen sein Publikum findet. Der vollständige Titel ist so possierlich, daß er wohl verdient, ganz aufgeführt zu werden: »Wunderbare und seltsame Historien Tyll Eulenspiegels, eines Bauern Sohn, bürtig aus dem Lande zu Braunschweig. Aus sächsischer Sprache auf gut hochdeutsch verdolmetscht, und jetzt wieder aufs neu, mit etlichen Figuren vermehret und gebessert, sehr kurzweilig zu lesen. Jetzund abermal ganz frisch gesotten und recht neu gebacken. Gedruckt in diesem Jahre.« Wer dieser Tyll eigentlich gewesen sei, ist nicht bekannt: aber wahrscheinlich spielte er zu Anfange des 14. Jahrhunderts die Rolle eines Lustigmachers und Possenreißers in den Gegenden von Niedersachsen und Westphalen. Zu Möllen, einem kleinen Städchen unweit Lübeck, wird sein Grabmahl noch jetzt als eine Merkwürdigkeit gezeigt; und man findet darauf eine Eule und einen Spiegel als Symbole eingegraben. Ein Unbekannter veranstaltete eine Sammlung seiner Schwänke, wahrscheinlich in der plattdeutschen Sprache, und Thomas Murner – ein Franziskaner und Verfasser verschiedener satyrischer Schriften – übersetzte sie im 15. Jahrhunderte in die hochdeutsche Mundart. Die darin enthaltenen Späße und Einfälle haben zwar sehr oft das Gepräge der Wahrheit und Originalität, sind jedoch wegen der derben Kraftsprache, [397] womit zu damaligen Zeiten gewisse Dinge bezeichnet wurden, für gebildete Leser völlig ungenießbar.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 397-398.
Lizenz:
Faksimiles:
397 | 398
Kategorien: