[290] Der Rittersprung, eigentlich Vorritt. Keine Deutsche Provinz, ja kein Reich in Europa ist uns bekannt, wo der Vorritt, oder schlechtweg der Rittersprung einem adlichen Rittergutsbesitzer heutiges Tages noch ein eignes Recht bewirkte; ja wir wissen uns nicht zu erinnern, daß dieser Vorritt gegenwärtig noch irgendwo gehalten würde. Nur in der Ober-Lausitz kommt er noch vor, wo er in den Jahren 1777 und 78 zu Budissin (Bautzen), der Hauptstadt dieser dem Churhause Sachsen gehörigen Provinz, auf die feierlichste Weise zweimahl nach einander gehalten und vollzogen worden ist. Dieser Vorritt, oder der sogenannte Rittersprung, gründet sich auf ein Privilegium, welches der Kaiser Ferdinand I. im Jahre 1544 der Ritterschaft der Ober-Lausitz ertheilte. Vermöge dieses Privilegiums nun soll ein jeder Vasall berechtigt sein, sein schon auf dem Fall stehendes Lehn- und Rittergut ohne Genehmigung des Lehnsherrn unter den Lebendigen, z. B. durch Verkauf, veräußern zu dürfen, unter dieser Einschränkung jedoch, daß es noch zu einer Zeit geschehen muß, wo er, der Vasall und Ritter, noch so viel Lebenskräfte hat, um ein hengstmäßiges Pferd in seiner vollen Rüstung besteigen und vor dem Landvoigte auf solchem reiten zu können1. Sobald denn nun ein [290] mahl dieser Vorritt oder Rittersprung gehalten werden soll, so gehen noch große Vorbereitungen der Feierlichkeit selbst voraus. Es wird nehmlich eine ganz neue vollständige Ritterrüstung dazu gefertigt, welche, zusammt dem Pferde des Ritters, vor allen Dingen den churfürstlichen Commissarien einige Tage vor der Handlung vorgezeigt werden muß, um zu sehn, ob alles vorschriftsmäßig sei: das Pferd wird gemessen, der Küraß wird angeschossen und die ganze Rüstung gewogen. An dem zur Feierlichkeit bestimmten Tage muß der Vasall in seiner vollen Rüstung auf dem Schloßhofe erscheinen, so ausgerüstet das Pferd besteigen, und vor den auf einer daselbst befindlichen Tribune versammelten churfürstlichen Commissarien, und in Gegenwart ritterschaftlicher und städtischer Deputirten, unter Vorausreitung 4 Trompeter, zweimahl um einen Kreis herumreiten. Mehreres hierüber findet man in Bernoulliʼs Sammlung kurzer Reisebeschreibungen, Th. 1. No. 6.
1 Der Ausdruck: Das Lehn steht auf dem Fall, wird dann gebraucht, wenn der jetzige noch lebende Vasall keinen lehnsfähigen Erben weder in absteigender, noch in der Seitenlinie hat, auch kein Mitbelehnter vorhanden ist, und dereinst mit seinem Tod das Lehn wieder an den Lehnsherrn zurückfällt.