[215] Der Seidenbau, wurde einstimmigen und glaubwürdigen Nachrichten zu Folge, zuerst durch die Chinesen betrieben, in deren Lande der Seidenwurm einheimisch ist, und noch jetzt in seinem Naturstande oder in der Wildniß lebt, ohne von Menschen-Händen gepflegt zu werden. Die Serer, ein Scythisches Volk am äußersten Ende von Asien, in dem nördlichen Theile des jetzigen China, sollen von Solingchi, der vornehmsten Gemahlin des , 2600 Jahre vor Christi Geburt im Seidenbau unterrichtet worden sein, und sich hernach darin besonders hervorgethan haben, daher man auch die Seide nach ihnen im Lateinischen Sericum und im Griechischen Σέεϰεγ genennt habe. Von den Chinesern und Serern kam der Seidenbau zu den Persern. Durch zwei Mönche wurden unter dem Kaiser Instinian I. die ersten Cocons nach Constantinopel gebracht; und im Jahre 555 ließ man die erhaltnen Eier von dem Nachtvogel des Seidenwurms im Frühjahre im Miste ausbrüten, und die jungen Raupen oder Seidenwürmer mit Blättern von Maulbeerbäumen füttern. So kam der Seidenbau nach Europa, doch blieb Griechenland noch lange Zeit im Besitze des Geheimnisses einer guten Zucht von Seidenwürmern. Im Jahre 1130 erbeutete Roderich, König von Sicilien, in einem Kriege mit dem Morgenländischen Kaiser bei der Eroberung von Athen, Theben und Corinth viele Seide, nahm viele Seidenfabrikanten mit zurück, und legte in Palermo und Calabrien die ersten ordentlichen Seiden-Manufacturen an. Aus Italien kam der Seidenbau nach Spanien, und endlich auch gegen Ende des 15ten Jahrhunderts nach Frankreich. Auch in Deutschland, z. B. in Oestreich und Tyrol, in den Brandenburgischen Landen, selbst in Chursachsen, hat man im vorigen Jahrhundert angefangen, auf die Seidenzucht [215] sich zu legen. Die Seide selbst ist ein zarter Faden von dem Seidenwurme, einer Raupe, die von trocknen, frischen Maulbeerbaum-Blättern lebt, und bei ihrer Verpuppung ein Gehäuse um sich spinnt, das der Balg oder Cocon genannt wird. Die rohe Seide bestehet also aus den länglich runden Cocons, die einem Taubenei gleichen, gelb, weiß oder gründlich aussehen, und in deren Innern die Puppe des Seidenwurms liegt. Um diese Puppen, aus denen sonst ein Nachtschmetterling entstehen würde, und wovon auch ein Theil zur Zucht ausfliegen darf, zu tödten, hat man verschiedene Mittel: die Cocons werden zwischen Papier gelegt, das durch Terpentinöhl gezogen worden; oder Campher wird in Weinessig aufgelöst, und diese Flüssigkeit im Zimmer, wo die Cocons befindlich sind, verdampft. Das Abwickeln der Seide von den Cocons erfolgt durch den Seidenhaspel oder auf so genannten Seidenmühlen, wo durch ein Wasserrad mehrere tausend Haspeln und Spulen zugleich umgetrieben werden, und wobei die Seide nicht nur abgewickelt und gespult sondern auch zugleich gezwirnt wird. Schon im Jahre 1725 haben Thomas und Johann Lombe zu Derby in England zur Verarbeitung der Italiänischen Seide eine Maschine erfunden, die aus 26,586 Rädern und aus 97,746 Bewegungen bestand, die 73,718 Faden Seide, so oft sich das Wasserrad umdrehte (welches in einer Minute dreimahl geschah), und in Tag und Nacht 318 Millionen 504,960 Faden abarbeiten konnte. Jedes kleine Rad konnte in seiner Bewegung ohne die andern aufgehalten werden, eine einzige Feuerröhre brachte warme Luft der Maschine in allen ihren Theilen zu, eine einzige Person dirigirte das ganze Werk, und ein Mädchen von zehn Jahren konnte so viel arbeiten als sonst 33 Menschen.