Der Talmud

[49] Der Talmud ist eine Sammlung Jüdischer Traditionen, Gewohnheiten und Gesetze, welche vorzüglich seitdem entstanden, da die Propheten aufhörten. Zwischen dem zweiten und sechsten Jahrh. nach Christi Geb. wurde der Talmud von gelehrten Juden zusammengetragen. Er zerfällt in zwei Theile: 1) die Mischnah (d. i. zweites Gesetz), welche 220 nach Christi Geb. von einem berühmten Jüdischen Lehrer, Juda dem Heiligen, gesammelt wurde: sie ist der Haupttheil, und enthält gleichsam den Text; 2) die Gemara, vom Rabbi Jochanan in Palästina in demselben Jahrhundert veranstaltet: diese begreift die Erläuterungen, welche die Rabbinen darüber aufsetzten. Man kann auch noch die Masora dazu rechnen, welche einen Commentar über die heiligen Bücher der Juden enthält, und aus ältern und neuern Schriften zusammengetragen ist. In allen diesen Werken herrschen größten Theils abenteuerliche Meinungen über die Entstehung der Welt, über die große Weisheit, welche die Erzväter besessen haben sollen, über die Natur der Seele und ihre Fortdauer nach dem Tode u. s. w. Man findet darin falsch verstandene Ideen der ältern Griechischen Weltweisen und die meisten Träumereien der Neuplatoniker, an deren Philosophie die Juden viel Geschmack fanden. Jetzt kann der Talmud höchstens zu Erläuterung der Jüdischen Geschichte und Philosophie etwas beitragen; aber den Stein der Weisen, den einige Adepten darin gesucht haben, wird sicherlich niemand in ihm antreffen. Auch haben nicht alle Secten der Juden denselben angenommen; aber bei vielen hat er ein sehr großes Ansehen erlangt.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 49.
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