Der Utrechter Friede

[283] Der Utrechter Friede ist unstreitig einer der wichtigsten Friedensschlüsse des 18. Jahrhunderts, da er einem, für einen großen Theil von Europa verderblichen, langwierigen Kriege ein Ende machte, dessen entgegengesetztes Resultat, wenigstens für den protestantischen Theil von Deutschland, nicht vortheilhaft gewesen sein würde. – Der Todt Carls II. Königs von Spanien (der am 1. November 1700 ohne männliche Erben starb), war das Signal zu einem [283] langwierigen Kriege, in welchem Oestreich, das Deutsche Reich, Portugall, Savoyen, England, Holland und Preußen gemeinschaftlich gegen Frankreich auftraten. Ludwig XIV. verlangte nehmlich nach einem Testamente Carls II. für seinen Enkel Philipp von Anjon die Spanische Thronfolge (s. Th. II. S. 424. 425.), dagegen Kaiser Leopold I. von Oestreich, als nächster Agnat Carls II. solche für seinen Prinzen Carl forderte, und seine Ansprüche von dem Vater Carls V. Philipp von Oestreich († 1506) ableitete. Da Ludwig XIV. nach Carls II. Todte sich sogleich in Besitz von Spanien setzte, so eröffnete Leopold 1701 durch den Prinzen von Eugen den Feldzug gegen Frankreich, und ihm standen zuerst England und Holland, sodann die übrigen oben genannten Mächte bei. Bis ins Jahr 1710 wurde der Krieg mit abwechselndem Glücke fortgesetzt. Allein da Leopolds († 1705) Nachfolger und älterer Sohn, Kaiser Joseph I. 1711 ohne männliche Erben starb, und nunmehr Leopolds letzter Prinz, Carl IV. den kaiserlichen Thron bestieg, so fürchteten seine Alliirten, daß Oestreich jetzt wieder in Besitz aller Länder gelangen möchte, die Carl V. besessen hatte. Bisher hatten Prinz Eugen und der Herzog von Marlborough (s. d. Art.), die von Oestreichs und Englands Seite als Friedensvermittler ernannt waren, Ludwig XIV. bei seinen Friedens-Anträgen sehr harte Bedingungen vorgelegt, theils um ihn, so sehr als möglich, zu demüthigen, theils um dadurch die Fortsetzung des Kriegs zu betreiben, indem sie beide sich immer größern Ruhm, und Marlborough zugleich große Reichthümer erwarb. Allein der Sturz des Letztern, und die dadurch erfolgte Aenderung des Englischen Parlaments, indem die für den Frieden gestimmten Toryʼs (s. d. Art. S. 204) die Oberhand über die Whigs erhielten, bewirkten schnell das Ende des Kriegs. Man stellte der Königin Anna vor, wie unpolitisch es sei, durch diesen Krieg Oestreich den Spanischen Thron, und dadurch einen so großen Zuwachs seiner Macht zu verschaffen, und so willigte sie zuerst in einen Separatfrieden mit Frankreich, welchem auch Portugall, Preußen, Savoyen und Holland beitraten. Der Abschluß des Friedens geschah am [284] 11. April 1713. Anstatt daß Ludwig XIV. 1710 in den mit Eugen und Marlborough zu Gertruydenburg gepflognen Friedensunterhandlungen sich erboten hatte, den Erzherzog Carl als König von Spanien anzuerkennen, und seinen Enkel Philipp nicht mehr zu unterstützen; so wurde durch diesen Frieden Letzterer als König von Spanien und Ost- und Westindien anerkannt, jedoch sollte er auf Frankreich Verzicht leisten, und überhaupt Frankreich und Spanien auf ewig keinen gemeinschaftlichen Regenten haben; auch sollte Frankreich den Prätendenten (s. dies. Art.) entfernen, und Dünkirchen schleifen, den Holländern eine Reihe von Festungen geben, und ihnen mehrere Handlungsvortheile zugestehen. Ueberhaupt waren die Bedingungen, die besonders England und Preußen durch diesen Frieden erhielten, von Wichtigkeit. England behielt nach demselben die bereits 1704 eroberte Festung Gibraltar (s. dies. Art.) und die 1708 schon genommene Insel Minorca; auch erhielt es ansehnliche Besitzungen in Amerika. Man vergaß jedoch bei diesen letztern eine genaue Bestimmung der Grenzen der beiderseitigen Besitzungen in Neuschottland, worüber nachher 1755 zwischen Frankreich und England anfangs Grenzstreitigkeiten, und dann förmliche Feindseligkeiten ausbrachen, die die Veranlassung zum siebenjährigen Kriege wurden. Preußen erhielt durch diesen Frieden ein Stück von Ober-Geldern (s. Geldern); auch erkannte Frankreich Preußen als einen souverainen Herrn des Furstenthums Neufchatel und der Grafschaft Valangin, und, in einem besondern Artikel, Preußen als ein Königreich an. Wir übergehen die übrigen zwischen Frankreich und Savoyen und Portugall abgeschlossenen Friedensbedingungen, und bemerken nur im Allgemeinen: daß der Utrechter Friede eigentlich einen siebenfachen Frieden enthielt, nehmlich: 1) den Frieden mit England, 2) einen Handelstractat mit dieser Macht, 3) den Frieden mit Holland, so wie 4) ebenfalls einen Handelstractat, 5) den Frieden mit Portugall, 6) mit Preußen und 7) Savoyen. – Kaiser Carl IV. weigerte sich zwar anfangs, diesen von seinen Alliirten abgeschlossenen Frieden anzuerkennen, protestirte gegen denselben öffentlich, und seine Gesandten [285] verließen Utrecht; allein schon am 26. November dieses Jahres (1713) eröffneten Eugen und Villars die Friedensunterhandlungen von neuem zu Rastadt, welchem auch im folgenden Jahre der Friede zu Rastadt und Baaden (s. Th. IV. S. 54) folgte, den Frankreich und Oestreich, besonders letzteres, unstreitig zu theuer erkauften.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 283-286.
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