Der Zehent

[458] Der Zehent (von vielen, wie wohl unrecht, Zehend geschrieben), oder, wie er auch an manchen Orten mit dem Lateinischen Namen genennt wird, der [458] Decem, heißt, im weitläufigen Sinne, ein gewisser bestimmter Theil, der von den Nutzungen gewisser Sachen an jemanden entrichtet werden muß. Das Recht, den Zehenten zu fordern, heißt das Zehent-Recht, derjenige, dem dieses Recht zukommt, der Zehent-Herr, und der, der ihn zu entrichten hat, der Zehentpflichtige, oder Zehentbare. Schon in der Jüdischen Kirche war der Zehente eingeführt; und es mußte ihn die Jüdische Gemeinde zu Erhaltung der Priester und Leviten von ihren Fruchten und Viehe abgeben. Durch die Schlüsse oder Verordnungen der Kirchenversammlungen wurde, in der Meinung, oder unter dem Vorgeben, daß die Abgabe des Zehenten eine von Gott geordnete Vorschrift sei, derselbe auch in der christlichen Kirche angenommen, und den Besitzern von Grundstücken aufgelegt, ihn zum Unterhalte der Geistlichen für die diesen obliegende Seelsorge von ihren Einkünften abzugeben. Der wahre und eigentliche Grund, aus welchem Pfarrer oder Kirchen den Zehenten fordern konnten, war die Sorge für das Seelenwohl der Laien. Ungeachtet nun, im zwölften Jahrhundert, auf einer zu Rom gehaltenen Kirchenversammlung diesen schlechterdings das Recht abgesprochen wurde, Zehenten zu fordern, oder durch die von den Geistlichen an sie geschehene Abtretung dieses Recht an sich zu bringen; so wurde doch diese Verordnung in Deutschland nicht angenommen, und Klöster, Domcapitel und Geistliche traten öfters ihre zu fordern habenden Zehenten gegen ein gewisses Geld an die Laien ab, weil diese solche besser eintreiben konnten. Auch ahmten die Erb- und Gerichtsherren auf den Dörfern jene, anfangs bloß kirchliche, Abgabe nach, und forderten von ihren Bauern für diejenigen Güter, die sie ihnen zum Anbauen überließen, ebenfalls jährliche Zehenten. Es entstand nun ein Unterschied, 1) unter kirchlichen- und Laien-Zehenten, und zwar in doppelter Hinsicht, nehmlich: 1) in Ansehung ihres Ursprungs sind kirchliche Zehenten diejenigen, die, nach der Vorschrift eines kirchlichen Gesetzes, jede Kirche von der Gemeinde, die zu dieser Kirche gehört, zu fordern hat; Laienzehenten hingegen, die jemand aus einem besondern Rechtsgrunde [459] (z. B. die Erb- und Gerichtsherren aus dem oben angeführten Grunde, oder jeder andere, durch Belehnung, oder auf andere Art) erhalten hat. Solche Laienzehenten können auch Kirchen zu fordern haben. 2) in Ansehung des Zehent-Herrn kommt es bloß darauf an: ob die Kirche, oder ein Laie sie zu fordern hat. Zehenten sind II) entweder Grundzehenten, welche von den auf Grund und Boden erbaueten, oder von den aus einem wirklichen Vermögensfond gezogenen Früchten entrichtet werden (dahin gehört z. B. der Blutzehente, d. h. der zehnte Theil des jungen Viehes, welches dem Eigenthümer einer Heerde durch diese zuwächst); oder persönliche Zehenten, welche von dem Erwerb zu entrichten sind, der, ohne Vermögensfond, durch Arbeit erlangt wird. – Eigentlich und gewöhnlich besteht der Zehent in dem 10ten Theile aller in jedem Jahre eingeernteten Früchte, und zwar in den wirklichen Früchten, welche der Zehentpflichtige, ehe er seine Früchte von dem Felde einführet, an den von dem Zehent-Herrn bestellten Einnehmer (welcher Zehenter heißt) entrichten muß. Oefters besteht aber auch der Zehent in einem kleinern oder größern Theil der wirklichen Früchte, oder er ist auch, um die Betrügereien der Zehentpflichtigen zu verhindern, auf eine gewisse Geldsumme gesetzt, die von dem Zehentpflichtigen entrichtet werden muß, ohne Unterschied, ob er viele oder wenige Früchte erbauet hat.

Ueber die Zehenten in Irland, welche so viele Unruhen erregten, sehe man den Art. Whiteboys.

Uebrigens ist auch beim Bergbau der Zehent eine Abgabe, die von den Gewerken dem Landesherrn als Entschädigung, oder als besondere Nutzung von dem an Privatleute überlassenen Bergbau entrichtet werden muß. Dieß sollte nun eigentlich allemahl den zehnten Theil von allen gewonnenen Erzen und Mineralien ausmachen: doch pflegt es mehr auf Privilegien, Vergleiche, Observanzen etc. anzukommen; daher man vielmehr unter Zehenten den Antheil versteht, welchen der Landesherr nach der Verfassung eines jeden Landes und Bergwerks aus den Nutzungen zieht. [460] So erhält z. B. in Sachsen der König von den ausgebrachten Erzen nur den Zwanzigsten; von dem Betrag der Ausbeute aber wird anderweit der Zwanzigste nachbezahlt. Indessen giebt es auch hier wieder theils Ausnahmen (z. B. beim Freiberger Revier etc.), theils Befreiungen etc. Eben davon schreibt sich auch beim Bergbau ein bedeutender Beamter,

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 458-461.
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