Die Gerichtshöfe der Liebe

[95] Die Gerichtshöfe der Liebe. Diese Anstalt gehört in die abenteuerlichen Ritterzeiten des Mittelalters, wo sie im zwölften Jahrhundert im südlichen Frankreich, im ehemahligen Provence und Languedoc, entstand, bis ins funfzehnte fortdauerte, und im sechzehnten noch Nachahmer und Verehrer fand. Da unter den Rittern und ihren Damen häufig verliebte Zwiste ausbrachen, und unauflösliche Fragen über wahre Galanterie vorfielen; so dachte man darauf, wie man durch Errichtung eines höchsten Tribunals, dessen Entscheidungen in Sachen der Liebe volle Rechtskraft haben sollten, diesem Uebel abhelfen könnte. Mannhafte Ritter und andere angesehene Männer, für welche eine lange Erfahrung in dieser delicaten Materie sprach, wurden als Richter angestellt, und ihren richterlichen Aussprüchen, welche man nach Art der Parlamentsdecrete Arrets dʼAmour nannte, wurde ohne Murren Gehorsam geleistet. Man sammelte diese Aussprüche, und einige berühmte Rechtsgelehrte bereicherten sie mit ansehnlichen lateinischen Commentaren. Die bekannte Isabelle von Bayern, die Gemahlin des Französischen Königs Carl des sechsten, errichtete im Jahre 1380 unter dem Namen einer Cour dʼAmour eine ähnliche Anstalt, wobei alle Hofchargen nachgeäfft und mit Männern des ersten Ranges besetzt wurden. Die ewig wiederholten Erzählungen von den Qualen und [95] Seligkeiten der Liebe machten auch hier den Hauptgegenstand der Unterhaltungen aus, und wurden mit einem lächerlichen Ernst als Sachen der größten Wichtigkeit behandelt.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 95-96.
Lizenz:
Faksimiles:
95 | 96
Kategorien: